Hamburg. Welchen Einfluss haben der Aufsichtsrat und Kühne auf die Trainerfrage? Wer mit wem im Hintergrund spricht und Entscheidungen trifft.
Merlin Polzin war am Mittwoch als Erster auf dem Platz. Der Interimstrainer des HSV steckte bereits weit vor der angesetzten Nachmittagseinheit einige Stangen in den Rasen neben dem Volksparkstadion, um einzelne Stationen aufzubauen. Genauso hatte er schon als Assistent das Training vorbereitet. Durch seine mindestens mal vorübergehende Beförderung kommt dieser Arbeitseifer allerdings überraschend, untermauert aber zugleich seine Akribie vor dem anstehenden Heimspiel am Sonntag gegen Darmstadt 98.
Polzin hat die große Chance, seine Position im Rennen um die Nachfolge des vor eineinhalb Wochen freigestellten Steffen Baumgart zu stärken. Voraussetzung dafür ist ein Heimsieg gegen die aktuell formstärkste Mannschaft der Liga. Denn seit Trainer Florian Kohfeldt die Lilien am fünften Spieltag übernommen hat, holte kein Zweitligist mehr Punkte als Darmstadt (19).
HSV: Was Kuntz von Polzin erwartet
Für Polzin dienen gleich seine ersten beiden Spiele als Gradmesser. Auf den vorherigen Tabellenzweiten Karlsruhe (3:1) folgt mit Darmstadt das nächste Topteam. Sollte er auch diese Hürde meistern, ginge es eine Woche später weiter für den 34-Jährigen mit dem Duell bei Aufsteiger SSV Ulm. Spätestens dann hätte Sportvorstand Stefan Kuntz genug Eindrücke gesammelt, um beurteilen zu können, ob Polzin auf Dauer das Zeug hat, den HSV zum Erfolg zu führen. Schließlich haben sich gerade die Auswärtsspiele bei vermeintlich kleineren Gegnern in allen sechs Zweitliga-Spielzeiten als Stolperstein erwiesen. Auch in diesem verflixten siebten Jahr für Ex-Coach Baumgart.
Was aber passiert, wenn Polzin gegen Darmstadt unentschieden spielt? In die Bewertung dieser noch nicht geklärten Frage würde auch die Art und Weise des Auftritts einfließen. Klar ist nur, dass sich Polzins Interimszeit im Falle eines Sieges automatisch verlängern würde. Klar ist auch, dass Kuntz nach der überzeugenden Leistung in Karlsruhe eine weitere Steigerung erwartet. „Vom Ergebnis her war es ein Ausrufezeichen. Es hat aber noch nicht alles gestimmt, von daher gibt es noch genug zu tun“, sagt der Manager.
Kuntz will vor allem eine spielerische Entwicklung der Mannschaft sehen. Dem 62-Jährigen schwebt ein dominanter und die Zuschauer elektrisierender Fußball vor. In Karlsruhe wählte Polzin einen deutlich mutigeren Ansatz als zuletzt Baumgart. Nun liegt es an dem Bramfelder, ob er auch für mehr als nur ein Spiel überzeugen kann.
HSV-Trainersuche: Welche Rolle spielt der Aufsichtsrat
Und wenn nicht? Parallel bereitet Kuntz eine namhaftere Lösung vor. Der Sportvorstand führt mehrere Gespräche und prüft verschiedene Möglichkeiten. Als Kandidaten gelten Bruno Labbadia (58), Raphael Wicky (47/zuletzt Young Boys Bern) und Henrik Rydström (48), der aktuelle bei Malmö FF unter Vertrag steht, mittelfristig aber einen Wechsel ins Ausland anstrebt. Polzin hat es durch das KSC-Spiel geschafft, in diesen Dunstkreis einzutreten und eine ernsthafte Option für die Zukunft zu sein.
Kuntz will letztlich aber nicht alleine in der Trainerfrage entscheiden. Er bezieht auch die Meinungen von Sportdirektor Claus Costa, Vorstandskollege Eric Huwer sowie einiger Aufsichtsräte mit ein. Im Kontrollgremium sind Michael Papenfuß, Markus Frömming und Stephan von Bülow seine wichtigsten Ansprechpartner, alle drei bilden den Personalausschuss. Sie führten auch im Mai die Verhandlungen mit Kuntz, als es um die Nachfolge von Ex-Vorstand Jonas Boldt ging.
