Hamburg. HSV-Vorstand schließt ein Szenario aus, nimmt die Spieler in die Pflicht und kündigt Transfers an. Interimsmann Polzin genießt Vertrauen.

Wie schnelllebig das Fußballgeschäft oftmals ist, zeigte sich am Sonntag. Nur eineinhalb Stunden nach dem Aus von Trainer Steffen Baumgart beim HSV trat Sportvorstand Stefan Kuntz in einer Livesendung von Welt und Bild TV vor die Kamera. Ein Termin, den er normalerweise niemals für den Tag einer Trainerentlassung geplant hätte. Doch das Gespräch hatte Kuntz bereits vor acht Wochen mit dem Journalisten Walter Straten vereinbart, als an eine Freistellung Baumgarts noch nicht zu denken war. Als diese am Sonntag, dem Tag nach dem schwachen 2:2 gegen Schalke, unausweichlich wurde, wollte Kuntz aber Wort halten und das TV-Interview nicht absagen.

Als Erklärung für die Trennung mit Baumgart nannte Kuntz „wiederkehrende Muster“ wie das „Nachlassen nach eigener Führung und Angst“, die sich unter den Spielern breitgemacht habe. Nach den Siegen in Düsseldorf (3:0) und gegen Magdeburg (3:1) habe die Mannschaft „nicht mehr an dieses Niveau anknüpfen können“. Nur zwei Punkte holte der HSV aus den vergangenen vier Ligaspielen. Gegen Schalke, als das Team zum vierten Mal in dieser Saison eine Führung verspielte, wirkten die Hamburger völlig verunsichert.

HSV-Boss Kuntz erklärt Baumgart-Aus

Kuntz habe sich daraufhin gefragt, was sich gegen Karlsruhe ändern müsse. Seine Konsequenz: Baumgart musste gehen und der bisherige Co-Trainer Merlin Polzin übernimmt als Interimslösung. Unterstützt wird der 34-Jährige von U-21-Coach Loic Favé. Die beiden seien „zwei Trainertalente, denen unser Vertrauen gilt“, sagte der Manager. „Ich habe keine Bedenken, die Aufgabe ist bei ihnen gut aufgehoben.“ 

Mit dieser Personalentscheidung erhofft sich Kuntz, für die Suche nach einem Nachfolger Zeit zu gewinnen. Aktuell sondiert der Club den Markt, in den kommenden Tagen werden mehrere Gespräche geführt. Einen Zeithorizont nannte Kuntz bewusst nicht, um sich selbst nicht öffentlich unter Druck zu setzen. Er wolle nun seine „ganze Erfahrung einfließen lassen, um eine hohe Trefferquote zu haben“. Es sei besser, „keinen Zeitplan“ zu haben, „aber dafür den richtigen Trainer zu holen“.

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Kwasniok zum HSV? Das sagt Kuntz

Auf konkrete Namen wie Paderborns Trainer Lukas Kwasniok, den der HSV schon im vergangenen Winter wollte, oder Bruno Labbadia, der schon zweimal Trainer im Volkspark war und aktuell vereinslos ist, wollte Kuntz nicht eingehen. „Die einzige Form, wie ich Ruhe in den nächsten Tagen haben kann, ist, mich zu Namen nicht zu äußern“, sagte er. Nur ein Szenario schloss der 62-Jährige aus: Er selbst werde nicht auf die Trainerbank zurückkehren.

„Ich werde auf gar keinen Fall Trainer werden“, kündigte Kuntz an, der als U-21-Nationaltrainer zweimal Europameister wurde. „Ich war eng an Steffen und der Mannschaft dran. Wenn ich hätte Trainer bleiben wollen, wäre ich nicht Vorstand geworden. Das schließe ich komplett aus.“ 

Kuntz: Baumgart verabschiedete sich emotional

Am Sonntagvormittag traf sich Kuntz zunächst mit dem gesamten Trainerteam, um zu besprechen, „dass wir so natürlich nicht weitermachen können“. Schließlich wurden die drei Co-Trainer Polzin sowie die beiden ebenfalls beurlaubten Kevin McKenna und René Wagner aus dem Raum geschickt, in dem fortan nur noch Kuntz und Baumgart saßen, der unter vier Augen von seiner Freistellung erfuhr.

Steffen Baumgart ist nicht mehr Trainer des HSV.
Steffen Baumgart ist nicht mehr Trainer des HSV. © dpa | Gregor Fischer

„Steffen hat ein extrem großes Herz, er ist sehr engagiert, fleißig und aufrichtig. Wir hatten ein fast freundschaftliches Verhältnis und können uns alles sagen. Dadurch haben wir fast einvernehmlich diese Lösung gefunden“, sagte Kuntz, der für seinen Entscheidungsprozess auf die Meinung der Spieler verzichtete. „Ich habe diese Möglichkeit nicht genutzt“, sagte er. „Zum einen bin ich noch nicht so lange da, damit die Spieler mir grenzenlos vertrauen. Steffen hat ein gutes Verhältnis zu den Spielern, ich wollte sie nicht in eine Zwickmühle bringen.“ Allerdings habe Kuntz eine „gewisse Tendenz in den Teamsitzungen erkannt“, denen der Manager immer beiwohnt.

Als er die Mannschaft nach dem Gespräch mit Baumgart über die Trainerentlassung informierte, habe er nicht „auf ihr herumhacken“ wollen. Baumgart habe sich mit „emotionalen Worten“ von dem Team verabschiedet, ehe er den Volkspark verließ.

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Wer nun sein Nachfolger wird, um die Mission Aufstieg im siebten Zweitligajahr zu erfüllen, bleibt also offen. Der HSV hält sich die Option offen, die Mannschaft im Winter noch einmal personell zu verstärken, zum Beispiel mit einem neuen Stürmer. Doch Kuntz nimmt nun auch die aktuellen Spieler in die Pflicht, ihr Leistungslimit zu erreichen. Denn die „Ausrede Trainer“ gelte nun nicht mehr. „Jetzt kann jeder Spieler zeigen, dass ich mich im Winter gar nicht um Neuzugänge kümmern muss. Es gibt ein Vertrauen in den Kader.“

Trotzdem kündigte der Vorstand an, sich im Winter von einigen Spielern trennen zu wollen. „Der eine oder andere weiß auch schon Bescheid“, sagte Kuntz. Nach Abendblatt-Informationen sollen Levin Öztunali, Moritz Heyer, Anssi Suhonen und William Mikelbrencis den Zweitligisten verlassen. Zudem sieht sich Nicolas Oliveira nach einer Leihe um. Für die Zusammensetzung des Kaders in der Rückrunde wird auch die Meinung des neuen Cheftrainers gefragt sein, der allerdings erst noch gefunden werden muss.