Hamburg. Der Vorstand spricht dem HSV-Trainer trotz des verpassten Aufstiegs das Vertrauen aus. Wie der Club den Kader plant.

Robert Glatzel war einer der Letzten, der seine Sachen packte. Der Stürmer des HSV kam am Dienstagvormittag um 12.30 Uhr mit einem großen Müllbeutel in der Hand aus dem Volksparkstadion. Dann fuhr der 28-Jährige über die seitliche Ausfahrt vom Hof. Und wenn Trainer Tim Walter und Sportvorstand Jonas Boldt nicht ganz viel Überzeugungsarbeit leisten, könnte es das letzte Mal gewesen sein, dass Glatzel als HSV-Spieler im Volksparkstadion zugegen war.

„Wir werden ganz, ganz viele Gespräche führen“, sagte Walter am späten Montagabend, rund 45 Minuten nach der 1:3-Niederlage im Relegationsrückspiel gegen den VfB Stuttgart. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass der HSV auch im sechsten Jahr in Folge in der Zweiten Liga spielen wird. Und Boldt hatte bereits klargemacht, dass Walter auch in den kommenden Tagen und Wochen derjenige ist, der die Gespräche führen wird.

„Selbstverständlich“, antwortete Boldt auf die Frage, ob Walter trotz des verpassten Aufstiegs auch in der kommenden Saison Trainer bleibt. „Wir haben ein Fundament gebaut, das dem Verein guttut. Das heißt nicht, dass alles perfekt ist, aber vieles funktioniert gut. Wir haben 66 Punkte und 20 Siege erreicht. Es sind am Ende Nuancen im Sport“, sagte Boldt.

Verliert der HSV Robert Glatzel?

Ob Glatzel zu diesem Fundament in der kommenden Saison noch gehören wird, ist mehr als fraglich. Der Toptorjäger des HSV hat nach 41 Treffern in zwei Jahren Begehrlichkeiten geweckt und kann die Hamburger für eine festgeschriebene Ausstiegsklausel in Höhe von 1,5 Millionen Euro verlassen. Glatzel will unbedingt in die Bundesliga.

Wie schon vor einem Jahr, als er sich mit Schalke 04 über einen Wechsel nahezu einig war, wird sich der Angreifer mit Angeboten aus der Ersten Liga beschäftigen. „Wir brauchen ein Commitment von allen. Jeder muss es für sich bewerten, insbesondere die Jungs, die eine Möglichkeit haben, sich zu verändern“, sagte Boldt bezogen auf Spieler wie Glatzel und Ludovit Reis.

HSV: Montero bekam Abschiedsspiel

Um 11 Uhr hatten Boldt und Walter am Dienstag ihre Mannschaft zur letzten Besprechung vor der Sommerpause versammelt. Nach einer halben Stunde fuhren die ersten Spieler schon wieder vom Hof. Gar nicht mehr dabei war Xavier Amaechi (22). Der vor vier Jahren für 2,5 Millionen Euro von Arsenal London verpflichtete Flügelspieler wechselt zur neuen Saison ablösefrei zum FC Magdeburg und Ex-HSV-Trainer Christian Titz. Zudem kehrt Leihgabe Javi Montero, der gegen Stuttgart eine Art Abschiedsspiel bekam, zu Besiktas Istanbul zurück.

Bereits in drei Wochen beginnt im Volkspark schon wieder die Vorbereitung auf die neue Zweitligasaison, die am 28. Juli mit dem ersten Spieltag startet. Nicht viel Zeit also für den HSV, sich von der emotionalen Achterbahnfahrt in der abgelaufenen Saison zu erholen. Aber das kennen die Hamburger bereits aus dem vergangenen Jahr.

Die Verantwortlichen müssen somit schnell die Weichen stellen, um in der kommenden Saison wieder einen aufstiegsreifen Kader zur Verfügung zu haben. „Grundsätzlich ist uns sehr daran gelegen, genauso weiterzumachen und den Kader noch zu verstärken“, sagte Walter noch am Abend der Relegation.

Walter will Kittel vom HSV überzeugen

Sonny Kittel, der gegen Stuttgart nicht nur aufgrund des Tores sein wohl bestes Saisonspiel bestritten hatte, will Walter höchstpersönlich von einem Verbleib in Hamburg überzeugen. Bei Torhüter Daniel Heuer Fernandes, dessen Vertrag im kommenden Sommer ausläuft, wird es darauf ankommen, ob ein Bundesligist Interesse zeigt.

