Hamburg. Baumgart plant personelle und taktische Änderungen beim HSV für mehr Mentalität. Besondere Rolle für Benes und ein Transferwunsch.
Die Frage, die Steffen Baumgart nach dem Stimmungskiller gegen Osnabrück (1:2) aufgeworfen hat, stellt sich der HSV bereits seit dem Abstieg 2018 in die Zweite Liga. Warum gelingt es der Mannschaft zu selten, die kampfbetonte Spielweise der vermeintlichen Außenseiter anzunehmen, damit die eigene, zweifellos höhere Qualität zur Geltung kommt?
Um das Problem zu bekämpfen, hat der Club in der Kaderzusammenstellung stets Wert auf Neuzugänge mit Führungsqualitäten gelegt, die sich zugleich für Ballbesitzfußball eignen. Das Ergebnis, das Sportvorstand Jonas Boldt das fünfte Jahr in Folge verantwortet, ist allerdings überschaubar.
HSV: Steffen Baumgart überrascht von Kaderqualität
Nach seinen ersten zwei Wochen als HSV-Trainer soll Baumgart zwar positiv überrascht von der individuellen Qualität des Kaders sein, die er höher bewerten soll als die seines in der Bundesliga spielenden Ex-Vereins 1. FC Köln. Genauso überrascht soll er aber vom fehlenden Willen der Mannschaft sein, in jedem Spiel 100 Prozent zu geben.
Als Beleg dient die Punkteausbeute gegen die Aufsteiger. In den fünf Saisonspielen gegen Osnabrück, Elversberg und Wiesbaden holte der HSV magere vier Punkte. Eine Bilanz, die normalerweise nicht zum Aufstieg reicht. „Es gibt Gründe dafür, wieso der Verein schon so lange in der Zweiten Liga ist“, sagte Baumgart am Sonntag, als er die mangelnde Mentalität seiner Mannschaft beklagte. „Diese Gründe haben noch nie mit Qualität zu tun gehabt, sondern damit, dass man über seine Grenzen gehen muss. Man muss den eigenen Schweinehund überwinden.“
Doch dazu sind viele HSV-Profis eben zu selten bereit. Weil sie sich mit einem guten Gehalt in der lebenswerten Stadt Hamburg in einer Komfortzone befinden? Eine klare Antwort auf diese Frage gibt es nicht, sonst hätte der Club auch schon eine Lösung gefunden.
Baumgart setzt auf Rückkehrer Laszlo Benes
Es ist nun Baumgarts Aufgabe, die bislang noch nicht gefundene Ursache dieses Kernproblems zu ermitteln. Nach dem Osnabrück-Spiel fand der HSV-Trainer nicht nur klare Worte über den fehlenden Willen seiner Spieler, an ihre Leistungsgrenze zu gehen, sondern auch über seinen eigenen Verantwortungsbereich, das Potenzial der Spieler auszuschöpfen.
„Herz und Leidenschaft“ hätten ihm gefehlt, sagte Baumgart, der aus seiner Zeit beim SC Paderborn weiß, dass es ohne diese beiden Attribute nicht für den Aufstieg reichen wird. Im Volkspark soll man Baumgarts Kritik an der fehlenden Mentalität teilen.
Auf der Suche nach einem Mentalitätswechsel wird der HSV-Coach bis zum Saisonende auf das vorhandene Personal setzen müssen. Mit Ausnahme eines Profis, dem nach seiner abgesessenen Rotsperre eine tragende Rolle zukommt: Laszlo Benes.
Benes verdrängt Reis beim HSV
Der Slowake mit Bundesligapotenzial wird voraussichtlich für den formschwachen und zuletzt zweimal in Folge als ersten ausgewechselten Ludovit Reis in die Startelf zurückkehren. Immanuel Pherai, der gegen Osnabrück bester Hamburger war, hat seinen Platz dagegen sicher, weil Baumgart für seine Spielweise Pherais Qualitäten zwischen der Sturm- und Mittelfeldreihe benötigt.
Beim HSV hat sich Benes nicht nur dank seiner elf Tore und acht Vorlagen zum Unterschiedsspieler entwickelt. In dieser Saison geht er auch spürbar als Führungsspieler voran, indem er Probleme wie die fehlende Leidenschaft auch in der Kabine offen anspricht. So wie nach der Heimniederlage vor einem Monat gegen den Karlsruher SC (3:4).
Doch Benes wird nicht nur dank seiner Gewinnermentalität eine wichtige Rolle in Baumgarts System einnehmen. Der zentrale Mittelfeldspieler soll zugleich die gegen Elversberg (1:0) und Osnabrück bisweilen harmlose Offensive neu beleben.
Baumgarts besondere HSV-Rolle für Benes
Nachdem der HSV-Trainer in seiner Anfangszeit den Schwerpunkt auf eine stabilere Defensive gelegt hatte, und den Abwehrspielern das unter Vorgänger Tim Walter praktizierte Positionsspiel austrieb, rückt nun das Angriffsspiel in den Fokus. Baumgart soll die mangelhafte Strafraumbesetzung als einen der Hauptgründe für die Chancenarmut ausgemacht haben.
Benes bekommt nun die Aufgabe, aus der Tiefe kommend verstärkt in den Sechzehner einzudringen, damit sich die gegnerische Abwehr nicht nur auf Torjäger Robert Glatzel konzentrieren muss.
Baumgart stellt zeitnah auf zwei Spitzen um
Es bleibt nicht die einzige Änderung, die in den kommenden Wochen zu beobachten sein wird. Nach Abendblatt-Informationen strebt Baumgart eine zeitnahe Umstellung auf zwei Spitzen an.
„Ich habe es ganz gern, wenn noch einer mehr vorne ist“, hatte Baumgart bereits bei seinem Antritt gesagt. In der Rolle des zweiten Angreifers neben Glatzel soll er Ransford Königsdörffer bevorzugen. Sturmtalent Andras Nemeth werden Außenseiterchancen eingeräumt. Nicht infrage kommen soll es für Baumgart, einen der zentralen Mittelfeldspieler Benes oder Pherai ins Sturmzentrum zu schieben.
Zudem sollen sich die Flügelspieler Bakery Jatta und Jean-Luc Dompé nicht mehr nur noch an der Außenlinie positionieren, sondern verstärkt ins Zentrum einrücken. In dieser Besetzung erhofft sich Baumgart mehr Abschlüsse seines Teams.
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HSV: Baumgart hat klares Transferziel
Perspektivisch soll diese Aufgabe ein neuer Stürmer erfüllen, den sich Baumgart für den Sommer wünschen soll, um den Kader zu verstärken. Neben einem weiteren torgefährlichen Angreifer an der Seite Glatzels wurde auch ein weiterer defensiver Mittelfeldspieler als Transferziel auserkoren.
Im Falle eines Aufstiegs böte der aktuelle Kader nicht genug Möglichkeiten, um gegen spielstarke Bundesligisten auch mal mit zwei Sechsern zu agieren. Zumal Lukasz Poręba nach seiner einjährigen Leihe im Sommer zum französischen Erstligisten RC Lens zurückkehren wird.
Bevor die Mannschaft punktuell verstärkt werden kann, sind noch zehn Spiele mit dem aktuellen Kader zu bestreiten. Für den gewünschten Mentalitätswechsel muss also das vorhandene Personal sorgen. Lösungen, wie das gelingen soll, muss nun Baumgart präsentieren.