Hamburg. HSV-Vorstand informiert die Stadt beim Stadion-Gipfel über den Stand der Sanierung. Die EM sei ein Minusgeschäft. Politiker in Sorge.
Der Andrang in der ersten Etage des Hamburger Rathauses war groß am Montagnachmittag. 13 Mitglieder des Sportausschusses der Bürgerschaft unter dem Vorsitzenden Marc Schemmel (SPD), fünf Senatsvertreter um Sportsenator Andy Grote (SPD) sowie sechs Medienvertreter und fünf Gäste versammelten sich in Raum 151. So viel Aufmerksamkeit hat das Kontrollgremium nach den Aussagen mehrerer Beteiligter noch nie bekommen. Diese Tatsache hatte vor allem einen Grund: Thomas Wüstefeld.
Der HSV-Vorstand war zur jährlichen Berichtspflicht über die Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen am Volksparkstadion geladen, die im Zuge des Grundstücksverkaufs für 23,5 Millionen Euro an die Stadt vereinbart worden war. Und zu bereden gab es einiges. Wüstefeld, graues Sakko, hellblaues Hemd, dunkelblaue Chino und weiße Sneaker, machte gleich zu Beginn deutlich, dass „das Volksparkstadion in die Jahre gekommen“ sei. Deshalb gebe es zwei Bausteine für den Club: Uefa-bedingte Sanierungsarbeiten, die vertraglich fixiert sind, um die fünf Spiele der EM 2024 in Hamburg auszutragen, sowie Maßnahmen, die wegen Verschleißerscheinungen an der maroden Arena ohnehin notwendig seien.
„Wir sind bei vielen Themen kurz davor, Aufträge zu erteilen, und sondieren aktuell die Angebote“, sagte Wüstefeld und zählte auf, um welche Arbeiten es konkret gehe. Die Dachmembran müsse aus statischen Gründen nachgebessert und über die Jahre ausgetauscht werden. Dies sei ein „großes Thema“, welches allerdings „nur mittelbar mit der EM zu tun“ habe, räumte der Clubchef ein und gab die Kosten mit einem zweistelligen Millionenbetrag an.
HSV-Stadion marode: Überall fehlen Millionen
Eine von der Uefa verlangte Maßnahme sei dagegen der Austausch der Flutlichtanlage, die momentan nur den Anforderungen der Zweiten Liga, nicht aber der Bundesliga und schon gar nicht der Uefa genüge. Diesbezüglich habe sich der HSV bereits für einen Auftragnehmer entschieden. Immerhin. Kosten soll diese Maßnahme laut Wüstefeld „mehr als fünf Millionen Euro.“
In direktem Zusammenhang stehe auch die Erneuerung der Beschallungsanlage, für die eine finale Ausschreibung erfolgt sei. Zudem müsse die Stromversorgung komplett neu errichtet werden – und zwar jede Leitung bis zum Flutlicht. Geschätzte Kosten: Mehr als fünf Millionen Euro. „Die gesamte Versorgungstechnik muss erneuert werden. Das betrifft den kompletten Volkspark“, sagte Wüstefeld, der noch eine zentrale Maßnahme nannte: Die Erweiterung der sanitären Anlagen.
An dieser Stelle räumte der 53-Jährige erstmals ein, dass der Zeitplan bis zur EM 2024 möglicherweise nicht eingehalten werden könne. „Wenn wir es baulich nicht schaffen, werden wir auf externe WC-Container umsteigen.“ Diese für eine Europameisterschaft ungewöhnlich klingende Maßnahme sei mit der Uefa besprochen worden.
Stadionsanierung: Stadt kritisiert HSV für Zeitplan
Zu besprechen mit dem Fußball-Verband gibt es auch noch eine Lösung für die Klimatechnik. Die Uefa verlange, einheitliche Temperaturen in den VIP-Bereichen sowie in den Umkleidekabinen zu gewährleisten. Das Problem des HSV ist vor allem, dass die Gästekabine nicht über eine entsprechende Klimaanlage verfügt. Die Kosten hierfür taxiert Wüstefeld auf sechs bis sieben Millionen Euro. Deshalb befänden sich die Hamburger in Gesprächen mit der Uefa, ob auch deutlich günstigere ferngesteuerte Raumkühler eingesetzt werden könnten. Hoffnung macht dem HSV, dass diese zuletzt unter dem Deckmantel der Uefa während eines Länderspiels in Budapest erfolgreich getestet wurden.
