Hamburg. Kuntz hörte genau hin, wie der HSV-Trainer von einem „Teilerfolg“ gegen Schalke sprach. Hat er sich mit seiner Aufstellung vercoacht?

Stefan Kuntz nahm in der hinteren Reihe im Presseraum des HSV Platz. Der Sportvorstand hörte wie gewohnt genau hin, welche Worte Steffen Baumgart für den Einbruch seiner Mannschaft beim 2:2 gegen den FC Schalke 04 fand. Doch der Trainer hatte unmittelbar nach dem Abpfiff noch keine Erklärung, warum die Hamburger nach Hertha (1:1), Elversberg (2:4) und Nürnberg (1:1) bereits zum vierten Mal in dieser Saison eine Führung verspielt haben – diesmal sogar einen Zwei-Tore-Vorsprung.

„Es gibt keine Erklärung dafür“, sagte Baumgart. „Die Frage ist, warum wir die Räume für Schalke zu offen gelassen haben. Wir haben es nicht mehr gut gemacht.“ Trotzdem, und das überraschte nach dem schwachen Auftritt des HSV gegen einen limitierten Gegner, sprach der HSV-Coach von einem „Teilerfolg“. Auch wenn ihn das Ergebnis nicht zufrieden stelle. „Dementsprechend“, führte Baumgart aus, „spüre ich eine große Enttäuschung“.

HSV: Hat sich Baumgart gegen Schalke vercoacht?

Diese spürten auch die treuen Fans, die die speziell für ein Heimspiel fahrige Leistung bereits eine Viertelstunde vor dem Ende mit lauten Pfiffen quittierten. Bei einigen Anhängern scheint Baumgart seinen Kredit verspielt zu haben. Die HSV-Fans hadern nicht nur mit der Punkteausbeute von 20 Zählern nach 13 Spieltagen, sondern auch mit dem defensiven Ansatz des Trainers, der gegen Schalke Unterschiedsspieler Jean-Luc Dompé 79 Minuten auf der Bank ließ und beide Schienen mit den gelernten Defensivspielern William Mikelbrencis und Noah Katterbach besetzte.

Als Schalke in der zweiten Halbzeit endlich anfing, an diesem Spiel teilzunehmen und das Risiko erhöhte, ergaben sich für den HSV große Räume zum Kontern. Räume, die Bakery Jatta und Dompé in der Vergangenheit schon häufiger zu bespielen wussten. Doch der eine (Jatta) kam gar nicht zum Einsatz und der andere (Dompé) erst in der Schlussphase. Stattdessen brachte Baumgart als ersten neuen Mann mit Silvan Hefti für Mikelbrencis einen weiteren Defensivspieler, der sich gleich mit seinen ersten drei Aktionen haarsträubende Fehler leistete und danach völlig verunsichert wirkte – so wie ein Großteil der Mannschaft.

Baumgart wehrt sich gegen Kritik an Aufstellung

Was also war Baumgarts Plan mit seiner Aufstellung? „Haben Sie die erste Halbzeit gesehen?“, reagierte der genervte Baumgart mit einer Gegenfrage und setzte dieses Stilmittel fort. „Waren wir da häufiger im Angriff? Mit vielen Torschüssen und vielen Flanken? Oder diskutieren wir über Dompé, warum der aus Ihrer Sicht zu spät kam?“

William Mikelbrencis (l.) stand überraschend in der Startelf des HSV.
William Mikelbrencis (l.) stand überraschend in der Startelf des HSV. © WITTERS | LeonieHorky

Auf Nachfrage präzisierte der HSV-Coach schließlich seine Idee. Katterbach und Mikelbrencis spielten, „weil wir ein sehr hohes, aggressives Anlaufen mit vielen Ballgewinnen haben wollten so wie beim 2:0.“ Gemeint ist das Tor von Ransford Königsdörffer, der von einem Abspielfehler Ron Schallenbergs profitierte, den Davie Selke unter Druck gesetzt hatte. Auch dem ersten Treffer von Marco Richter ging ein Fehler voraus, weil Schalkes Torwart Justin Heekeren die Torwartecke verließ. Darüber hinaus fehlte es dem HSV an spielerischen Ideen.

„Aus meiner Sicht hatten wir gute Aktionen“, sagte Baumgart. „Die klare Ansage war, dass wir die Jungs mit einer entsprechenden Mentalität auf dem Platz haben. Falls jetzt die Interpretation folgt, die anderen hätten diese Mentalität nicht, dann widerspreche ich. Die anderen Spieler sollten aber in der zweiten Halbzeit dafür sorgen, das Ding über die Ziellinie zu bringen, was fast geglückt wäre.“

Mehr zum Thema

HSV-Trainer: Was wird aus Baumgart?

Also alles gut beim HSV? Mitnichten. Zumindest bestätigte Baumgart, dass seine Mannschaft nach dem ersten Gegentreffer verunsichert wirkte. Sportvorstand Kuntz wird sich nun Gedanken machen müssen, ob der Trainer ein Teil oder die Lösung des Problems ist. Führungsspieler wie Sebastian Schonlau, der beim ersten Gegentreffer unglücklich aussah, und Jonas Meffert sind seit Wochen außer Form. Zudem wiederholen sich gleiche Muster wie die Gegentorflut von nun schon zwölf in den ersten 20 Minuten nach der Pause.

Nach vier sieglosen Spielen wird es ungemütlich für Baumgart. Bekommt er beim kommenden Auswärtsspiel in Karlsruhe (1. Dezember) noch eine Chance, den Club wieder auf Aufstiegskurs zu bringen? Diese Frage muss nun Kuntz beantworten.

Die Statistik

  • HSV: Heuer Fernandes – Elfadli, Schonlau, Muheim – Mikelbrencis (59. Hefti), Poręba, Meffert (59. Perrin), Katterbach (79. Dompé) – Richter (71. Karabec) – Selke, Königsdörffer (71. Stange).
  • Schalke: Heekeren – Bulut, Schallenberg, Kamiński, Murkin – Grüger (90. Kalas), Seguin (84. Donkor) – Sylla (79. Aydin), Bachmann, Younes – Karaman.
  • Schiedsrichter: Wolfgang Haslberger (St. Wolfgang).
  • Zuschauer: 56.000.
  • Tore: 1:0 Richter (29.), 2:0 Königsdörffer (30.), 2:1 Younes (57.), 2:2 Karaman (74.).
  • Gelbe Karten: Katterbach (2), Poręba – Seguin (3)
  • Torschüsse: 19:7 
  • Ecken: 2:4 
  • Ballbesitz: 49:51 Prozent
  • Zweikämpfe: 68:66