Hamburg. Die Staatsanwaltschaft setzt ein Ausrufezeichen und will den HSV-Profi nun doch vor Gericht bringen. Es bleiben viele Fragezeichen.

Als Bakery Jatta am Montagmorgen durch den verschneiten Volkspark joggte, schien die Welt des Gambiers noch in Ordnung. Der HSV hatte am Vortag zwar unglücklich 0:1 in Hannover verloren, doch irgendwie auch gut gespielt. Besonders Jatta, der an fast allen entscheidenden Szenen des Spiels beteiligt war, hatte sich eine gute Benotung verdient.

Doch über die Partie, Jattas Spiel und die Frage, ob er vor dem vermeintlichen 0:1 im Abseits stand und vor dem tatsächlichen 1:0 gefoult wurde, wollte kurze Zeit nach Jattas Rückkehr von seiner Joggingrunde schon niemand mehr etwas wissen.

Bakery Jatta: Staatsanwalt erhebt Anklage

Der Grund hierfür wurde um 12.19 Uhr von der Staatsanwaltschaft Hamburg verschickt. In dem offiziellen Kommuniqué der Behörde hieß es in der Überschrift: „Anklage im Fall ,Jatta‘ erhoben“. Dass der Name des HSV-Profis dabei in Anführungszeichen gesetzt wurde, gab bereits die Richtung für das vor, was im Verlauf der Pressemitteilung folgen sollte: „Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat gegen den Fußballprofi des Hamburger Sportvereins ,Bakery Jatta‘, bei dem es sich nach Auffassung der Behörde um Bakary Daffeh handelt, Anklage vor dem Jugendrichter des Amtsgerichts Hamburg-Altona erhoben.“

Demnach werden dem 23-Jährigen „Vergehen gegen das Aufenthaltsgesetz in vier Fällen sowie in einem weiteren Fall mittelbare Falschbeurkundung vorgeworfen“. Laut der Staatsanwaltschaft habe sich der Geflüchtete am 18. August 2015 beim „Amt für soziale Dienste“ in Bremen fälschlicherweise als Bakery Jatta ausgegeben, um sich „wegen der behaupteten Minderjährigkeit und der sich daraus ergebenen Abschiebehindernisse eine Duldung“ zu erschleichen.

Ein schwerer Vorwurf, der nach dem Willen der Hamburger Staatsanwaltschaft nun final vor Gericht geklärt werden soll. Über ihre Pressemitteilung hinaus gab sich die Staatsanwaltschaft am Montag bedeckt – man werde keine weiteren Angaben zu belastenden Indizien und möglichen Beweisen machen.

Was HSV-Profi Bakery Jatta jetzt droht

Im Gespräch mit dem Abendblatt hatte Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich zuletzt auf Nachfrage zur langen Verfahrensdauer betont, dass viele Ermittlungsschritte gegangen worden seien. „Es mussten Unterlagen auswärtiger Behörden beigezogen und ausgewertet, auswärtige Zeugen vernommen, Finanztransaktionen nachvollzogen und digitale Speichermedien untersucht werden. Die Staatsanwaltschaft hat außerdem ein anthropologisch-morphologisches Gutachten in Auftrag gegeben“, so Fröhlich.

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Sollte das Gericht die Anklage zulassen und Bakery Jatta tatsächlich verurteilt werden, droht ihm im schlimmsten Fall sogar eine Haftstrafe. Das Aufenthaltsgesetz sieht in Paragraf 95 eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe für Ausländer vor, die „unrichtige oder unvollständige Angaben machen, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen“.

Im Jugendstrafrecht (bis zum Alter von 21 möglich) steht allerdings sehr viel eher der erzieherische Gedanke und nicht die Strafe im Vordergrund. Experten würden sogar bei einer Verurteilung von lediglich einer Geldstrafe ausgehen. Ohnehin steht noch gar nicht fest, ob es auch wirklich zu der von der Staatsanwaltschaft angestrebten Hauptverhandlung kommt.

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Jatta-Anwalt will Prozess verhindern

Jattas Rechtsanwalt Thomas Bliwier will es so weit gar nicht erst kommen lassen. Er reagierte mit Unverständnis auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft und kündigte an, einen Gerichtsprozess noch verhindern zu wollen. „Wir können das nicht nachvollziehen“, sagte Bliwier dem Abendblatt. „Bereits das Bezirksamt hat die Echtheit der Dokumente meines Mandanten eingehend geprüft. Nach wie vor sind uns keine begründeten Zweifel an der Authentizität bekannt. Aus meiner Sicht gibt es insgesamt keinen hinreichenden Tatverdacht für eine Anklage“, so der Strafverteidiger weiter.

