Hamburg. HSV-Profi und seine Experten liefern sich vor dem Cas einen erbitternden Kampf mit der Wada. Alle Details über das Doping-Verfahren.

Am Donnerstagvormittag verließ Mario Vuskovic den Genfersee. Einen Tag nach dem Ende der Verhandlungen seines Dopingfalls vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) flog der Abwehrspieler des HSV zurück in seine kroatische Heimatstadt Split. Ungewollt mit an Bord war die Ungewissheit über den Ausgang des nun schon seit eineinhalb Jahren andauernden Verfahrens.

Insgesamt 13 Stunden ließen seine Anwälte um Paul Greene (USA) sowie seine Gutachter David Chen (Kanada) und Paul Scott (USA) an beiden Prozesstagen nichts unversucht, um das Gericht von der Unschuld des momentan bis November gesperrten Vuskovic zu überzeugen.

Vuskovic-Prozess: Wada fällt vernichtendes Urteil

Greene versuchte es mit leidenschaftlichen Reden, Chen mit einer auch aus neutraler Sicht beeindruckenden wissenschaftlichen Tiefe. Doch all die Argumente eines falsch-positiven Epo-Tests brachten die Vertreter der beiden Antidoping-Agenturen Nada und Wada nicht im Ansatz zum Wanken. Die Organisationen haben keinen Zweifel, mit Vuskovic einen Dopingsünder überführt zu haben.

Alle vier Gutachter der Wada, den für die Analyse der A- und B-Probe verantwortlichen Kreischaer Laborchef Sven Voss, die norwegische Vorsitzende der achtköpfigen Epo-Expertengruppe der Wada, Yvette Dehnes, den bereits vom DFB als vermeintlich unabhängigen Gutachter beauftragten Jean-Francois Naud (Kanada) sowie der Österreicher Christian Reichel sprachen von einem „kristallklaren Dopingvergehen“.

Einer der Wada-Anwälte bezeichnete die Verteidigungsstrategie der Anwälte Vuskovics gar als „zerfallen“. „Am Ende der Verhandlung haben sich all ihre Argumente, sofern es jemals welche gab, in Luft aufgelöst“, sagte der Jurist. Ein vernichtendes Urteil einer Organisation, die keinen unabhängigen externen Blick auf ihre Arbeit zulässt. Und das bei einem Analyseverfahren, bei dem es keine Grenzwerte gibt, sondern Bilder schwarzer Rechtecke verglichen werden, die Schattierungen als Indikator für Epo abwerfen.

Vuskovic-Anwalt mit harter Kritik an Wada

„Das System muss fair für alle Sportler sein. Es darf nicht auf einer realitätsfremden Interpretation von Bildern basieren, die zulässt, einen Unschuldigen wie Mario für vier Jahre zu sperren“, sagte Greene in seinem rund 40-minütigen Schlussplädoyer, in dem er sich für einen Freispruch des HSV-Profis einsetzte. „Wenn Sie“, sagte Vuskovics Anwalt zu den drei Richtern, „nur einem unserer Argumente zu 51 Prozent folgen, denn mehr braucht es nicht, dann gewinnt Mario diesen Prozess.“

Greene war bereits der federführende Anwalt des australischen Mittelstreckenläufers Peter Bol, der im Oktober 2022 positiv auf Epo getestet und gesperrt worden war, nach einer „atypischen“ B-Probe aber vom Cas freigesprochen wurde. „Die Wada wird ihre Fehler niemals zugeben, das war bereits bei Bol der Fall, und das ist auch jetzt wieder so. Es wurden bei Mario die gleichen Fehler gemacht, die Wada hat auch die Analyse von Vuskovics Dopingprobe vermasselt“, sagte Greene.

Zum Unverständnis der Wada fußte die Verteidigungsstrategie maßgeblich auf dem Fall Bols, bei dem ebenfalls Proteinchemiker Chen die Fehler des umstrittenen und auch bei Vuskovics Proben angewandten Sar-Page-Verfahrens aufdeckte.

Wie Chen für Vuskovics Unschuld argumentiert

In seiner 47 Seiten umfassenden Power-Point-Präsentation zeigte der Wissenschaftler viele Parallelen zum Fall Bols auf und kam zu der Erkenntnis, dass es sich auch bei Vuskovic um ein falsch-positives Ergebnis handele. Chen warf den Laboranten vor, durch eine überhöhte Proteinmenge (Urin) für überladene Banden auf dem Teststreifen gesorgt und damit zu einer fehlerhaften Dopinganalyse gelangt zu sein. Um das zu verhindern, hätte die Probe verdünnt werden, also der Proteingehalt gesenkt werden können.

Außerdem habe Vuskovic seine Urinprobe kurz nach einer extremen körperlichen Belastung (Training) abgegeben, wodurch es zu einer Proteinverdichtung kam. „,Belastungsurin‘ führt offensichtlich zu falsch-positiven Epo-Tests. Das ist wissenschaftlich erwiesen“, sagte Greene.

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Doch all diese Erkenntnisse prallten an der Wada ab wie an einer Wand. Ihr Anwalt Nicolas Zbinden sprach von einem „simplen Fall“, die Vorwürfe des Vuskovic-Lagers bezeichnete er als „total falsch“ und Chen verstehe das Sar-Page-Verfahren nicht. „Die Argumente der Gegenseite sind eine Ablenkung, und damit ist der Fall auch beendet“, sagte Zbinden, der allerdings irrte, denn das ist immer noch Aufgabe der Richter.

