Braunschweig. HSV zittert sich beim Saisonauftakt zum Auswärtssieg – und schielt auf weitere Onana-Millionen für einen neuen Stürmer.
Michael Schiele wusste gar nicht mehr, wohin mit seiner Wut. Der Trainer von Eintracht Braunschweig tobte wie ein Rumpelstilzchen, als Lion Lauberbach in der 64. Minute seine dritte Großchance ans Außennetz setzte. Es war bereits der zehnte Hochkaräter, den der Aufsteiger im Spiel gegen den HSV vergeben hatte. Und wahrscheinlich ahnte Schiele bereits, was auf ihn zukommen würde. Rund eine Stunde später saß der Trainer neben seinem Kollegen Tim Walter auf dem Podium des Braunschweiger Presseraums und schaute noch einmal auf den Statistikbogen. 24:16 Torschüsse für die Eintracht standen dort. Das Endergebnis darüber allerdings auch. 0:2 (0:0).
HSV-Coach Walter wiederum wusste, bei dem er sich für den Auftaktsieg in Liga zwei bedanken musste. „Gott sei Dank hatten wir Ferro. Und Bobby ist für uns auch Gold wert.“ Ferro und Bobby, beim HSV besser bekannt als Daniel Heuer Fernandes und Robert Glatzel, waren die zwei entscheidenden Figuren der Hamburger, die an der Hamburger Straße in Braunschweig eine Stunde lang große Probleme hatten.
HSV in Braunschweig zu „selbstsicher“?
„Vielleicht waren wir zu selbstsicher“, sagte Glatzel eine Woche nach dem 5:1-Sieg bei der Generalprobe beim Schweizer Vizemeister FC Basel. In jedem Fall brauchte der HSV eine Menge Glück und Glanzparaden, um gegen den forsch konternden Aufsteiger nicht in Rückstand zu geraten.
Fabio Kaufmann (3./57.), Jan-Hendrik Marx (11./30.), Lauberbach (14./64.), Immanuel Pherai (18./32./46.) und Philipp Strompf (45.) vergaben fast im Fünf-Minuten-Takt Chancen, die normalerweise für drei Spiele reichen würden. Doch entweder stand Heuer Fernandes im Weg, oder die Eintracht zielte zu ungenau. Womöglich hätte den Braunschweigern auch ein halber Glatzel gereicht, um eine der vielen Großchancen zu nutzen.
Am Ende aber jubelte der ganze Glatzel gleich zweimal für den HSV. Zunächst fiel dem Torjäger der Ball nach einer kurz ausgeführten Ecke, einem Schuss von Ludovit Reis und einem Kopfball von Mario Vuskovic vor die Füße (67.), dann schraubte sich „Air Glatzel“ nach einer Eins-gegen-eins-Situation von Xavier Amaechi und einer perfekt getimten Flanke in die Luft, vollendete zum 2:0 für den HSV (76.).
HSV-Coach Walter wurde laut
Innerhalb weniger Minuten hatten die Hamburger die Chancenverteilung auf den Kopf gestellt und die Entscheidung herbeigeführt. „Wir haben das Balltempo erhöht, sind besser in die Box gekommen, haben den Gegner aus dem Spiel genommen“, sagte Walter und sprach von einem „verdienten Sieg“. Zur Wahrheit gehört aber, dass ein Braunschweiger Erfolg genauso verdient gewesen wäre. Glatzel: „Die erste Halbzeit war überhaupt nicht gut von uns. Unsere Konterabsicherung war richtig schlecht.“
Walter wurde in der Halbzeit entsprechend laut. „Ich hatte Redebedarf. Lauten Redebedarf“, sagte der Trainer und gab einen Einblick in sein Seelenleben. „Du stehst da außen, bist ratlos und fragst dich, was wir die vergangenen vier Wochen so gemacht haben. Deswegen gab es in der Kabine ein paar klare Worte. Man hat gesehen, dass diese gefruchtet haben.“
HSV benötigt Glatzel-Alternative
Deutlich besser wurde es aber erst nach den Hereinnahmen von Maximilian Rohr und Amaechi nach einer guten Stunde. Vor allem der Engländer brachte richtig Schwung in das ideenlose Angriffsspiel des HSV. Auf Rechtsaußen machte Amaechi seinem Trainer und Sportvorstand Jonas Boldt deutlich, dass sie die Suche nach einem neuen Flügelstürmer einstellen und den Schwerpunkt auf das Fahnden eines weiteren Mittelstürmers und eines Rechtsverteidigers legen können.
Weil Robin Meißner vor einem Wechsel zum Drittligisten Viktoria Köln steht, braucht der HSV unbedingt eine Alternative für den Fall, dass Glatzel ausfallen sollte. Keine einfache Aufgabe, schließlich hat der 28-Jährige in der vergangenen Saison nicht ein Spiel verpasst. Doch das Risiko wäre für den Club zu groß, den möglichen Aufstieg zu gefährden, wenn sich der Stürmer doch einmal verletzen sollte.
Um weitere Spieler zu verpflichten, fehlen trotz des Verkaufs von Josha Vagnoman aktuell noch die finanziellen Möglichkeiten. Helfen könnte ein Wechsel von Amadou Onana von OSC Lille in die Premier League. Laut „Sky Sports“ hat West Ham United für den ehemaligen HSV-Profi eine Ablöse von 38 Millionen Euro geboten. Der HSV, der den Belgier vor einem Jahr für 7,5 Millionen Euro an Lille verkauft hatte, ist mit 20 Prozent an der Summe beteiligt, die über dem Preis des vergangenen Jahres liegt. Bei einer Differenz von 30 Millionen Euro könnten die Hamburger also noch einmal eine Summe von sechs Millionen Euro erhalten.
Geht HSV mit Onana-Millionen shoppen?
Viel Geld für den klammen Club, der durch die notwendige Sanierung des Volksparkstadions vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen steht.
Umso ärgerlicher ist es für den HSV, dass die mitgereisten Ultras am Sonntag mit einem blau-weißen Silvesterfeuerwerk vor dem Spiel im Eintracht-Stadion einmal mehr für eine hohe Rechnung gesorgt haben. Die Hamburger kriegen das Pyro-Problem mit ihren Anhängern einfach nicht in den Griff. Angesichts des erfolgreichen Saisonstarts dürfte sich die Clubführung am Sonntag aber nicht allzu sehr darüber geärgert haben.
Einig waren sich die Verantwortlichen an diesem Nachmittag aber über eines: Das Spielglück ist für die nächsten Wochen erst mal aufgebraucht.
Die Statistik:
- Braunschweig: Hoffmann – Marx (76. Henning), Decarli, Behrendt, Strompf (76. Ihorst), Kijewski – Krauße (77. Multhaup), Nikolaou – Pherai (88. Donkor) – Kaufmann, Lauberbach (88. Schultz). – Trainer: Schiele
- HSV: Heuer Fernandes – Heyer, Vuskovic, Schonlau, Muheim (90. +3 Leibold) – Meffert – Reis, Benes (61. Rohr) – Königsdörffer (61. Amaechi), Glatzel (90. +3 Bilbija), Kittel. – Trainer: Walter.
- Tore: 0:1 Glatzel (67.), 0:2 Glatzel (76.)