Alle Beteiligten rechnen auch nicht damit, dass es schnell zu einer rechtskräftigen Entscheidung kommt – auch wenn das Gericht in Altona die Anklage der Staatsanwaltschaft zulässt.

„Sollte es zu einer Hauptverhandlung kommen, werden wir unseren Mandaten verteidigen und sehen dem weiteren Verfahren gelassen entgegen“, sagte Bliwier, der innerhalb der Frist Einwand gegen die Anklage erheben will, die ihm von der Staatsanwaltschaft bereits am 19. November zugestellt worden war.

Bakery Jatta: Mangelt es an Beweisen?

Zuvor hatte der Strafverteidiger bereits mehrfach Kritik daran geäußert, dass es aus seiner Sicht keine klaren belastenden Indizien gegen seinen Mandanten gebe. Auch ein von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten der Universität Freiburg, das Jatta belastete, sah die Verteidigung als wenig aussagekräftig an.

Zuletzt hatte Bliwier selbst Druck auf die Ermittler ausgeübt. Er forderte in einem Beweisantrag, dass die Staatsanwaltschaft auch in Gambia ermitteln solle. Bislang gebe es nämlich nicht einmal einen Spielerpass oder einen anderen handfesten Beleg für die Existenz von Bakary Daffeh. Selbst wenn dieser wirklich existieren sollte, sei nicht belegt, ob Daffeh oder Jatta die mögliche falsche Identität sei.

Nach Abendblatt-Informationen ist in Jattas Umfeld davon die Rede, dass man von keinen neuen belastenden Indizien gegen den HSV-Spieler wisse. Es sei überraschend, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Anklage allein auf das Gutachten der Uni Freiburg sowie die offensichtliche Ähnlichkeit von Jatta und Daffeh stützen wolle. Zudem sei man vom Zeitpunkt der Veröffentlichung der Staatsanwaltschaft sehr überrascht.

HSV setzt weiter auf Bakery Jatta

Jatta selbst wurde bereits am Freitag über die neue Wendung in seinem Fall aufgeklärt – zeigte sich aber zumindest im Spiel gegen Hannover wenig beeindruckt von dem drohenden Prozess. Auch beim HSV reagierte man gelassen auf die Ankündigung der Staatsanwaltschaft. Überlegungen, Jatta wegen drohender Proteste anderer Clubs nicht aufzustellen, gebe es nicht, wurde dem Abendblatt versichert. Auch nicht nach der Ankündigung des Vorsitzenden des DFB-Kontrollausschusses, Anton Nachreiner, der via „Bild“ ankündigte, „das Ermittlungsverfahren in Sachen Bakery Jatta fortzusetzen“.

Bakery Jatta: Neue Proteste gegen HSV?

Fachleute halten es ohnehin für wenig wahrscheinlich, dass der Kontrollausschuss zu neuen Erkenntnissen kommt. „Ich gehe davon aus, dass Bakery Jatta die aktuelle Spielerlaubnis aufgrund von ordnungsgemäß erteilten Dokumenten erhalten hat. Auf dieser Grundlage sollte es für ihn und den HSV keine Probleme geben. Ich halte es für fernliegend, dass dann Clubs Protest einlegen“, sagt Sportrechtler Horst Kletke dem Abendblatt. „Und ich würde noch gerne hinzufügen, dass es ohnehin besser wäre, wenn Mannschaften – von besonderen Ausnahmefällen abgesehen – Spiele auf dem Platz und nicht am grünen Tisch gewinnen.“

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HSV-Fans unterstützen Bakery Jatta

Genau darauf setzen auch die HSV-Fans, die seit Beginn der Debatte über einen mutmaßlichen Identitätsschwindel, initiiert durch die „Sport Bild“, keinen Zweifel an ihrer Unterstützung für Jatta aufkommen ließen.

Auch am Montag dauerte es nicht lange, ehe die Abteilung der Supporters in den sozialen Netzen ihre Solidarität mit Jatta erneuerte: „Wir machen unsere Solidarität weder von Untersuchungen der Generalstaatsanwaltschaft noch von Namen abhängig“, hieß es, und weiter: „Unsere Solidarität gilt Bakery als Menschen. Einem Menschen, der in unserer Stadt und unserem Verein nach langer Reise eine neue Heimat gefunden hat. Du bist einer von uns, Baka – und so bleibt es für immer!“

