Hamburg. HSV-Aufsichtsrat trifft sich zu Gesprächen mit Europameister von 1996. Auch Baumgarts Zukunft und die der Spieler offen.

Ransford Königsdörffer war der erste HSV-Spieler, der um 11.15 Uhr nach dem Teamfrühstück am Pfingstmontag das Volksparkstadion verließ. Es folgten Immanuel Pherai und Daniel Heuer Fernandes, ehe sich einer nach dem anderen in die Sommerpause verabschiedete. Sie alle einte ein blauer Müllsack, in dem die Profis ihr Hab und Gut aus dem ausgeräumten Spind bei sich führten.

Am Tag nach dem 4:1-Erfolg des HSV gegen Nürnberg, dem versöhnlichen Abschluss einer enttäuschenden Saison, musste alles raus aus der Arena. Für eine reibungslose EM-Übergabe mit der Uefa wurden sogar die Stühle in einen Umzugslastwagen verpackt.

Hinter der gläsernen Fensterfront des Treppenflurs war auch Sportvorstand Jonas Boldt zu erkennen. Ob der Manager nach der Europameisterschaft in sein Büro im Volkspark zurückkehrt, ist ungewiss. Trotz des fünften verpassten Aufstiegs in seiner Amtszeit geht er selbst zwar davon aus, seinen bis 2025 gültigen Vertrag zu erfüllen. Doch der Aufsichtsrat hat seine Wahl noch nicht getroffen.

HSV trifft sich mit Kuntz – Boldt-Nachfolger?

Das liegt zum einen daran, dass das Kontrollgremium nicht bedingungslos von der Arbeit Boldts überzeugt ist, der den HSV zwar wirtschaftlich stabilisiert, das große Ziel Aufstieg allerdings stets verfehlt hat. Zum anderen hat der Aufsichtsrat seine Saisonanalyse noch nicht abgeschlossen. Ein Prozess, der auch Gespräche mit potenziellen Nachfolgern des Sportvorstands beinhaltet.

Nach Abendblatt-Informationen ist nun auch Stefan Kuntz ein Kandidat für eine Führungsposition beim HSV. Der 61-Jährige, der als Trainer zweimal mit der deutschen U-21-Auswahl Europameister wurde (2017 und 2021) und zuletzt als Nationalcoach der Türkei tätig war, war am Donnerstag zu Gesprächen mit dem Aufsichtsrat in Hamburg.

Showdown beim HSV zwischen Boldt und Kuntz?

Allerdings soll es dabei nicht um den Job von Trainer Steffen Baumgart gegangen sein, dessen Zukunft ebenfalls offen ist. Vielmehr soll Kuntz, der als sportlicher Leiter beim VfL Bochum sowie als Vorstandsvorsitzender beim 1. FC Kaiserslautern Managementerfahrungen sammelte, für die Rolle des Sportvorstands infrage kommen.

Stefan Kuntz, Europameister von 1996, ist beim HSV ein Kandidat für den Posten von Jonas Boldt.
Stefan Kuntz, Europameister von 1996, ist beim HSV ein Kandidat für den Posten von Jonas Boldt. © Imago / Sportfoto Rudel

Da das medial in Erwägung gezogene Szenario mit Boldt als neuen Vorstandschef im Aufsichtsrat des HSV nicht ernsthaft diskutiert werden soll, bahnt sich eine Entscheidung zwischen Kuntz und Boldt an. Dafür spricht, dass es aktuell keinen Kontakt zwischen den beiden Funktionären geben soll.

Boldt sprach mit Kuntz als Walter-Nachfolger

Vor einem halben Jahr sah das noch anders aus. Wie das Abendblatt erfuhr, führte Boldt im Dezember Gespräche mit Kuntz als möglichen Nachfolger für Tim Walter. Das Ende ist bekannt: Trotz eines negativen Trends hielt Boldt am damaligen HSV-Coach fest, womit er sich die Kritik des Aufsichtsrats einhandelte, der einen Trainerwechsel mehrheitlich befürwortet hatte.

Ein ähnlicher Vorgang soll sich nicht wiederholen. Nach dem letzten Saisonspiel ließ Boldt den Verbleib von Steffen Baumgart bewusst offen. Der Manager will diesmal auch den Aufsichtsrat in der Trainerfrage miteinbeziehen und abwarten, wie sich die Kontrolleure positionieren.