HSV-Torjäger Robert Glatzel blieb in beiden Relegationsspielen gegen Stuttgart torlos. Klopft dennoch ein Bundesligist an?
HSV-Torjäger Robert Glatzel blieb in beiden Relegationsspielen gegen Stuttgart torlos. Klopft dennoch ein Bundesligist an? © Imago / Eibner

Deutlich klarer sind die Signale der Achsenspieler Sebastian Schonlau und Jonas Meffert. Beide könnten noch in der Sommerpause ihre ebenfalls 2024 auslaufenden Verträge verlängern. „Auf dem Weg, den wir seit zwei Jahren eingeschlagen haben, wurde sehr viel richtig gemacht. Es wurde eine Einheit mit der Stadt und den Fans geschaffen. Der HSV hat wieder eine Identität. Die Leute kommen gern ins Stadion“, sagte Schonlau nach dem Stuttgart-Spiel.

Der Kapitän glaubt, dass die Mannschaft trotz der großen Enttäuschung zusammengehalten werden kann. Mit Bakery Jatta soll ebenso verlängert werden wie mit Nachwuchsstürmer Tom Sanne (19). „Jonas Boldt wird sich mit den Jungs zusammensetzen. Wir müssen uns aber auch angucken, was wir besser machen können“, so Schonlau.

HSV braucht neue Verteidiger

Und da dürften die Verantwortlichen einiges finden. 45 Gegentore in der Liga und sechs in der Relegation sind deutlich zu viel. Der HSV hat das Problem der einfachen Gegentore in dieser Saison nicht in den Griff bekommen. Deshalb will der Club auf dem Transfermarkt nach neuen Verstärkungen für die Defensive Ausschau halten.

Sandhausens Chima Okoroji (26) ist ein Kandidat für die Außen­verteidiger-Positionen, Osnabrücks Sven Köhler (26) für das defensive Mittelfeld. Um in der kommenden Saison mit den Absteigern Schalke 04 und Hertha BSC mithalten zu können, braucht der HSV aber Spieler aus einer anderen Kategorie.

Was wird beim HSV aus David?

Etwa der Kategorie Mario Vuskovic. Der wegen Dopings gesperrte Kroate wird zum Start der neuen Saison aber selbst dann noch nicht zur Verfügung stehen, wenn ihn der Internationale Sportgerichtshof (Cas) freisprechen sollte.

Jonas David hat sich in der Innenverteidigung zwar entwickelt, aber nicht die Klasse seines Nebenmanns Schonlau. Stephan Ambrosius wird nach dem Ende seines Leihgeschäfts mit dem Karlsruher SC höchstens vorübergehend zum HSV zurückkehren. Unter Walter hat der 24-Jährige in Hamburg keine Perspektive. Und das weiß auch der zweikampfstarke Verteidiger.

Kritik an Walters Außendarstellung

Aber auch Walter wird sich mit seiner Spielart entwickeln müssen. In den letzten Wochen der Saison waren bereits Anpassungen in der offensiven Grundausrichtung zu beobachten. Mit seiner Art polarisiert der Trainer zudem wie kaum ein HSV-Coach vor ihm. Nach dem früheren Stadionsprecher Lotto King Karl („Tim Walter ist anstrengend und unhanseatisch“) äußerte sich auch der ehema­lige Clubchef Heribert Bruchhagen am Dienstag kritisch über Walters Außendarstellung.

„Mir gefällt einfach nicht die Art der übertriebenen Selbstdarstellung am Spielfeldrand. Jeden Einwurf aggressiv zu kommentieren, permanent an dem Schiedsrichter rummäkeln, immer wieder die Zuschauer mit Gesten auffordern. Hier sollte Walter an sich arbeiten“, sagte Bruchhagen bei Sky.

Gegen eine Fortsetzung der Arbeit von Walter beim HSV hat aber auch Bruchhagen nichts. Die finale Analyse des Aufsichtsrats steht zwar noch aus, doch eine Trennung von Boldt und Walter gilt als höchst unwahrscheinlich. Stattdessen wollen die beiden einen neuen Anlauf starten.

„Wir werfen alles in die Waagschale, um aus der Liga herauszukommen. Leider kann man einen Aufstieg im Sport nicht garantieren“, sagte Boldt, nachdem er am Montag noch minutenlang an der Seite von Walter auf der Ersatzbank saß. „Es macht einen Verein aus, durch diese Situation zusammen durchzugehen.“