Hamburg. Nach der Heimniederlage des HSV gegen Osnabrück nimmt der neue Trainer seine Spieler in die Pflicht. Wie es jetzt weitergeht.

Als die enttäuschten Profis des HSV nach dem Abpfiff in die Katakomben des Volksparkstadions schlichen, sollten sie zunächst mit niemandem reden. Die Kamerateams von Sky, dem NDR, HSVtv sowie weitere Medienvertreter warteten vorerst vergeblich auf einen Interviewpartner. Der Grund: Nach der inspirationslosen 1:2 (1:1)-Heimniederlage gegen den Tabellenletzten VfL Osnabrück hatte Steffen Baumgart seine Mannschaft in der Kabine für eine Ansprache versammelt.

„Er sagte, dass wir schnell aufstehen müssen, gerade jetzt, wenn wahrscheinlich niemand an uns glaubt“, sagte Noah Katterbach später. Der Winterneuzugang, der für den erkrankten Miro Muheim in die Startelf gerückt war, wurde nach einigen Minuten als erster Profi aus der Kabine geschickt, um zu erklären, was eigentlich kaum zu erklären ist. Die Hamburger verlieren auch das Rückspiel gegen Osnabrück, das nur drei Siege in dieser Saison holte – davon zwei gegen den HSV.

„Der Trainer hat klare Worte gefunden, dass wir so nicht spielen dürfen“, ergänzte Robert Glatzel zur Ansprache Baumgarts. „Er sagte, dass wir uns mehr wehren und mehr Charakter zeigen müssen. Wenn gefühlt jeder nur 80 bis 90 Prozent gebe, dann reiche es nicht, egal gegen wen.“

HSV-Patzer gegen Osnabrück: Baumgart benennt Mentalitätsproblem

Baumgart hat offensichtlich ein Mentalitätsproblem in der Mannschaft ausgemacht. „Fußball ist ein Mentalitätssport“, sagte der neue HSV-Coach und kritisierte in Bezug auf sein Team. „Wenn ich die Mentalität gegen eine Mannschaft, die nicht unsere Qualität hat, nicht aufbringe, dann kann mich diese Mannschaft kriegen.“ Und so kam es dann auch.

„Auch ein Punkt wäre enttäuschend gewesen“, klagte Baumgart, der teilweise mit den Händen vorm Gesicht zur Kenntnis nahm, wie Osnabrück in den entscheidenden Momenten eine höhere Bereitschaft zeigte, Zweikämpfe zu gewinnen. Es ist das alte Lied im Volkspark, wenn der HSV auf einen vermeintlich kleinen Gegner trifft, der für 90 Minuten über sich hinauswachsen kann.

„Es ist jetzt meine Aufgabe, Dinge zu hinterfragen. Wir brauchen eine Mentalität, die allen Menschen zeigt, dass wir aufsteigen wollen. Das habe ich heute nicht immer gesehen“, sagte Baumgart. „Wir müssen bei der Mentalität einen ganz gewaltigen Schritt machen.“

HSV erspielte sich kaum Torchancen

Der neue Trainer sieht daher kein Qualitätsproblem der Spieler. Stattdessen sei die Mannschaft nicht immer bereit, an ihre Leistungsgrenze zu gehen. „Man muss den eigenen Schweinehund überwinden“, fordert der 52-Jährige.

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Klar ist aber auch, dass sich der HSV beim Erspielen von Torchancen extrem schwertat. Gegen die zweitschlechteste Defensive der Liga (46 Gegentore in 24 Spielen) schossen die Hanseaten nur dreimal aufs Tor, davon einmal per Elfmeter bei Glatzels Ausgleichstreffer (45.+2).

Selbst als der HSV nach dem Platzverweis des Ex-Hamburgers Maxwell Gyamfi (75.) in der Schlussviertelstunde in Überzahl agierte, entstand keine offensive Drangphase. Stattdessen kam Osnabrück noch zum Siegtreffer, weil Ignace Van der Brempt ein Blackout unterlief.

Blackout von Van der Brempt

Der Rechtsverteidiger entschied sich nach einem Freistoß von Osnabrücks Michaël Cuisance für eine Ballannahme im Strafraum statt einem Befreiungsschlag und trat anschließend den dazwischen gehenden früheren HSV-Profi Robert Tesche um.

Den Strafstoß verwandelte Cuisance mit Unterstützung der Unterkante der Latte zum Auswärtssieg im ausverkauften Volkspark. „Hinten raus sind wir zu hektisch geworden, anstatt unsere Überzahl sicher auszuspielen“, klagte Kapitän Sebastian Schonlau, der sich um ein positives Gesamtbild nach einem in keiner Weise positiven HSV-Spiel bemühte.

