Hamburg. Spiel mit dem Feuer: HSV-Vorstand Wüstefeld geht auf Traditionsclubs zu und befindet sich im Austausch mit der aktiven Fanszene.

Am späten Sonntagabend hatte Joachim Jäger etwas mitzuteilen. Weil er sich noch immer über die Pyro-Vorfälle wenige Stunden zuvor im Braunschweiger Gästeblock ärgerte, setzte sich der Fußball-Fan aus Niedersachsen an sein Tablet und schrieb einen Leserbrief ans Abendblatt. Ihm sei „der Kragen geplatzt“ angesichts der abgebrannten Fackeln, deren Qualm in beiden Halbzeiten zur Verzögerung beim Anstoß führte. Viel lieber hätte sich Jäger über ein tolles Zweitligaspiel mit einem „glücklichen“ 2:0-Sieg des HSV gefreut sowie über „das tolle Wetter und die gute Stimmung“. Doch „einige Idioten haben den letzten Schuss nicht gehört“. Pyrotechnik und „stinkender Qualm“ hätten „in der Fußballwelt nichts zu suchen“, meint Jäger – und ist damit nicht alleine.

Das Thema spaltet die Fanszene des HSV in zwei Lager. Während einige Anhänger wie Jäger genervt von den permanenten Geldstrafen seitens des DFB sind, auch weil diese dem Club schaden, wird die aktive Fanszene auch in Zukunft nicht auf das Spiel mit dem Feuer verzichten. Beim HSV hat ein Großteil intern längst akzeptiert, dass Pyrotechnik ein Teil der Fankultur ist und auch immer sein wird.

HSV will Pyro-Allianz mit St. Pauli

Wenig Verständnis hat der Zweitligist dagegen für die Haltung des DFB, der Vorfälle wie in Braunschweig immer wieder mit fünf- bis sechsstelligen Summen sanktioniert, auch wenn die Strafen seit Jahren keine abschreckende Wirkung bei den Ultras entfalten. Um einen Ausweg aus dieser Endlosspirale zu finden, strebt der HSV nach Abendblatt-Informationen eine Allianz mit Vereinen an, die ebenfalls über eine große Anhängerschaft verfügen. Gemeinsam mit Dortmund, Schalke, Frankfurt, Köln, Bremen, Rostock, Hannover und dem FC St. Pauli will man das Gespräch mit dem DFB suchen, um die permanenten Geldstrafen entweder zu reduzieren oder auszusetzen.

Die Idee des Ganzen: Strafen sollen nur dann gezahlt werden, wenn der Verein nicht genug für ein angemessenes Abbrennen von Pyrotechnik unternehme. Der HSV, der sich auch in Person von Vorstand Thomas Wüstefeld in einem permanenten Austausch mit den Ultras befindet, ist der Meinung, durch die Arbeit von vier Fanbeauftragten genug präventive Maßnahmen zu ergreifen. Der DFB sieht das jedoch anders und will auch in Zukunft auf hohe Geldstrafen setzen, auch wenn diese das Problem in keiner Weise gelöst haben.

HSV strebt kontrollierte Pyrotechnik an

In den Gesprächen mit der aktiven Fanszene will der HSV erreichen, dass Bilder wie beim Auswärtsspiel vor drei Monaten in Kiel der Vergangenheit angehören. Damals flogen Fackeln zum Teil in umliegende Blöcke, wo auch Kinder saßen. Hinterher verhängte der DFB eine satte Strafe von 107.525 Euro. Durch weitere Vergehen in anderen Partien summierte sich das Bußgeld in der Saison 2021/22 auf 212.725 Euro. Geld, das der HSV lieber in die Mannschaft oder die anstehende Stadionsanierung investiert hätte. Stattdessen wird die Summe sogar weiter anwachsen, denn die Rechnung für die Pyro-Vorfälle beim Relegationsrückspiel gegen Hertha BSC steht noch aus.

Es wird nicht die letzte Rechnung bleiben, auch wenn der HSV hofft, dass der Einsatz von Pyrotechnik künftig nicht mehr sanktioniert wird – sofern dieser in einem sicheren Rahmen stattfindet. Deshalb soll noch in dieser Saison Pyrotechnik zum erst zweiten Mal überhaupt kontrolliert abgebrannt werden. So wie bei der Premiere vor zweieinhalb Jahren im Heimspiel gegen Karlsruhe. Voraussetzung hierfür wäre allerdings erneut eine Genehmigung der Stadt, eine Zustimmung des DFB und ein Einbeziehen der aktiven Fanszene.

