Hamburg. Hamburger werden wieder von 20.000 Fans unterstützt. Erste Frau zeigt Essener Ordnerin wegen Griff an die Brust an.
Die rund 20.000 HSV-Fans hatten sich bereits mit einem Unentschieden abgefunden, als Ransford Königsdörffer nach einem abgewehrten Eckball in der Nachspielzeit am eigenen Strafraum los sprintete, den Ball per Kopf eroberte, die Gegenspieler Enzo Leopold und Sei Muroya wie lästige Leibwächter stehen ließ und nach seinem sensationellen 80-Meter-Solo zum 2:1 für den HSV bei Hannover 96 traf.
Einmal in Fahrt rannte Königsdörffer gleich noch weiter bis zur Eckfahne, hinter der die pure Ekstase im Gästeblock herrschte. Das ganze Stadion stand kopf, da sich die Hamburger Anhänger beim bislang letzten Auftritt des HSV in Hannover auf 20.000 der 49.200 Plätze verteilt hatten. Einer der beim Jubel durchdrehenden Anhänger war Andreas Voigt.
„Königsdörffer lief direkt auf mich zu, ich riss die Augen auf und schrie: ,Schiiiiiieeeeeeeß!’“, erinnert sich der Vorstand des HSV-Fanclubs OFC Hamburger Botschaft Hannover. „Als der Ball im Tor war, sind wir explodiert vor Emotionen. Ich lag mit wildfremden Menschen in den Armen, überall flogen die Bierbecher. Für mich war es der emotionale Höhepunkt der Saison.“
HSV-Fans kauften geschickt Tickets bei 96
Elf Monate später soll das Auswärtsspiel des HSV am Sonnabend in Hannover (20.30 Uhr) wieder zu einem Heimspiel werden. Wie das Abendblatt erfuhr, haben sich erneut rund 20.000 HSV-Fans Karten für das Nordduell gesichert. Dabei wollte Hannover eine Wiederholung der Hamburger Fan-Invasion verhindern.
Nachdem die Niedersachsen vor einem Jahr freiwillig mehrere Blöcke abgetreten hatten, stand den Gästeanhängern diesmal ein geringes Kontingent zur Verfügung. Und dennoch deckten sich die HSV-Fans mit zahlreichen Tickets ein. Weil 96 ein entscheidender Fehler unterlief.
Hannover startete den freien Vorverkauf noch vor dem Verkauf der Gästekarten an HSV-Mitglieder. Die Gastgeber hatten gehofft, die Hamburger Anhänger würden geschlossen abwarten, ob sie Zugang zum stimmungsvolleren Auswärtsblock erhielten. Doch der Plan ging nach hinten los. Stattdessen sicherten sich die HSV-Fans zahlreiche Plätze, die für Anhänger der Heimmannschaft vorgesehen waren. Und so steht der HSV vor der nächsten Fanparty in Hannover.
HSV freut sich auf Fanfest in Hannover
„Ich erwarte ein prächtiges sowie friedliches Fußballfest und gehe davon aus, dass wir gewinnen, weil wir die besseren Einzelspieler haben“, prognostiziert der 55 Jahre alte Voigt, der zwar in Hannover geboren, aber seit der Meisterschaft des HSV 1979 Fan der Hamburger ist.
Seinen Fanclub gründete der zweifache Familienvater im Jahr 2011. Anfangs waren es noch 22 Mitglieder, inzwischen ist die Zahl auf 104 Personen angewachsen, von denen alle eine Dauerkarte auf der Nordtribüne im Volksparkstadion haben. Auf dem B-Rang direkt über dem Stehplatzbereich hängt bei jedem Heimspiel des HSV ein Banner mit der Aufschrift „Hannover“, das O ist in Form einer Raute abgebildet.
Auch auswärts fahren die OFC-Mitglieder zu fast jedem Spiel. Die Vorfälle beim Pokalspiel in Essen (4:3 n.V.) erlebten sie hautnah mit, als Ordner bei der Einlasskontrolle den Männern unangekündigt in den Schritt und den Frauen zusätzlich in den BH gegriffen haben sollen.
HSV-Fan zeigt Essener Ordnerin an
Eine Frau hat inzwischen auch die erste Strafanzeige wegen sexueller Belästigung gegen eine Ordnerin gestellt, die ihr mehrfach in den Schritt sowie an die Brüste gefasst haben soll, nachdem ihr BH hochgehoben wurde. „Ich kann den Eingang der Anzeige bei der Polizei Essen bestätigen“, sagte der Essener Staatsanwalt Leif Seeger auf Anfrage.
Darüber hinaus hat die HSV AG am Wochenende gemeinsam mit allen Fanorganisation ein Schreiben an Rot-Weiss Essen verschickt – mit dem Ziel, die Vorfälle aufzuarbeiten, damit diese sich nicht noch einmal wiederholen.
RWE hatte das Verhalten seiner Ordner der Sicherheitsfirma Securitas damit gerechtfertigt, Pyrotechnik zu beschlagnahmen. Doch unter diesem Vorwand ist ein Griff in den Intimbereich nicht rechtens und auch nicht die Vorgabe des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), wie der beim HSV eingesetzte Ordnungsdienst Power bestätigte.
HSV- und 96-Fans: Eine Freundschaft
Voigt ist davon überzeugt, dass es in Hannover nicht zu vergleichbaren Vergehen kommen werde. „Anders als in Essen sind die HSV-Fans bei 96 herzlich willkommen“, sagt er. Seine Einschätzung stützt er unter anderem auf die Fanfreundschaft beider Clubs, die gerade in der jüngeren Vergangenheit verstärkt wiederauflebte.
Als der HSV im April das Stadtderby gegen den FC St. Pauli spektakulär mit 4:3 gewonnen hatte, jubelten auf der Tribüne auch einige von der aktiven Fanszene eingeladene Hannoveraner Ultras. Diese revanchierten sich eine Woche später beim Heimsieg der Niedersachsen gegen den 1. FC Nürnberg, als einige der treusten HSV-Fans Hannover auf den Rängen unterstützten.
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HSV-Fans feiern Fest in Hannover
Die Fanfreundschaft ist derart gefestigt, dass am Sonnabend beim direkten Aufeinandertreffen Wechselgesänge beider Fanlager zu erwarten sind. Um sich optimal auf die Partie einzustimmen, veranstaltet der OFC Hamburger Botschaft Hannover nach einer dreijährigen Pause wieder ein Fanfest. Von 12 Uhr bis 19.30 Uhr treffen sich die HSV-Anhänger auf der Anlage der Sportsbar U-Turn.
Voigt rechnet mit 700 bis 800 Besuchern, von denen die meisten ein Ticket für das Nordduell besitzen. Deshalb stellen die Üstra-Verkehrsbetriebe drei kostenlose Sonderstadtbahnen, mit denen die HSV-Fans in die City zum Verkehrsknotenpunkt Kröpcke gebracht werden. Von da aus geht es weiter mit dem regulären Linienbetrieb, für den Verstärkerbahnen eingesetzt werden. Insgesamt 20 Minuten dauert die Fahrt bis zum Stadion.
An dem zuvor stattfindenden Fanfest dürfen im Übrigen auch Anhänger von Hannover 96 teilnehmen. „Hannover ist eine weltoffene Stadt, das zeigt sich auch beim Fußball“, sagt Voigt, der für den perfekten Sonnabend nur noch eine Zutat benötigt. Ein traumhaftes Solo von Ransford Königsdörffer.