Wieso Baumgarts Pressing nicht funktionierte

Gegen Osnabrück wurde deutlich, wie schwer die Umsetzung von Baumgarts auf hohes Anlaufen ausgelegtem Umschaltspiel in der Zweiten Liga werden könnte, wenn der favorisierte HSV gerade zu Hause auf tief stehende Gegner trifft. Weil die Niedersachsen schnell den langen Ball suchten, kamen die Gastgeber nicht in die vom neuen Trainer gewünschten Pressingmomente im vorderen Drittel.

Gleichzeitig wurden die Hamburger in der Anfangsphase von offensiv auftretenden Gästen überrumpelt, die bei Ballgewinn im Nu vier Angreifer auf Höhe der Viererkette des HSV positioniert hatten. Defensiv mussten die Hamburger dadurch häufig Mann gegen Mann spielen. Nicht immer gelang dies ohne Foul und aus einem dieser von Cuisance getretenen Freistöße resultierte schließlich der frühe Rückstand, als Lukas Kunze völlig frei zum Abschluss kam, weil Ludovit Reis nicht mit dem Torschützen mitging (6.).

Das Gegentor war die Folge einer schläfrigen Anfangsphase, die Baumgart in seinem Einflussbereich an seine Grenzen zu bringen scheint. „Was ich den Jungs nicht mitgeben kann, ist, in den ersten zehn Minuten Vollgas zu geben und nicht mit sechs Jungs auf der Linie zu stehen und den Ball hin- und herzuschieben“, wurde der Trainer deutlich.

Baumgarts HSV-Lösung gegen Osnabrück-Kopien

Baumgart habe insgesamt rund 40 Fehler seiner Mannschaft beobachtet, insbesondere das Offensivspiel sei ihm zu langsam und nicht direkt genug gewesen. So seien die aus seiner Sicht in einer Vielzahl vorhandenen Umschaltmomente sträflich ausgespielt worden.

In den kommenden beiden Heimspielen erwartet der HSV mit Wiesbaden (17. März) und Kaiserslautern (6. April) allerdings Gegner, die taktisch ähnlich agieren werden wie Osnabrück. Also mit vielen langen Bällen, um das Pressing der Hamburger zu überspielen. Baumgart wird sich daher etwas einfallen lassen müssen, um eine Antwort auf diese Herangehensweise zu finden.

„Wir haben ungefähr neun Bälle nach langen Bällen gewonnen, hätten aufdrehen und nach vorne spielen können, haben es aber nicht konsequent gemacht“, analysiert der HSV-Trainer. „Die Frage ist, was wir mit dem Ballgewinn anfangen. Das Problem ist nicht der lange Ball, sondern unsere fehlende Lösung mit dem Ball.“

HSV-Trainereffekt? Baumgart sieht viel Arbeit

Diese zum Teil ausbleibenden Lösungen wurden auch schon beim hart erkämpften 1:0-Erfolg vor einer Woche gegen Elversberg sichtbar. Nachdem Holstein Kiel am Freitag 2:2 bei Hertha BSC gespielt hatte, wurde dem HSV Platz zwei auf dem Silbertablett serviert, doch die Chance wurde vertan.

Beim Rückschlag gegen Osnabrück wurde Baumgart deutlich vor Augen geführt, wie viel Arbeit vor ihm liegt, um der Mannschaft seinen Fußball zu vermitteln und ihr zu mehr Mentalität gegen unangenehm zu bespielende Gegner zu verhelfen. „Es gibt eine ganze Menge harte Arbeit und es ist meine Verantwortung, die Jungs da hinzubringen.“

Ein erster Effekt muss sich bereits beim kommenden Auswärtsspiel am Freitag in Düsseldorf einstellen. Ansonsten könnte der Trainereffekt schnell verpufft sein.

Die Statistik:

  • HSV: Raab – Van der Brempt, Hadzikadunic, Schonlau, Katterbach (90. Öztunali) – Meffert (81. Suhonen) – Reis (58. Poreba), Pherai – Jatta (81. Nemeth), Glatzel, Königsdörffer (58. Dompé).
  • Osnabrück: Kühn – Ajdini (72. Androutsos), Gyamfi, Diakhite, Kleinhansl – Gnaase, Kunze (62. Tesche) - Conteh (78. Wulff), Cuisance, Makridis (62. Niemann) – Engelhardt (78. Wiemann).
  • Tore: 0:1 Kunze (6.), 1:1 Glatzel (FE/45.+2), 1:2 Cuisance (FE/89.).
  • Schiedsrichter: Richard Hempel.
  • Gelb-Rot: Gyamfi (76.).
  • Gelbe Karten: Reis (3), Pherai (3), Dompé (3), Poręba – Kleinhansl, Cuisance (5)
  • Zuschauer: 57.000 (ausverkauft)
  • Torschüsse: 13:3. Ecken: 11:5. Ballbesitz: 63:37 Prozent. Zweikämpfe: 126:104