Hamburg. HSV-Interimstrainer hat die Chance, auch über das Darmstadt-Spiel hinaus im Amt zu bleiben. Sportvorstand erklärt sein Vorgehen.
Stefan Kuntz hatte etwas zu verkünden am Montag. Einen Tag nach dem 3:1-Erfolg des HSV in Karlsruhe lief der Sportvorstand zielgerichtet auf Merlin Polzin zu, der gerade das Spielersatztraining im Volkspark geleitet hatte. Schnell gewannen Beobachter den Eindruck, Kuntz könnte dem Interimstrainer soeben mitteilen, wie es für ihn persönlich weitergeht.
Tatsächlich wusste Polzin zu diesem Zeitpunkt längst Bescheid. Denn Kuntz hatte dem 34-Jährigen bereits am Sonntag das Vertrauen für die Partie gegen Darmstadt 98 ausgesprochen. „Ich habe Merlin noch im Wildparkstadion gesagt, dass er auch das Spiel gegen Darmstadt macht“, verkündete Kuntz am Rande des Trainingsplatzes.
Wie HSV-Trainer Polzin Kuntz überzeugt hat
Seine Entscheidung kam keinesfalls überraschend. Sie hatte sich bereits in Karlsruhe angedeutet. Zum einen, weil die neu formierte Mannschaft wie ausgewechselt spielte. Viele HSV-Profis wirkten befreit, wie auch Kuntz konstatierte. Zum anderen hatte Kuntz seine Mindestens-für-ein-Spiel-Jobgarantie bereits nach dem Abpfiff durchblicken lassen. „So eine Welle werden wir nicht versuchen zu unterbrechen“, sagte der 62-Jährige in der ARD, als er über seine Trainersuche sprach. Eine Welle, auf der Polzin weiterhin surfen darf.
Durch diese „von Spiel zu Spiel“-Sichtweise läuft Kuntz jedoch Gefahr, dass ihm potenzielle Kandidaten wie der zuletzt hoch gehandelte Bruno Labbadia abspringen, weil sie das Gefühl haben, in der Warteschleife zu hängen. „Das gehört zu den Risiken bei so einer Situation dazu“, gesteht der Manager, der nicht alleine über die Zukunft des HSV entscheiden will. „Bei so einer wichtigen Frage holt man sich viele Informationen ein: von Claus Costa, Eric Huwer oder meinem Aufsichtsrat. Die können mir schon ein paar Sachen erzählen bei dieser Frage. Die Rückmeldungen, die ich bekomme, helfen mir.“
Aktuell dürften alle Rückmeldung über Polzin positiv ausfallen. Der bisherige Co-Trainer von Daniel Thioune, Tim Walter, Horst Hrubesch und dem vor einer Woche freigestellten Steffen Baumgart kann mit einer Siegesserie seine Zeit auf der Bank verlängern. Oder anders gesagt: Die Spieler, bei denen Polzin sehr beliebt ist, können mit ihren Leistungen Einfluss darauf nehmen, ob der HSV überhaupt einen neuen Cheftrainer verpflichtet wird. „Ich schließe gar nichts aus“, stellte Kuntz klar und öffnete damit die Tür zur dauerhaften Beförderung für Polzin.
HSV-Profis haben unter Polzin wieder Spaß
In Karlsruhe zeigte der Coach, dass er das Zeug hat, diese Mannschaft zum Erfolg zu führen. Polzin hielt seinen Matchplan einfach. Er kehrte zurück zu einer Viererkette, wählte wie früher auf dem Pausenhof in der Schule die stärksten Spieler aus und schöpfte dadurch endlich das in diesem Kader zweifellos vorhandene Offensivpotenzial aus. Vor allem Doppeltorschütze Jean-Luc Dompé war anzusehen, wie viel Spaß er haben kann, wenn man ihn Spaß haben lässt. Aber auch der zuletzt in der Abwehr eingesetzte Daniel Elfadli zeigte, wie viel wertvoller er auf seiner Lieblingsposition im defensiven Mittelfeld ist.
„Unser Fokus lag darin, die Überzeugung in die eigenen Stärken zurückzugewinnen“, erklärte Polzin seine personellen und taktischen Umstellungen. „Die kleinen frischen Ideen hatten die gewünschte Wirkung auf die Mannschaft“, ergänzte Kuntz. Der mutige Ansatz liegt der Mannschaft, die ihre Stärken im Angriff hat, deutlich mehr als der zuletzt eher abwartende Fußball unter Baumgart.
Wahrscheinlich braucht dieser im Sommer breiter aufgestellte Kader gar keinen Trainer, der den Fußball neu erfindet. Stattdessen geht es eher darum, die vielen personellen Härtefälle geschickt zu moderieren und sich nicht in taktischen Maßnahmen zu verzetteln.
Wird Polzin zur Dauerlösung beim HSV?
Um von der Spielanlage flexibel zu bleiben, hatte Baumgart seinem Team zwei Grundformationen eingeimpft. Eine bei eigenem Ballbesitz und eine bei gegnerischem. In Karlsruhe zeigte Polzin, dass die Mannschaft gar keine unterschiedlichen Systeme braucht, um Spiele zu gewinnen. Alle Profis bestätigten hinterher, sich in dem 4-3-3 wohlgefühlt zu haben.
„Ich hatte das Gefühl, dass alle in die gleiche Richtung marschieren: nach vorne“, sagte Kuntz und fasste damit in einem Satz zusammen, warum er sich von Steffen Baumgart getrennt hatte: weil es zu wenig nach vorne ging. Auf die Frage, welches Trainerprofil der neue Chefcoach mitbringen müsse, beschrieb Kuntz die Qualitäten Polzins. „Wir wollen einen begeisternderen Fußball sehen, so wie wir ihn beim KSC gezeigt haben.“ Ein Fingerzeig in Richtung Polzin als Dauerlösung?
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Trotzdem geht die Suche nach einem neuen Übungsleiter parallel weiter. „Wir lassen uns nicht treiben. Es muss eine gute Entscheidung werden, die noch offen ist“, sagte Kuntz am Montag. „Wir prüfen verschiedene Möglichkeiten. Es gibt einfach ganz unterschiedliche Zusammenstellungen.“
Polzin ist in jedem Fall hoch motiviert, wie er am Sonntag im Stile von Bruno Labbadia sagte: „Ich habe Bock, mit den Jungs weiterhin erfolgreich zu sein.“ Also auch über das Darmstadt-Spiel hinaus, sofern man ihn lässt.