Des Weiteren müssen die Rollstuhlplätze von 40 auf mindestens 130 (die Uefa forderte zunächst 200) temporär erweitert sowie die Drehkreuze erneuert werden. Insgesamt schätzt Wüstefeld die Kosten für alle Arbeiten auf inzwischen rund 40 Millionen Euro. Offiziell sagte er auf Nachfrage von Juliane Timmermann (SPD), die eine ursprüngliche Kalkulation des HSV aus dem April 2020 zitierte, als die EM-bedingten Maßnahmen mit 9,8 Millionen Euro angegeben worden sein sollen: „Ich kann keine konkreten Zahlen nennen, bekanntlich hat sich alles verteuert.“
Etwas konkreter wurde Wüstefeld beim angestrebten Zeitplan. Dieser sehe vor, die Arbeiten während der zweimonatigen Spielpause von Mitte November bis Ende Januar 2023 wegen der Winter-WM in Katar sowie in der im März angesetzten Länderspielpause durchzuführen. Daran äußerten mehrere Ausschussmitglieder allerdings gehörigen Zweifel. „Für mich fühlt es sich zeitlich sehr eng an“, sagte Maryam Blumenthal (Grüne) und warf Wüstefeld vor, dass er noch immer prüfe, welche Maßnahmen konkret umgesetzt werden sollen. Angesichts der größtenteils noch nicht in Auftrag gegebenen Sanierungsarbeiten sorgt sich auch SPD-Politikerin Timmermann um die rechtzeitige Umsetzung und beklagt die vielen Unklarheiten. „Es erstaunt mich, dass Sie nicht längst weiter sind. Wir hatten vor zwei Jahren bereits ähnliche Diskussionen geführt.“
Wüstefeld räumte zwar ein, dass der HSV vor „Herausforderungen“ stünde. Er besänftigte aber zugleich die besorgten Gemüter: „Wir befinden uns in einem klaren Fahrplan und gehen sehr sensitiv mit den einzelnen Themen um. Uns ist völlig klar, was wir vertraglich umzusetzen haben. Wenn die Uefa darauf besteht, haben wir keine andere Wahl“, sagte Wüstefeld und kündigte einen neuen Kenntnisstand für in drei Monaten an.
Mit welchem Geld soll HSV-Stadion saniert werden?
Bis dahin muss auch das Problem der weiterhin offenen Finanzierung geklärt sein. Wie berichtet, ist es dem HSV alleine wegen der gestiegenen Zinsen nicht möglich, die Sanierungsarbeiten durch Kredite von Banken zu finanzieren. Auch Investor Klaus-Michael Kühne steht für weitere Millionen nicht zur Verfügung. Und von den 23,5 Millionen Euro der Stadt ist kaum noch etwas übrig, wie Wüstefeld auf Nachfrage von Sören Schumacher (SPD) zu Protokoll gab. „Das Geld steht in der Form nicht mehr zur Verfügung, weil es von den Kollegen vor mir (unter anderem Frank Wettstein; d. Red.) für das operative Geschäft sowie coronabedingte Kosten genutzt wurde.“ Nun arbeite der HSV-Vorstand an mehreren Konzepten, um die Kosten zu decken. Um welche Ideen es sich dabei genau handeln soll, ließ er offen.
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Zugleich ließ Wüstefeld durchblicken, dass er dem Stadiondeal mit der Stadt, für den der HSV einst gelobt und Vertreter der Stadt hart kritisiert wurden, nicht zugestimmt hätte, wenn er damals schon im Amt gewesen wäre. „Die EM ist aus wirtschaftlicher Sicht ein Minusgeschäft für den HSV.“ So kalkuliere der Club mit Einnahmen in Höhe von fünf bis sieben Millionen Euro für die fünf Partien. Nach Abzug der Durchführungskosten blieben nur noch 2,2 Millionen Euro auf der Habenseite übrig. Eine Summe, die für die Rückfinanzierung der EM-bedingten Sanierungsarbeiten benötigt werde. „Umso fraglicher ist es, wie damals kalkuliert wurde“, sagte Wüstefeld und legte deutlich nach: „Ich habe den Vertrag nicht unterschrieben.“
Die Verantwortung für den Vertrag weist Wüstefeld also von sich. Bei seiner zuletzt gewählten Kommunikation räumte er dagegen eigene Fehler ein. Mehreren Ausschussmitgliedern missfiel, dass der HSV-Vorstand in den zurückliegenden Wochen mehrfach öffentlich die EM in Hamburg infrage gestellt hatte – zuletzt auf der Mitgliederversammlung vor zwei Wochen. „Wir haben wahrgenommen, dass wir anders kommunizieren müssen“, gestand Wüstefeld. Timmermann erinnerte den Clubchef daran, dass der HSV doch schließlich ein vertragstreuer Partner sei.
Doch diese Vertragstreue scheint nun zu schier unüberschaubaren Kosten zu führen.