Hamburg. Kuntz beerbt Boldt. Doch was wird jetzt aus Trainer Baumgart? Wie die Kontrolleure zuvor die Ideen um Magath und Schmadtke bewerteten.

Stefan Kuntz redete gar nicht erst um den heißen Brei, als er am Montagabend vor laufender Kamera über sein Treffen mit dem Aufsichtsrat des HSV befragt wurde. „Es gibt Kontakt, aber noch nicht mehr“, sagte der 61-Jährige in seiner Funktion als Experte im Sat.1-Format „ran Bundesliga Webshow“ und bestätigte damit einen erst wenige Minuten zuvor veröffentlichten Abendblatt-Bericht. Auf die Nachfrage, um welche Position es gehe, lächelte Kuntz sekundenlang, ehe er antwortete: „Um die des Vorstands.“

HSV holt Stefan Kuntz als Vorstand

Wie berichtet, hat sich der Aufsichtsrat mit dem Europameister von 1996 am Donnerstag im Hotel Grand Elysée getroffen, um sich seine Vision als Nachfolger von Sportvorstand Jonas Boldt anzuhören. Dabei wusste der gut vorbereitete Funktionär das Kontrollgremium auch zu überzeugen. Denn wie der Club am frühen Dienstagabend offiziell bestätigte, wird Kuntz neuer Sportvorstand der Hamburger.

Kuntz löst damit Jonas Boldt ab, unter dessen Führung die Hamburger fünfmal in Folge den Aufstieg verpasst haben. Der 2019 von Bayer Leverkusen zum HSV gewechselte Manager hat den Club zwar wirtschaftlich stabilisiert, das Saisonziel aber stets verpasst. Zudem wurde Boldt zum Verhängnis, dass er nach Ansicht der Räte zu lange an Ex-Coach Tim Walter festhielt, er in drei Transferperioden keinen adäquaten Ersatz für den wegen Dopings gesperrten Mario Vuskovic verpflichtete und der Trainerwechsel zu Steffen Baumgart erfolglos verlief.

Das sagt Jonas Boldt über sein HSV-Aus

„Wir haben unseren sehr detaillierten Analyseprozess abgeschlossen und sind zur Entscheidung gekommen, dass wir nach dem sechsten verpassten Aufstieg in Folge einen neuen sportlichen Impuls brauchen und wollen“, sagte Michael Papenfuß, der Boldt am Dienstagvormittag in einem persönlichen Gespräch über seine Beurlaubung ein Jahr vor Vertragsende informierte. „Wir wissen um Jonas‘ Verdienste, entsprechend groß fällt der Dank für seine geleistete Arbeit auch außerhalb des Kernthemas Sport aus. Jonas hat hier vieles aufgebaut.“

Boldt soll die Nachricht seiner Trennung professionell aufgenommen haben. „Es war eine herausfordernde und schöne Zeit, in der wir viel bewegt, gekämpft und ich auch sehr viel gelernt habe“, sagte er. „Neben der nach wie vor großen Enttäuschung, dass uns der Aufstieg nicht gelungen ist, verbleibt ein positives Gesamtgefühl. Es war mir eine Ehre, mit so vielen tollen Menschen zusammengearbeitet zu haben. Mein großes Dankeschön geht an die HSV-Community, Fans und Partner – und insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen der Geschäftsstelle, die mich immer unterstützt haben.“

HSV-Aufsichtsratschef Michael Papenfuß (l.) hat Jonas Boldt in einem persönlichen Gespräch über die Trennung informiert.
HSV-Aufsichtsratschef Michael Papenfuß (l.) hat Jonas Boldt in einem persönlichen Gespräch über die Trennung informiert. © Witters

Wie Kuntz den HSV-Aufsichtsrat überzeugte

Mit Kuntz, der sich bis diesen Mittwoch im Urlaub auf Mallorca befindet, einigte sich der Aufsichtsrat bereits am Montagabend auf eine Zusammenarbeit. Die Räte soll vor allem überzeugt haben, dass der gebürtige Saarländer beim HSV nicht alles radikal verändern will, was unter der fünfjährigen Leitung seines Vorgängers aufgebaut wurde. So will Kuntz die von Boldt geschaffene Gemeinschaftskultur auf der Geschäftsstelle weiter pflegen. Dazu wären die zuvor durchgefallenen Kandidaten um Felix Magath und Jörg Schmadtke offenbar nicht bereit gewesen.

Außerdem überzeugte Kuntz die Kontrolleure mit seiner umfangreichen und kritischen Saisonanalyse, die er am vergangenen Donnerstag mit Daten und vielen Inhalten untermauerte. „Stefan kommt aus dem Fußball, hat Managementerfahrung und wird hier aufgebaute Strukturen und Verantwortlichkeiten finden und soll diese fokussiert weiterentwickeln“, ließ sich Papenfuß zitieren.

