Hamburg. Der freigestellte Sportdirektor muss weiterbeschäftigt werden. Deutlich geworden sind die tiefen Risse in der Spitze des HSV.

Als der Vorsitzende Richter am Dienstagmorgen nach einer 45-minütigen Sitzung in Saal 320 des Arbeitsgerichts an der Osterbekstraße 96 zum zweiten Mal versehentlich Michael Mutzel als Sportvorstand bezeichnete, kommentierte Jonas Boldt die Szene mit Sarkasmus.

„Vielleicht wär er das gern“, sagte HSV-Sportvorstand Boldt, ehe er an der Seite von Clubjustiziar Philipp Winter den Raum verließ. Tatsächlich ging es in der Verhandlung auch um die Frage, ob der kürzlich freigestellte Sportdirektor Mutzel es in den vergangenen Monaten auf den Job seines Vorgesetzten abgesehen hatte. So lautete zumindest einer der Vorwürfe, den Boldt und Winter vorgetragen hatten, um Mutzels Freistellung zu erklären.

HSV News: Gericht gibt Mutzel Recht

Gegen diese hatte sich Mutzel gerichtlich zur Wehr gesetzt. Und am Dienstag den ersten Erfolg erzielt. Das Arbeitsgericht erklärte die Freistellung, die der HSV vor zwei Wochen verkündet hatte, am Mittag für unwirksam. „Weder die Beurlaubung noch die Freistellung sind nach der Auffassung der entscheidenden Kammer wirksam. So konnte die HSV Fußball AG den Sportdirektor nicht gegen dessen ausdrücklichen Willen beurlauben“, teilte das Gericht mit. Der HSV müsse Mutzel also ab sofort wieder beschäftigen. „Die besondere Eilbedürftigkeit für eine fortgesetzte Beschäftigung nahm die Kammer deshalb an, weil andernfalls ein weitergehender erheblicher Reputationsschaden beim Verfügungskläger zu befürchten ist.“

Mutzel saß im weißen Hemd neben seinem Verteidiger Wolfgang Steen, einem Fachanwalt für Arbeitsrecht, auf der einen Seite des Raums. Auf der Fensterseite verfolgte Boldt neben HSV-Anwalt Winter den Prozess. Zuvor hatten sich Boldt und Mutzel um 9.10 Uhr per Handschlag begrüßt. Persönliche Worte wechselten die beiden nicht. Dabei ging es in dieser Angelegenheit nicht nur um einen Streit zwischen den Managern.

Angespannte Zustände in der Führung des HSV

Die Details, die während der Sitzung ans Licht kamen, machten vielmehr deutlich, wie groß die atmosphärischen Störungen in der Führung des HSV wirklich sind. Mit Boldt, Trainer Tim Walter und der Mannschaft auf der einen Seite, Mutzel, Vorstand Thomas Wüstefeld und Aufsichtsratschef Marcell Jansen auf der anderen.

Nachdem die Anwälte am Dienstag ihre Positionen dargelegt hatten, ergriff Boldt selbst das Wort. „Michael Mutzel und ich haben zweieinhalb Jahre gut zusammengearbeitet. Das Verhältnis hat funktioniert, bis es Anfang des Jahres zum Wechsel im Vorstand kam“, sagte Boldt über die Trennung von Frank Wettstein, dessen Nachfolge Thomas Wüstefeld übernahm.

„Das Transferbudget war immer ein Streitpunkt"

In den Wochen danach litt das Vertrauensverhältnis zwischen Boldt und Mutzel zunehmend. Ein Vorwurf Boldts: Am 15. Februar habe es eine E-Mail von Mutzel an Wüstefeld gegeben, in der es um eine Transferentscheidung für diesen Sommer ging. „Ich habe festgestellt, dass es da eine E-Mail gab, von dessen Inhalt ich keine Kenntnis hatte. Darauf habe ich Herrn Mutzel mündlich hingewiesen“, sagte Boldt. Anwalt Winter erklärte dazu: „Unser Vorwurf ist, dass Herr Mutzel ein gewisses Eigenleben entfaltet hat und unabgestimmt mit Jonas Boldt mit Herrn Wüstefeld und Mitgliedern des Aufsichtsrates über das Transferfenster gesprochen hat.“

Konkret soll Wüstefeld gegenüber Mutzel signalisiert haben, dass ihm im Sommer ein Transferbudget in Höhe von zehn Millionen Euro zur Verfügung stehe. Das habe Wüstefeld anschließend auch Boldt bei einer Vorstandssitzung bestätigt. „Dieses Geld gibt es bis heute nicht“, sagte Boldt. Auch Mutzel äußerte sich vor Gericht. „Das Transferbudget war immer ein Streitpunkt. Ich glaube, dass es eher ein kommunikatives Problem über mir war. Es waren da immer etwas unklare Aussagen“, sagte Mutzel über die Vorstandsebene.

