Hamburg. HSV-Offensive ist erschreckend harmlos. Neuer Trainer Baumgart nimmt die Spieler und sich selbst in die Pflicht.
Den trainingsfreien Sonntag verbrachte Steffen Baumgart in Berlin. Der neue HSV-Trainer nutzte die Zeit für einen Ausflug in die Hauptstadt, um einfach mal herauszukommen aus dem Alltag in Hamburg. Den gleichen Rat gab der 52-Jährige auch seinen Spielern mit auf den Weg, als er ihnen zwei Tage in Folge freigab.
Bevor sich die Mannschaft am Dienstag um 14 Uhr zum Auftakt in die neue Trainingswoche vor dem Heimspiel am Sonntag gegen Wiesbaden trifft, sollen die Profis die Freizeit mit ihren Freunden und ihrer Familie verbringen. Konkret soll Baumgart seinen HSV-Spielern empfohlen haben, etwas zu unternehmen, das für eine positive Stimmung sorgt – zum Beispiel in den Zoo zu gehen oder ein Eis zu essen.
HSV: Baumgart-Rat in der Kabine
Baumgarts nett gemeinter Auftrag dient dem Zweck, dass seine verunsicherten Spieler den Kopf freibekommen sollen für mehr Lockerheit auf dem Platz. Denn der Trainer hat auch ein Kopfproblem als Ursache für die aktuell besorgniserregenden Auftritte des HSV ausgemacht.
Die fehlende Torgefahr allein damit zu erklären, wäre natürlich zu einfach. Der 52-Jährige verfolgt mehrere Ansätze, wie er die Hamburger nach zwei Niederlagen in Folge zurück in die Aufstiegsspur führen will. Dabei geht es im Kern um die Problematik, warum sich die Profis so schwertun, Baumgarts auf Pressing, hohe Laufintensität und direktes Umschaltspiel ausgelegte Spielidee umzusetzen.
Baumgart hinterfragt sich, bleibt aber überzeugt
Bei der ernüchternden 0:2-Niederlage am Freitagabend bei Fortuna Düsseldorf blieb der HSV erstmals seit Juni 2023 torlos. Damals verlor der Club das Relegationshinspiel beim VfB Stuttgart (0:3). In den darauffolgenden 28 Pflichtspielen erzielten die Hamburger jeweils mindestens einen Treffer, im Schnitt waren es sogar zwei pro Partie.
Bei der Fortuna schoss der HSV dagegen nicht einmal aufs Tor, weshalb Düsseldorfs Torhüter Florian Kastenmeier keinen Ball halten musste. Die einzig nennenswerte Torchance vergab Robert Glatzel (30.), der knapp am Pfosten vorbei zielte.
Baumgart hat ebenfalls wahrgenommen, dass sich das Angriffsspiel seit dem Trainerwechsel verschlechtert hat. Vom Erfolg seiner Spielidee und seinen eigenen Fähigkeiten, die Probleme zu lösen, bleibt er aber überzeugt. Wenngleich er sich nun selbst hinterfragen will, ob sein Ansatz in allen Parametern der richtige ist.
„Wir sind weit weg von dem, was ich mir vorstelle. Das hat nichts mit meiner Idee von Fußball zu tun“, sagte er nach dem Düsseldorf-Spiel, als er seine Spieler und sich selbst in die Pflicht nahm. „Jetzt ist der Trainer gefragt und der muss sich der Situation auch stellen.“
Woran es beim HSV hakt
Bei der Fortuna hatte der HSV Probleme, sich aus seinem Ballbesitz von phasenweise 70 Prozent bis zum Platzverweis von Moritz Heyer (51.) eine Überlegenheit zu erarbeiten. Es fehlte am Zug zum Tor und der von Baumgart geforderten Geradlinigkeit, über wenige Stationen auf direktem Weg zum Abschluss zu kommen.
„Vielleicht sollten wir einfach mal umsetzen, was vorher klar besprochen wurde“, schimpfte der HSV-Trainer. „Es fängt beim Anlaufverhalten an. Wir wollten energisch anlaufen, weil Düsseldorf von hinten herausspielt. Davon habe ich nicht so viel gesehen.“
HSV fremdelt mit Baumgarts Laufintensität
Nach den ersten drei Spielen unter seiner Regie wirkt es so, als sei die Mannschaft binnen kurzer Zeit nicht in der Lage, die Anforderungen des neuen Trainers zu erfüllen. Für seinen Power-Fußball benötigt Baumgart eine hohe Laufintensität, doch in der offiziellen DFL-Statistik für intensive Läufe belegt der HSV ligaweit gerade mal Platz zwölf.
Waren es die Spieler in zweieinhalb Jahren unter Ex-Coach Tim Walter gewohnt, sich die Gegner durch Positionsrochaden und lange Ballstafetten zurechtzuspielen, müssen sie ihre Spielweise nun grundlegend umstellen. Um sich die nun verlangten läuferischen Voraussetzungen anzutrainieren, brauchen die Spieler Zeit. Zeit, der der HSV neun Spieltage vor dem Saisonende eigentlich nicht mehr hat.
„Wir müssen eine ganze Menge verändern“, kündigte Baumgart an, der die Qualität seines Kaders grundsätzlich sehr hoch einschätzt, aber mit den vielen falschen Entscheidungen seiner Profis haderte. „Die Lösungen sind ganz klar auf dem Platz und vorgegeben. Jetzt geht es um die Umsetzung, für die bin ich verantwortlich.“
Baumgart sieht mitziehende Mannschaft
Baumgart kündigte an, die Lösungen für mehr Torgefahr noch deutlicher herauszuarbeiten. Auch vor harten Entscheidungen wie das Herausnehmen von Stammspielern wolle er künftig nicht zurückschrecken. „Dann müssen die Jungs rauf, die das machen, was ich mir vorstelle, um es deutlich zu sagen.“ Demnach dürfte sich die Startelf gegen Wiesbaden auf einigen Positionen verändern.
Das Grundproblem sei dabei nicht, dass die Mannschaft nicht von der neuen Spielidee überzeugt sei. Dem Vernehmen nach sollen die Profis bislang voll mitziehen und Lust auf Baumgarts Fußball haben. Das Team soll weiterhin intakt sein, doch die seit Wochen anhaltende Formschwäche einzelner Leistungsträger wie Ludovit Reis und Ignace Van der Brempt wird zunehmend zum Problem.
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HSV-Trainer Baumgart wird kritischer gesehen
In Fankreisen wächst bereits der Frust über die Mannschaft. In Düsseldorf stellten die rund 10.000 mitgereisten HSV-Anhänger ihre Unterstützung in den letzten zehn Minuten ein. Nach der Partie reagierte der enttäuschte Gästeblock mit lauten Pfiffen, so wie schon nach der Heimniederlage gegen Osnabrück (1:2).
„Es tut den Fans natürlich weh, deshalb haben sie ihren Unmut geäußert“, sagte Kapitän Sebastian Schonlau, der Verständnis zeigte. „Das dürfen sie auch und wir müssen es uns anhören.“
Auch Baumgart ist nicht entgangen, dass er nach der anfänglichen Euphorie um seine Verpflichtung inzwischen kritischer gesehen wird. Er weiß, dass ihm in dieser Phase nur Siege helfen. „Der Trainer hat uns gesagt, dass wir jetzt ruhig bleiben sollen“, sagte Schonlau. Der HSV bleibt zwar auf Platz drei, muss aber aufpassen, nicht binnen weniger Wochen seine Saisonziele zu verspielen.