„Es gibt schon ein paar Tendenzen“, sagte Boldt über die Zukunft Baumgarts. „Nach so einer Saison ist es in Ordnung, keine vorschnellen Statements herauszugeben. Am Ende war der Abstand zu groß nach oben und es waren über die gesamte Saison zu viele Spiele, die nicht funktioniert haben.“

Baumgart rechnet mit Boldt-Verbleib

Woran das gelegen hat und welche Maßnahmen notwendig sind, damit der HSV im nun schon siebten Anlauf in Folge in die Bundesliga zurückkehren kann, will Boldt in den kommenden Tagen mit Baumgart besprechen. Der Trainer selbst hat bereits mehrfach bekräftigt, trotz des verpassten Aufstiegs bleiben zu wollen.

„Für mich gibt es keine offenen Fragen“, sagte der 52-Jährige und stellte sowohl sich als auch Boldt eine Jobgarantie aus. „Jonas und ich befinden uns täglich im Austausch. Für uns geht es weiter, aus meiner Sicht geht es auch mit ihm weiter. Das ist auch genau das Richtige“, wurde Baumgart deutlich, wohl wissend, dass beide Entscheidungen nicht in seiner Hand liegen.

HSV-Trainer Steffen Baumgart rechnet mit seinem Verbleib und dem von Jonas Boldt.
HSV-Trainer Steffen Baumgart rechnet mit seinem Verbleib und dem von Jonas Boldt. © Witters

Welche Spieler verlassen den HSV?

Im Anschluss an die Vorstands- und Trainerfrage stehen im Volkspark zudem richtungweisende Entscheidungen über den Kader an. Die Führungsspieler Robert Glatzel (2,3 Millionen Euro), Ludovit Reis (fünf Millionen Euro) und Laszlo Benes (zwei bis drei Millionen Euro) verfügen über eine Ausstiegsklausel in ihren Verträgen. „Dadurch muss man mich in Verhandlungen nicht einbinden“, weiß Boldt, der sich schnell Klarheit wünscht.

Anders als bei Glatzel und Reis, deren Wechseloptionen bis zum 14. Juni gültig sind, könnte sich beim slowakischen EM-Fahrer Benes eine Entscheidung bis nach dem Turnier hinziehen. „Ich muss mich nicht bis zur EM entscheiden“, stellte der Mittelfeldspieler klar. Nach 13 Toren und elf Vorlagen hat der 26-Jährige Begehrlichkeiten geweckt. „Ich kann heute nicht beantworten, was in der Zukunft passieren wird“, sagte Benes, dessen Abgang als wahrscheinlich gilt.

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Boldt und die HSV-Bausteine

Bei Glatzel ist es aufgrund seiner Verbundenheit zum HSV hingegen vorstellbar, dass er sich wie schon in den vergangenen beiden Jahren von einem Verbleib überzeugen lässt. Bei Reis könnte die Höhe der Klausel zum Knackpunkt für die Wechselpläne seines Managements werden.

Torhüter Heuer Fernandes dürfte dagegen kaum zu halten sein, wenn sich an seiner Reservistenrolle nichts ändert, und so ziehen sich die offenen Personalfragen fast durch den gesamten Kader. „Es ist entscheidend, dass die Bausteine nacheinander gelegt werden“, sagt Boldt, der darauf verweist, dass erst einmal über seine Person entschieden werden muss, bevor die Zukunft der Spieler geklärt wird.

HSV-Vorstand Boldt: Was läuft mit Kuntz?

Bei dem Vorstand standen die Zeichen vor Kurzem noch auf Abschied, ehe er mit seiner Idee, einen Technischen Direktor installieren zu wollen, Teile des Aufsichtsrats von sich überzeugen konnte. Boldt kommt zugute, dass die Bemühungen des Kontrollgremiums um Jörg Schmadtke, Oliver Bierhoff und Ralf Rangnick scheiterten beziehungsweise Felix Magath mit seinem Konzept nicht überzeugte und der verfügbare Hasan Salihamidzic gar nicht erst zu Gesprächen eingeladen wurde.

Dennoch gilt Boldts Verbleib nicht als sicher, was vor allem an einem Namen liegt: Stefan Kuntz.