Anfang der Woche kamen mediale Spekulationen auf, der Aufsichtsrat scheine den zuletzt hoch gehandelten Labbadia skeptisch zu sehen. Richtig ist allerdings, dass der Aufsichtsrat nach Abendblatt-Informationen keine Bedenken bei Labbadia geäußert hat. Die Kontrolleure überlassen die Trainer-Entscheidung komplett dem dafür verantwortlichen Kuntz.
Die HSV-Gespenster Kühne und Block
Spannend sind vor allem die Rollen von Frömming, dem Vertreter von Investor Klaus-Michael Kühne (87), sowie von Bülow, dem Geschäftsführer der Block-Gruppe. Die beiden Ü-80-Jährigen Kühne und Eugen Block (84) haben ihr Fußball-Wissen seit ein paar Generationen nicht mehr aktualisiert und halten noch immer Club-Ikone Felix Magath (71) für die Lösung aller HSV-Probleme.
Erst Anfang des Jahres hatten sich Kühne und Block für Magath als eine Art Alleinherrscher starkgemacht. Nach den Vorstellungen der in Hamburg einflussreichen Männer sollte Magath als Sportvorstand und Trainer in Personalunion übernehmen. Schon damals sollen sich von Bülow und Frömming im HSV-Aufsichtsrat nicht für diesen Plan eingesetzt haben. Und auch diesmal handeln die beiden Räte autark. Kühne spielt bei der Trainersuche keine Rolle. Die Zeiten seiner Einflussnahme, so wie speziell im Transfersommer 2016, sind im Volkspark längst vorbei.
Wer beim HSV über Trainer entscheidet
Schon Kuntz‘ Vorgänger Boldt hatte sich gemeinsam mit Huwer von Kühne emanzipiert. Stattdessen ließ sich Boldt bei der Verpflichtung von Trainer Daniel Thioune (2020) vom damaligen Sportdirektor Michael Mutzel überzeugen. Tim Walter (2021) war schließlich die Entscheidung Boldts – genauso wie Baumgart, von dem der Manager allerdings nie zu 100 Prozent überzeugt war.
Boldts Nachfolger Kuntz versucht nun den schwierigen Spagat, möglichst viele Entscheidungsträger und Kontrolleure hinter der Trainerfrage zu vereinen.
Labbadia-Klausel hilft dem HSV
Ein Kriterium in den Gesprächen sind die Kosten einer Trainer-Neuverpflichtung. Im Fall von Labbadia, der schon zweimal beim HSV arbeitete, gäbe es zumindest keine finanziellen Hürden mit seinem Ex-Verein. Als der Wahlhamburger im April 2023 vom VfB Stuttgart freigestellt wurde, griff eine zuvor vertraglich vereinbarte Abfindungsregelung, die sich nach Abendblatt-Informationen an seinem Punkteschnitt orientierte.
Da Labbadia in elf Bundesligapartien gerade einmal sechs Zähler geholt hatte, fiel der leistungsbezogene Anteil äußerst gering aus. In Summe erhielt der Coach knapp 500.000 Euro. Und das auch nur dank des von Nachfolger Sebastian Hoeneß erreichten Klassenerhalts. Bei einem Abstieg hätte Labbadia gar keine Abfindung kassiert – trotz seines bis Juni 2025 unterschriebenen Vertrags mit einem Jahresgehalt von 2,2 Millionen Euro, das durch die Entlassung obsolet wurde.
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Weil seine damaligen Co-Trainer Bernhard Trares und Benjamin Sachs inzwischen bei Drittligist Waldhof Mannheim arbeiten, hat Labbadia schon jetzt ein völlig neues Trainerteam für eine mögliche dritte Amtszeit beim HSV zusammengestellt. Das neue Team soll sich bereits einige Mal getroffen haben, um Lösungsansätze für die Hamburger zu erarbeiten. Doch noch ist gar nicht klar, ob es jemals zur Umsetzung kommt.
HSV-Trainer: Polzin in Favoritenrolle
Für den Moment ist Polzin in der Poleposition. Gewinnt er die drei restlichen Partien bis zur Winterpause gegen Darmstadt, in Ulm und gegen Fürth, geht der HSV mit ihm in die Rückrunde. In diesem Fall wäre auch allen Kritikern dieser unerfahrenen Lösung der Wind aus den Segeln genommen. Kann Polzin jedoch nicht an die Leistung von Karlsruhe anknüpfen, wird Kuntz handeln. Schon das Darmstadt-Spiel bringt etwas Klarheit in den weiteren Verlauf der kommenden Wochen.