HSV-Aufsichtsrat lehnt Magath ab

Ebenfalls am vergangenen Donnerstag trafen sich die Räte auch ein zweites Mal mit Felix Magath. Das Gespräch bestätigte das Gremium allerdings endgültig in ihrer Ansicht, dass die Club-Ikone nicht neuer Vorstand werden soll. Der Kritikpunkt: Magath soll kein überzeugendes Konzept vorgelegt haben, wie er den HSV zurück in die Bundesliga führen will. Auf viele Fragen der Kontrolleure soll er keine Antworten parat gehabt haben.

Felix Magath hat den Aufsichtsrat des HSV nicht überzeugt.
Felix Magath hat den Aufsichtsrat des HSV nicht überzeugt. © dpa

HSV: Mit Schindzielorz lief nichts

Außerdem soll laut der „Wolfsburger Allgemeinen Zeitung“ auch Wolfsburgs Sportdirektor Sebastian Schindzielorz ein Kandidat beim HSV gewesen sein. Der 45-Jährige steht vor einer ungewissen Zukunft, nachdem er in Geschäftsführer Marcel Schäfer, der nach Leipzig wechselt, seinen Vertrauensmann verloren hat.

Nach Abendblatt-Informationen will Schindzielorz allerdings in Wolfsburg bleiben, das mutmaßliche HSV-Interesse war also nicht mehr als ein Gerücht. Und so durfte Boldt bis zuletzt hoffen, seinen Posten behalten zu dürfen.

Wolfsburgs Sportdirektor Sebastian Schindzielorz wurde mit dem HSV in Verbindung gebracht.
Wolfsburgs Sportdirektor Sebastian Schindzielorz wurde mit dem HSV in Verbindung gebracht. © dpa

Boldt-Plan mit Schmadtke – kommt ein CEO?

Der von Teilen des Aufsichtsrats kritisch beäugte Sportvorstand hatte einige Kontrolleure von seiner Idee überzeugt, einen Technischen Direktor für mehr sportliche Kompetenz installieren zu wollen. Einer der Kandidaten, der für diesen neu zu schaffenden Posten diskutiert wurde, war Jörg Schmadtke, der mit Boldt ein vertrautes Verhältnis pflegt.

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Der 60-Jährige, der bis Februar als Sportdirektor beim FC Liverpool tätig war, befindet sich momentan auf Ibiza und führte bereits Gespräche mit dem Aufsichtsrat – allerdings ging es dabei um einen Posten im Vorstand. Im Anschluss überwogen jedoch die Zweifel, weshalb sich das Gremium einig war, Schmadtke keinen Job beim HSV anzubieten.

Jörg Schmadtke wollte den HSV-Vorstand unter Jonas Boldt als Technischer Direktor beraten.
Jörg Schmadtke wollte den HSV-Vorstand unter Jonas Boldt als Technischer Direktor beraten. © dpa

Der Gedanke, Schmadtke durch die Hintertür als Technischen Direktor beim HSV zu installieren, soll einige Kontrolleure nicht überzeugt haben. Diese Entscheidung wäre ohnehin Aufgabe des Vorstands, dem neben Kuntz auch weiterhin Eric Huwer (Finanzen) angehört. Darüber hinaus könnte die Führungsetage um einen Vorstandsvorsitzenden erweitert werden, da etwaige Gedankenspiele nach Abendblatt-Informationen noch nicht vom Tisch sind.

Als Trainer wurde Kuntz zweimal mit der deutschen U-21-Auswahl Europameister (2017 und 2021), zuletzt war er als türkischer Nationalcoach tätig. Der frühere Nationalstürmer gilt als sehr gut vernetzt und soll auch zahlreiche internationale Kontakte pflegen. Managementerfahrung sammelte er als sportlicher Leiter beim VfL Bochum (2006 bis 2008) sowie als Vorstandsvorsitzender beim 1. FC Kaiserslautern (2008 bis 2016).

HSV-Vorstand Kuntz entscheidet über Baumgart

Der neue starke Mann beim HSV muss gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine wichtige Entscheidung treffen, denn auf die Vorstands- folgt die Trainerfrage. Bleibt Steffen Baumgart im Amt oder verfolgt Kuntz andere Pläne, mit welchem Personal die Bundesligarückkehr gelingen soll?

Wie das Abendblatt erfuhr, gab es bisher noch kein Gespräch zwischen dem neuen Vorstand und Baumgart, der enttäuscht auf das Aus von Boldt reagiert haben soll. Ein erster Austausch soll aber in den kommenden Tagen folgen. Dabei wird es vordergründig um die Frage gehen, ob Kuntz die auf Pressing ausgelegte Spielidee Baumgarts für die richtige hält oder ob der Manager einen Trainer sucht, der auf Ballbesitzfußball setzt.

Sollte Baumgart das Vertrauen erhalten, stünde der maßgeblich auf Ex-Coach Tim Walter zugeschnittene Kader vor einigen Veränderungen. Es sind Entscheidungen, die nun in den Verantwortungsbereich von Kuntz fallen.