Perspektivisch hofft der HSV auf die Umsetzung von Pilotstandorten, an denen das Zündeln erlaubt, aber auch eng begleitet würde. Mit diesen Ideen will der HSV bengalische Feuer in geordnete legale Bahnen lenken. So wie in Österreich, wo es bereits seit mehreren Jahren legale Pyro-Zonen gibt.

St. Pauli stellt sich gegen Pyro-Zündler

Ähnliches könnte auch eine Zielsetzung der Vereinsführung des FC St. Pauli sein, wo die Pyro-Show am Sonnabend gegen Nürnberg (3:2) allerdings überhaupt nicht gut ankam. Knapp 60 Bengalos brannten zu Beginn der zweiten Halbzeit auf der Südtribüne des Millerntor-Stadions. „Wir verstehen unser Stadion als einen Schutzraum, in dem sich Menschen respektvoll begegnen und sicher fühlen sollten. Wenn eine Aktion wie am Sonnabend so massiv und offenkundig rücksichtslos durchgezogen wird, verletzt dieses Verhalten diesen Schutzraum, und für uns ist damit eine Grenze überschritten“, teilte der FC St. Pauli auf Abendblatt-Nachfrage in einer Stellungnahme mit.

Unter den Fans auf den Stehplätzen der Südtribüne gibt es nach Abendblatt-Informationen seit geraumer Zeit Machtkämpfe zwischen rivalisierenden, eher kleineren Gruppen, die auch keinem der bekannten Fanclubs angehören. Einer dieser Gruppen wird jetzt auch die Pyro-Aktion gegen Nürnberg zugerechnet.

Auch im Millerntor-Stadion brannten am Sonnabend Fackeln.
Auch im Millerntor-Stadion brannten am Sonnabend Fackeln. © WITTERS | FrankPeters

Wie beim HSV sieht auch St. Paulis Vereinsführung die bisherige Praxis der Sanktionierung als kritisch an. „Der FC St. Pauli ist grundsätzlich der Überzeugung, dass die gemeinsame Suche nach Kompromissen und Lösungen langfristig sinnvoller ist als das Verhängen von Geldstrafen, die offenkundig auch nicht die erwünschte Wirkung zeigen. Sonst gäbe es diese Diskussion gar nicht mehr“, teilte der Verein mit.

Pyrotechnik: St. Pauli sieht vieles wie der HSV

Grundsätzlich wird innerhalb der Fanszene unterschieden zwischen Pyro, die zu einer Gesamt-Choreografie gehört, einem eher unkoordinierten, wilden Abbrennen und einem Werfen von Pyro auf das Spielfeld oder gar in den gegnerischen Fanblock. Letzteres geschah zuletzt im Rostocker Ostseestadion in den St.-Pauli-Fanblock. Die größte Anerkennung unter den Fans, also auch der Mehrheit, die keine Pyrotechnik abbrennt, haben Aktionen einer Gesamt-Choreografie.

Seit der Wiederzulassung von Fans nach dem Corona-Lockdown musste St. Pauli drei Geldstrafen für Pyro-Vergehen seiner Fans an den DFB zahlen. Die Gesamtsumme belief sich auf 54.565 Euro. Auch wenn andere Clubs wie etwa der HSV deutlich mehr berappen mussten, schmerzen diese Kosten. Auch deshalb strebt man neue Lösungen an. „Der FC St. Pauli hat sich frühzeitig für das Prüfen von beispielsweise ,kalter’ Pyrotechnik eingesetzt und kann sich eine Legalisierung in einem bestimmten Rahmen vorstellen. Bedingung dafür ist allerdings ein verantwortungsvoller Umgang vonseiten der Fans. Hier sind alle Seiten gefragt, aufeinander zuzugehen“, teilte der Club mit.

Für Fußball-Fan Jäger ist die Toleranzgrenze dagegen überschritten. „Für die Auswärtsfans muss der Zugang gesperrt werden“, fordert er. Doch genau das wollen eben weder der HSV noch St. Pauli.