Die Chronologie im Fall Bakery Jatta

  • 7. August 2019: Die „Sport Bild“ fragt auf ihrem Titel: „Spielt HSV-Star Jatta mit falscher Identität?“ Der Verdacht: Er heißt in Wahrheit Bakary Daffeh und ist am 6. November 1995 geboren – und nicht am 6. Juni 1998. Der 1. FC Nürnberg legt noch am gleichen Tag Einspruch gegen das 0:4 ein. 8. August 2019: „Bild“ titelt: „Jatta drohen 5 Jahre Haft und die Abschiebung“. 13. August 2019: Das Bezirksamt Hamburg-Mitte bittet Jatta bis zum 23. August um eine Stellungnahme. 15. August 2019: Jatta fliegt mit den HSV-Chefs nach Frankfurt, wo er beim DFB vorsprechen muss. 19. August: 2019: Nach Nürnberg unternimmt auch Bochum juristische Schritte. 25. August: In Karlsruhe wird Jatta ausgepfiffen und rassistisch beleidigt. Auch der KSC legt Einspruch ein.
  • 30. August 2019: Jattas Anwalt Thomas Bliwier (hatte eine Fristverlängerung beantragt) reicht beim Bezirksamt Unterlagen ein, die die Identität Jattas beweisen sollen: einen gültigen Reisepass sowie eine von gambischen Behörden beglaubigte Geburtsurkunde und die eidesstattliche Versicherung eines zuständigen Beamten.
  • 2. September 2019: Die Ermittlungen des Bezirksamts gegen Jatta werden eingestellt. Daraufhin ziehen die drei Zweitligaclubs ihre Einsprüche zurück.
  • 20. September 2019: „Bild“ berichtet, dass sich Jatta mit einer Daffeh-E-Mail-Adresse 2015 bei den Behörden angemeldet habe. 17. Oktober 2019: Die Bremer Staatsanwaltschaft schließt die Akte Jatta.
  • 8. Januar 2020: Die Staatsanwaltschaft Hamburg eröffnet – was erst später bekannt wird – ein Ermittlungsverfahren, nachdem es einen anonymen Brief der „Gemeinschaft Besorgter Bürger“ mit einer Strafanzeige gegen den HSV, den damaligen Trainer Dieter Hecking und den DFB gegeben hatte. Im Zuge der anschließenden Ermittlungen fallen den Behörden Kontakte Jattas zu Fußballern aus dem Senegal, Gambia und Nigeria auf, die früher auch mit Daffeh in Verbindung gestanden haben sollen. 20. Februar 2020: Jatta äußert sich im Vereinsmagazin „HSV live“ zu den Vorwürfen: „Ich wurde öffentlich an den Pranger gestellt. Aber wofür? Was hatte ich verbrochen? Ich habe mich gefühlt, als wollte man mich wegsperren, mich ins Gefängnis stecken.“ Und: „Zu Hause ist da, wo man Frieden findet. Und ich habe hier meinen Frieden gefunden.“
  • 2. Juli 2020: Unliebsamer Besuch für Jatta in seiner Wohnung: Die Staatsanwaltschaft führt eine Hausdurchsuchung durch. Ihm wird der „Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz“ vorgeworfen. Mehrere elektronische Datenträger Jattas wie ein Handy und ein Laptop werden sichergestellt.
  • 10. Juli 2020: HSV-Ultras vom Fanprojekt „Nordtribüne Hamburg“ fordern ein Ende der Ermittlungen und „die Rück­gabe aller beschlagnahmten Geräte“.
  • 27. Juli 2020: Bliwier bezeichnet die Vorwürfe als „zu Unrecht erhoben“ und erwartet die Einstellung des Verfahrens.
  • 7. Mai 2021: Die Uni Freiburg veröffentlicht ein von der Hamburger Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass Jatta und Daffeh mit hoher Wahrscheinlichkeit dieselbe Person seien.
  • 11. August 2021: Bliwier fordert die Behörden auf, endlich auch in Gambia zu ermitteln, wenn man denn weiterhin Verdacht gegen seinen Mandanten hege.
  • 6. Dezember 2021: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Jatta.
  • 8. März 2022: Das Amtsgericht Hamburg-Altona lehnt die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Damit gilt Jatta offiziell als unschuldig.
  • 14. März 2022: Die Staatsanwaltschaft legt Beschwerde gegen den richterlichen Beschluss ein.
  • 6. April 2022: Das Amtsgericht lehnt ein Befangenheitsgesuch der Staatsanwaltschaft gegen Richter Volker Stegmann ab.
  • 8. Juli 2022: Das Hamburger Landgericht lehnt die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ab. Zu einem Verfahren in der Identitätsdebatte wird es somit nicht kommen. Weitere Rechtsmittel sind ausgeschlossen. Jatta ist Jatta.