Hamburg. Steht die Wada über dem Gericht? Dopingfall erhält weltweit Aufmerksamkeit. Über neue Probleme und fehlende Anfragen.
43 Milliliter sind wahrlich nicht viel. Das Volumen ist immerhin mehr als ein Espresso, aber weniger als ein doppelter. Im Dopingfall Mario Vuskovic sind jene 43 Milliliter dagegen von immenser Bedeutung. Hinter den Kulissen ist inzwischen ein an Absurdität beispielloser Streit über die restliche Urinmenge des HSV-Profis entfacht.
Dabei geht es im Kern um die Frage, ob der am 16. September positiv auf Erythropoetin (Epo) getestete Vuskovic nun tatsächlich gedopt hat oder ob das Ergebnis falsch positiv sein könnte. Endgültig aufklären lassen wird sich der Streitfall wohl nie. Denn der 21-Jährige beteuert weiterhin seine Unschuld. Und eine zur Aufklärung beitragende C-Probe wird es wohl nie geben.
Mario Vuskovic: Entfällt die C-Probe?
Zur Erinnerung: Vor zwei Wochen hatte der Vorsitzende des Sportgerichts, Stephan Oberholz, am zweiten Prozesstag ein neutrales Gutachten zur Klärung aller Zweifel am bisherigen Ergebnis der Dopingprobe sowie eine erneute Analyse des Urins vom 16. September angeordnet. Nach der jeweils positiven A- und B-Probe sind noch 43 Milliliter übrig. Dieser Urin Vuskovics ist Eigentum der Nationalen Antidoping-Agentur (Nada), die jenen Restbestand weiteren Analysen zur Verfügung stellt.
Genauso war es nun zumindest gedacht. Doch wie das Abendblatt erfuhr, erscheint die Durchführung einer C-Probe mit jedem weiteren Tag, der verstreicht, unrealistischer. Wie berichtet, ist eine dritte Analyse der Dopingprobe im Reglement der Welt-Antidoping-Agentur (Wada) nicht vorgesehen. Deshalb plädierten Mitglieder des Wada-Exekutivkomitees direkt nach Oberholz‘ Entscheidung dafür, ein mögliches negatives Ergebnis der C-Probe nicht zu akzeptieren.
Was die Wada im Fall Vuskovic umtreibt
Die Befürchtung der Wada-Verantwortlichen liegt auf der Hand: Vuskovic könnte im Falle einer C-Probe zum Präzedenzfall für kommende positiv getestete Athleten werden. So könnte der komplette Doping-Kontrollmechanismus auf den Kopf gestellt werden. Wenn eine C-Probe vor Gericht Bestand hätte, wäre das Gleiche aus juristischer Sicht auch bei einer D-Probe der Fall – und wahrscheinlich sogar bei einer aktuell noch kaum vorstellbaren E-Probe.
Müssen des Dopings überführte Sportler in Zukunft also nur so viele Analysen durchführen lassen, bis ein Wissenschaftler gefunden wurde, der auf ein gegenteiliges Ergebnis kommt und somit für einen nachträglichen Freispruch sorgt? Das zumindest befürchten führende Köpfe der Wada, die deshalb alle Hebel in Bewegung setzt, damit es gar nicht erst zu einer C-Probe kommt.
Das Beispiel zeigt, warum inzwischen die gesamte Sportwelt mit Argusaugen auf den Fall Vuskovic blickt, der ohnehin immer komplexer zu werden scheint.
Fall Vuskovic: Steht die Wada über dem Gericht?
Bislang war davon auszugehen, dass das beauftragte Labor in Québec (Kanada) den richterlichen Beschluss einer weiteren Analyse umsetzen muss und sich die Wada im Anschluss rechtliche Schritte offenhält. Doch die Sachlage ist weitaus diffiziler, als man annehmen könnte. Nach Abendblatt-Informationen kann die Wada tatsächlich eine C-Probe verhindern.
Hintergrund ist, dass ein von der Wada akkreditiertes Labor ohne die Zustimmung der Organisation nicht tätig werden darf. So musste der Institutsleiter von Québec, Jean-Francois Naud, vorschriftsmäßig die Wada über den DFB-Auftrag einer C-Probe informieren und gleichzeitig anfragen, ob dieser Wunsch überhaupt umgesetzt werden dürfe.