Boldt rief Mannschaftssitzung ein

Endgültig zu Bruch gegangen sei das Verhältnis zwischen dem Sportdirektor und dem Sportvorstand sowie dem Trainerteam dann nach der 0:1-Niederlage bei Holstein Kiel am 10. April. „Der Sportdirektor hatte es vorgezogen, An- und Abreise mit Herrn Wüstefeld vorzunehmen, anstatt mit der Mannschaft zu fahren.“ Weil die Kritik an Trainer Tim Walter größer wurde, rief Boldt eine Mannschaftssitzung ein.

„Wir haben uns eingeschworen, unseren Weg weiterzugehen“, sagte Boldt. Mutzel fehlte wegen eines Termins, von dem Boldt nichts wusste. Er verlangte daraufhin von Mutzel, ihm Zugriff auf dessen Outlook-Kalender zu gewähren, um Termine einsehen zu können. Mutzel verweigerte das. Auch über diesen Vorgang wurde am Dienstag vor Gericht gestritten.

Beurlaubung erfolgte bereits im 12. Juni

Der schwerste Vorwurf und Hauptgrund für die Freistellung sei aber der Vertrauensbruch gewesen. „Herr Mutzel hat versucht, sich durch eine besondere Nähe zu Wüstefeld als Boldts Nachfolger in Position zu bringen“, sagte Anwalt Winter. Mutzels Verteidiger nannte den Vorwurf „hanebüchen“.

Interessant: Vor der Freistellung erfolgte die Beurlaubung Mutzels laut Gericht bereits am 12. Juni. Zehn Tage zuvor hatte Boldt den Sportdirektor in einer beispiellosen Form öffentlich degradiert. Auch daher ging Mutzel nun den Weg vor Gericht und pochte auf Weiterbeschäftigung.

Mutzel forderte vom HSV eine Abfindung

In den vergangenen Tagen hatten die Anwälte beider Seiten noch versucht, sich auf eine Abfindung zu einigen. Mutzel, dessen Vertrag beim HSV noch bis 30. Juni 2023 läuft, forderte in einem letzten Angebot die Zahlung von zweieinhalb Jahresgehältern inklusive Prämien. Sein Jahresgehalt liegt bei 335.000 Euro. Im Erfolgsfall des HSV hätte die Gesamtsumme bei rund einer Million Euro liegen können, wie Winter vorrechnete. „Das wäre für uns absolut undenkbar.“ Der HSV hatte Mutzel ein halbes Jahresgehalt für die vorzeitige Vertragsauflösung geboten.

In einer ersten Entscheidung hat das Gericht Mutzel nun recht gegeben und die Freistellung für unwirksam erklärt. „Letztlich sah die Kammer auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein nachhaltig gestörtes Vertrauensverhältnis, weil allein interne Abstimmungsschwierigkeiten und die Verweigerung der Teilung des Outlook-Kalenders hierfür nicht genügten“, hieß es.

HSV kann gegen Urteil Berufung einlegen

Der HSV kann gegen das Urteil Berufung einlegen. So oder so könnten sich die Parteien schon in drei Wochen wiedersehen. Dann wird beim nächsten Termin über eine mögliche Entfristung von Mutzels Arbeitsvertrag entschieden. Auch darauf hatte der freigestellte Sportdirektor geklagt. Dass Mutzel gute Chancen hat, einen unbefristeten Vertrag beim HSV zu erhalten, zeigten in der Vergangenheit bereits andere Fälle wie etwa bei Hannover 96. Dort hatte der ehemalige Sportchef Gerhard Zuber 2020 erfolgreich gegen seine Befristung geklagt.

Dass der HSV wiederum nicht zurückschreckt, seine Mitarbeiter zu zermürben, zeigt das Beispiel von Florian Graudegus. Der langjährige Koordinator des Leistungsbereichs im Nachwuchs wurde 2021 von seinen Aufgaben entbunden. Um ihn zu beschäftigen, musste Graudegus dann wöchentliche Konzepte für die Jugend schreiben. Interessiert haben dürfte sich beim HSV für die Inhalte niemand. Nachdem sich der Mitarbeiter in den Betriebsrat wählen ließ, ging er vor Kurzem mit einer Abfindung zu Holstein Kiel.

HSV News: In der Konstellation geht es nicht weiter

Viel größer dürfte im Fall Mutzel der Imageschaden für alle Beteiligten sein. Und dass es beim HSV in der aktuellen Konstellation nicht weitergeht, weiß seit diesem Dienstag jetzt auch jeder.