Lausanne. HSV-Arzt und Lügendetektor-Experte beim Dopingprozess vor dem Cas befragt. Wada zweifelt Vuskovics Blutwerte an. Plädoyers stehen an.
Die Nacht war kurz für Mario Vuskovic. Bis tief in die frühen Morgenstunden tauschte sich der Profi des HSV mit seiner Mutter Sanja, Berater Damir Smoljan und seinen Anwälten in einem Hotel in Lausanne (Schweiz) aus, um den Ablauf des zweiten Prozesstages zu besprechen.
Als Vuskovic um 8.33 Uhr am Mittwochvormittag in einem schwarzen Hemd, einer dunklen Jacke und weißen Sneakern zu seinem Dopingprozess beim Internationalen Sportgerichtshof (Cas) erschien, war ihm der Schlafmangel allerdings nicht anzumerken.
Dicht an seiner Seite betrat erneut Mutter Sanja das Palais de Beaulieu am Genfersee, während sein wortführender US-Anwalt Paul Greene vorwegmarschierte. Ein wichtiger Zeuge fehlte allerdings im Tross von Vuskovic: Keith Ashcroft, der die beiden von Vuskovic bestandenen Lügendetektortests durchführte, war lediglich digital zugeschaltet.
Vuskovic-Prozess: Lügendetektortest plötzlich wichtig
Der Engländer könnte noch zum Trumpf für die Verteidigung werden, sofern die drei Richter um den dänischen Vorsitzenden Lars Hilliger nach der Anhörung der Wissenschaftler beider Seiten am Vortag uneins sein sollten. Dass der Cas der Vernehmung von Ashcroft überhaupt zustimmte, wird im Vuskovic-Lager als kleiner Etappensieg auf dem langen Weg bis zu einem angestrebten Freispruch in dem Dopingverfahren bewertet.
Anders als in Deutschland, wo ein Lügendetektortest als Beweismittel vor Gericht nicht zugelassen ist, ist die Rechtslage beim Cas diffiziler. Weil in Lausanne unterschiedliche, internationale Rechtsverständnisse aufeinanderprallen, entscheidet oftmals der vorsitzende Richter, ob er eine solche Auswertung anerkennt. Im Fall von Vuskovic hob Hilliger den Daumen.
Lügendetektortest: Drei Fragen an Vuskovic
Vor dem Cas kam es in der Vergangenheit bereits zu einigen wenigen Fällen, in denen ein Lügendetektortest den Ausschlag für das Urteil gab. Nachdem die streitenden Epo-Gutachter beider Seiten am Dienstag nicht zu einem Konsens gekommen sind, hoffen Vuskovics Anwälte, dass das Pendel auch dank des Lügendetektortests in ihre Richtung kippt. Wenngleich die daraus resultierende Argumentation keinen Schwerpunkt in der Verteidigungsstrategie einnimmt. Denn für die Beweisaufnahme war der unter den Wissenschaftlern beider Seiten ausgetragene Diskurs von größerer Bedeutung.
Und dennoch liefern die beiden im Nordwesten Englands durchgeführten Lügendetektortests einige Erkenntnisse. So wurden Vuskovic jeweils drei Fragen gestellt, die auf ein wissentliches Epo-Vergehen abzielten. Der 22 Jahre alte kroatische Abwehrspieler, der seine Unschuld beteuert, bestand beide Tests mit mehr als 99 Prozent. Zur Einordnung: 100 Prozent, also die uneingeschränkte Trefferquote, sind bei einem solchen Vorgehen gar nicht möglich.
Wada zweifelt Vuskovics Blutwerte an
Neben Ashcroft wurde am Mittwoch auch HSV-Mannschaftsarzt Wolfgang Schillings vor dem Cas befragt. Dabei soll der Mediziner ausgesagt haben, dass sich Vuskovics Blutwerte um den Zeitraum der positiven Epo-Probe am 16. September 2022 nicht verändert haben, wie es bei systematischem Doping der Fall sein müsste. Seine Werte waren über die Jahre immer gleichmäßig im unteren Normbereich und sind nie plötzlich hochgegangen.
Der HSV kontrollierte die Blutbilder seiner Spieler mehrfach im Jahr. Unauffällige Werte schließen allerdings nicht aus, dass Epo einmalig gespritzt wurde. Sowohl die Nationale Antidoping-Agentur (Nada) als auch die Welt-Antidoping-Agentur (Wada) sollen den Wahrheitsgehalt der vor dem Cas präsentierten Blutwerte anzweifeln und infrage gestellt haben, dass diese Daten von Vuskovic stammen.
- Ergreifender Auftritt: Vuskovic schildert seinen Albtraum
- Baumgart seit Wochen verärgert: Was dahinter steckt
- HSV verliert das nächste Talent an Werder Bremen
Vuskovic-Prozess: Entscheiden die Plädoyers?
Zum Abschluss der Verhandlung am Mittwoch stehen die wohl alles entscheidenden Plädoyers der vier Verfahrensparteien an. Sowohl Vuskovics Anwälte als auch die Nada und Wada sowie der DFB bekommen die gleiche Redezeit zugesprochen und erhalten im Anschluss die Möglichkeit, auf die Standpunkte der Gegenseite Bezug zu nehmen.
Interessant ist, dass der DFB bislang seine vom Regelwerk abweichende Zweijahressperre mit dem Verweis auf die Verhältnismäßigkeit verteidigen soll. Eine zweifellos humaner Ansatz, für den es allerdings keine rechtliche Grundlage gibt.
Der Cas wird Vuskovic daher entweder freisprechen oder rückwirkend für vier Jahre bis November 2026 sperren. Der Verfahrensausgang ist weiterhin völlig offen, mit einem Urteil ist erst in einigen Wochen zu rechnen.
Die Chronologie im Dopingfall Vuskovic
- 16. September 2022: Vuskovic gibt bei einer Trainingskontrolle eine Urinprobe ab, die auf Epo getestet wird.
- 10. November 2022: Die Wasserschutzpolizei und die Staatsanwaltschaft durchsuchen Vuskovics Spind und seine Wohnung. Mehrere elektronische Geräte (u.a. Handy und Laptop) sowie Kleidung werden beschlagnahmt, belastbare Beweise werden dabei nicht gefunden.
- 3. Februar 2022: Erste von drei Verhandlungen vor dem DFB-Sportgericht: Der Dopingkontrolleur lagerte die Urinprobe drei Tage in seinem privaten Kühlschrank. Zudem lieferte der DHL-Kurier die Probe erst weitere 24 Stunden später beim Labor in Kreischa ab.
- 17. März 2023: Vuskovic weint vor Gericht. Die Wada verhindert eine vom Sportgericht beschlossene C-Probe.
- 30. März: Der DFB weicht vom Regelwerk ab und sperrt Vuskovic zwei (statt vier) Jahre.