Die Wada will einen solchen Vorgang, den es in der 23-jährigen Geschichte der Antidopingkämpfer noch nie gegeben hat, jedoch mit aller Macht verhindern – und ist zugleich in der Lage, eine entsprechende Drohkulisse aufzubauen. Sollte Québec die C-Probe ohne Erlaubnis der Wada öffnen, droht dem Labor der sofortige Verlust der Akkreditierung. Angesichts dieser Herangehensweise stellt sich die Frage: Steht die Wada über dem Gericht?
Mario Vuskovic: Es gäbe eine Lösung ...
Die naheliegende Lösung könnte zumindest ein Wada-unabhängiges Institut sein, so wie von der Verteidigung gefordert. Allerdings hat Richter Oberholz eine solche Wahl bislang kategorisch ausgeschlossen.
Eine Epo-Analyse könne „weltweit nur von wenigen entsprechend qualifizierten und analytisch erfahrenen Wissenschaftlern vorgenommen werden“, teilte das Sportgericht vor einer Woche in seiner Begründung für das abgelehnte Befangenheitsgesuch der Verteidigung mit. Oberholz‘ Bedingungen: Das für die C-Probe verantwortliche Labor müsse mit den Strukturen der Wada vertraut sein.
Québec hat nicht mal in Kreischa angefragt
Dieses Kriterium träfe in jedem Fall auf den Epo-Forscher Naud zu, der zudem ein unabhängiges Gutachten erstellen soll. Nach Abendblatt-Informationen hat er die hierfür notwendigen Analyseergebnisse der A- und B-Probe allerdings noch nicht beim Labor in Kreischa angefragt, wo Vuskovics Urin derzeit bei minus 20 Grad eingefroren gelagert ist. Auch vom DFB haben die Verantwortlichen in Kreischa seit der bislang letzten Gerichtsverhandlung vor zwei Wochen nichts gehört.
Da die Erstellung des Gutachtens mit Klärung aller vom DFB protokollierten Fragen voraussichtlich zwei Wochen Zeit in Anspruch nähme, wie mehrere Experten dem Abendblatt bestätigten, kommt neben der rechtlichen Unklarheit nun auch noch ein zeitliches Problem hinzu.
Vuskovics C-Probe sorgt für zeitliches Problem
Denn Naud nimmt vom 26. Februar bis zum 3. März an einem Workshop zur Antidopingforschung in Köln teil. Vor seiner Reise nach Deutschland wird er weder das Gutachten erstellen noch die mögliche C-Probe öffnen können.
Nach seiner Rückkehr blieben ihm jedoch nur noch wenige Tage bis zum nächsten Prozesstermin am 10. März. Wie aber soll Naud sowohl mit seiner Arbeit rechtzeitig fertig werden als auch die Verteidigung die rechtlich vorgeschriebene Möglichkeit erhalten, mit ein paar Tagen Vorlauf die Analyseergebnisse genau unter die Lupe zu nehmen?
Vuskovics Anwälte haben zwar kein Recht auf eine Deadline, wünschen sich aber so früh wie möglich einen Einblick in Nauds Analyse. Doch die Umsetzung dieses Wunsches erscheint aktuell fraglicher denn je.
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Mario Vuskovic: DFB hält an 10. März fest
Der DFB, der bislang weder das Labor in Kreischa noch den HSV oder Mario Vuskovic über den weiteren zeitlichen Ablauf informiert hat, wollte sich auch auf Abendblatt-Anfrage mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht äußern. Zumindest bekräftigte der Verband, am Prozesstag 10. März festzuhalten, den Termin also nicht zu verschieben, was in der Theorie möglich wäre. Wie dieses Ziel zeitlich umzusetzen sein soll, bleibt allerdings ein großes Geheimnis des DFB.
„Wir wollen diese Geschichte so schnell wie möglich klären. Das ist für alle Beteiligten wichtig“, hatte Richter Oberholz nach Bekanntgabe des nächsten Verhandlungstages erklärt.
Neben der zweifellos erforderlichen Schnelligkeit im Fall des aktuell vorläufig gesperrten Vuskovic wäre der Verteidigung allerdings auch viel an einer lückenlosen und transparenten Aufklärung gelegen. Doch dafür muss zunächst der Streit um die 43 Milliliter beendet werden. Ein Ende ist nicht in Sicht.