Vuskovic weint vor dem Cas

Mit einem ergreifenden Auftritt versuchte Vuskovic, die Richter gleich zu Beginn der Verhandlung von seiner Unschuld zu überzeugen. Dabei brach der Innenverteidiger mehrfach in Tränen aus und rang um seine Fassung. Rund 15 Minuten lang erzählte der HSV-Profi, wie er zum Fußballprofi reifte, kurz vor der Berufung zur kroatischen Nationalmannschaft stand und schließlich eine Welt für ihn zusammenbrach, als er von seinem positiven Epo-Test erfuhr.

„Ich kam mit meinen Beratern zum HSV-Gelände, wir wollten mit dem Sportdirektor (Jonas Boldt; d. Red.) über die Situation reden. Eigentlich war das etwas Gutes. Ich zeigte gute Leistungen, wir wollten mit dem Sportdirektor vielleicht über einen neuen Vertrag reden“, schluchzte Vuskovic, der sich danach für das Mannschaftstraining umzog.

HSV-Sportvorstand Jonas Boldt war bei beiden Prozesstage im Fall Vuskovic vor Ort (Archivfoto).
HSV-Sportvorstand Jonas Boldt war bei beiden Prozesstage im Fall Vuskovic vor Ort (Archivfoto). © Imago

„Fünf Minuten später rief Jonas Boldt an, ich solle sofort zu ihm hochkommen“, erzählte Vuskovic, der von einer Einigung über eine Vertragsverlängerung ausging. Doch mitnichten. „Ich bin hoch und dann sagte mein Berater, dass ich positiv bin.“ Eine Nachricht, die der Fußballprofi nicht wahrhaben wollte. „Ich hatte noch gescherzt: ,Ich hoffe, es ist nicht wieder Corona.’ Aber mein Berater sagte: Du bist positiv auf Doping. Ich sagte: ,Das kann nicht sein.’ Ich hatte nie etwas in meinem Leben genommen“, beteuerte Vuskovic.

Weitere Texte über den Vuskovic-Prozess:

Wada zweifelt an Expertise der Vuskovic-Gutachter

Dem HSV-Spieler bleibt nun die Hoffnung, die Richter mit Argumenten überzeugt zu haben. Bei den Antidoping-Agenturen biss die Verteidigung hingegen auf Granit. „Sind unsere vier Gutachter alle Teil einer Vertuschung?“, fragte Nada-Anwalt Stephan Netzle rhetorisch und lieferte auch prompt seine Antwort mit: „Nein. Es sind die Experten mit der Erfahrung von Tausenden Epo-Analysen.“

In seinem Schlussplädoyer wurde Netzle allerdings von Richter Jeffrey Benz, den Vuskovics Seite auswählte, unterbrochen. Der Engländer stellte klar, dass ihm das von der Anklage nahezu in Dauerschleife wiederholte Argument, nur die Experten der Wada können eine Epo-Analyse fachgerecht bewerten, nicht ausreiche.

Doch Anwalt Zbinden konterte, Vuskovics Gutachter Scott sei kein Epo-Experte und Chen habe die Fragen der Wada nicht beantwortet. Und so ging es an beiden Tagen ohne Konsens hin und her unter den streitenden Parteien. Jedes noch so im Detail dargelegte Argument Vuskovic zu entlasten, wurde von den Antidoping-Kämpfern als nicht zutreffend abgewiesen.

Vuskovic-Prozess: Wada bleibt hart

Die beiden vom Abwehrspieler mit jeweils mehr als 99 Prozent bestandenen Lügendetektortests als Beweis für seine Unschuld anzuführen, sei laut der Wada „absolut absurd und irrelevant“. Es gebe keinen Beleg, dass Vuskovic nicht möglicherweise bei zahlreichen Lügendetektortests durchgefallen sei, ehe er Keith Ashcroft im Nordwesten Englands aufsuchte und schließlich bestand, erwiderte der Anwalt.

Auch die von HSV-Mannschaftsarzt Wolfgang Schillings bezeugten unauffälligen Blutwerte, die ein systematisches Doping ausschließen, zweifelte die Wada an und stellte infrage, dass diese Daten überhaupt von Vuskovic stammen.

Die drei Richter stehen nun vor der komplexen Aufgaben, all diese nicht zusammenpassenden Puzzleteile zu einem schlüssigen Bild zusammenzufügen, um noch vor August ein Urteil zu präsentieren. Vorsitzender Lars Hilliger schloss die Verhandlung mit den Worten: „Gute Heimreise und viel Glück.“ Vuskovics Glück liegt nun auch in seinen Händen.

Die Chronologie im Dopingfall Vuskovic

  • 16. September 2022: Vuskovic gibt bei einer Trainingskontrolle eine Urinprobe ab, die auf Epo getestet wird.
  • 10. November 2022: Die Wasserschutzpolizei und die Staatsanwaltschaft durchsuchen Vuskovics Spind und seine Wohnung. Mehrere elektronische Geräte (u.a. Handy und Laptop) sowie Kleidung werden beschlagnahmt, belastbare Beweise werden dabei nicht gefunden.
  • 3. Februar 2022: Erste von drei Verhandlungen vor dem DFB-Sportgericht: Der Dopingkontrolleur lagerte die Urinprobe drei Tage in seinem privaten Kühlschrank. Zudem lieferte der DHL-Kurier die Probe erst weitere 24 Stunden später beim Labor in Kreischa ab.
  • 17. März 2023: Vuskovic weint vor Gericht. Die Wada verhindert eine vom Sportgericht beschlossene C-Probe.
  • 30. März: Der DFB weicht vom Regelwerk ab und sperrt Vuskovic zwei (statt vier) Jahre.