Hamburg. Der Gambier soll laut Staatsanwaltschaft in Wirklichkeit Bakary Daffeh heißen. Anwalt des Fußballprofis reagiert mit Unverständnis.
Spektakuläre Wende im Fall Bakery Jatta (23). Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat gegen den HSV-Profi Anklage erhoben. „Dem Angeschuldigten werden Vergehen gegen das Aufenthaltsgesetz in vier Fällen sowie in einem weiteren Fall mittelbare Falschbeurkundung vorgeworfen“, heißt es in einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft am Montag. Es wird vor einem Jugendrichter verhandelt, weil Jatta mehrere Vergehen vorgeworfen werden, der Großteil davon aber nach dem Jugendrecht zu beurteilen wäre.
Droht HSV-Profi Jatta eine Haftstrafe?
Über ihre Pressemitteilung hinaus gab sich die Staatsanwaltschaft am Montag bedeckt – man werde keine weiteren Angaben zu belastenden Indizien und möglichen Beweisen machen. Im Gespräch mit dem Abendblatt hatte Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich zuletzt auf Nachfrage zur langen Verfahrensdauer betont, dass viele Ermittlungsschritte gegangen worden seien. „Es mussten Unterlagen auswärtiger Behörden beigezogen und ausgewertet, auswärtige Zeugen vernommen, Finanztransaktionen nachvollzogen und digitale Speichermedien untersucht werden. Die Staatsanwaltschaft hat außerdem ein anthropologisch-morphologisches Gutachten in Auftrag gegeben“, so Fröhlich.
Sollte das Gericht die Anklage zulassen und Bakery Jatta tatsächlich verurteilt werden, droht ihm im schlimmsten Fall sogar eine Haftstrafe. Das Aufenthaltsgesetz sieht in Paragraf 95 eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe für Ausländer vor, die „unrichtige oder unvollständige Angaben machen, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen“.
Fall Bakery Jatta: Was dem HSV-Profi droht
Außerdem würde Jatta bei einer Verurteilung der Verlust seines Aufenthaltstitels und schlimmstenfalls eine Abschiebung drohen. Einen festgelegten Mechanismus gibt es hierfür aber nicht. Vielmehr wägt die Ausländerbehörde bei belegten Fällen die Gesamtsituation und das Verhalten der Betroffenen ab. Sind sie bereits früher in Deutschland straffällig geworden? Als wie schwer sah das Gericht die Vergehen an und welche Strafe verhängte es? Gehen die Betroffenen einer festen Arbeit nach, sind gut integriert?
Auch im Gerichtsverfahren selbst spielen die persönlichen Umstände eine Rolle. Gerade im Jugendstrafrecht steht der erzieherische Gedanke und nicht die Strafe im Vordergrund.
Wenn eine falsche Identität festgestellt wurde, muss häufig erst einmal sicher geklärt werden, wie der tatsächliche Name und das Geburtsdatum von Betroffenen lauten. Solange sie über keine gültigen Papiere über ihren echten Namen verfügen, werden Asylbewerber und Geflüchtete zunächst in der Regel geduldet und versucht, neue Ausweispapiere für sie zu beschaffen.
Ausländerbehörde schweigt im Fall Jatta
Zum konkreten Fall des HSV-Spielers wollte sich die Ausländerbehörde am Montag nicht äußern. „Ein mögliches Urteil muss abgewartet werden, bevor sich eine ausländerrechtliche Prüfung anschließt“, so ein Sprecher. Auch die Staatsanwaltschaft betonte, dass für Jatta trotz der Anklage noch die Unschuldsvermutung gelte. Alle Beteiligten rechnen nicht damit, dass es schnell zu einer rechtskräftigen Entscheidung kommt – auch wenn das Gericht in Altona die Anklage der Staatsanwaltschaft zulässt.
Anklage gegen Bakery Jatta: Anwalt reagiert
Der renommierte Rechtsanwalt Thomas Bliwier, der Bakery Jatta vertritt, reagierte derweil mit Unverständnis auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft und kündigte an, einen Gerichtsprozess noch verhindern zu wollen. „Wir können das nicht nachvollziehen“, sagte Bliwier dem Abendblatt. „Bereits das Bezirksamt hat die Echtheit der Dokumente meines Mandanten eingehend geprüft. Nach wie vor sind uns keine begründeten Zweifel an der Authentizität bekannt. Aus meiner Sicht gibt es insgesamt keinen hinreichenden Tatverdacht für eine Anklage“, so der Strafverteidiger weiter.
Innerhalb der gegebenen Frist werde man Einwand gegen die Anklage erheben. „Sollte es dennoch zu einer Hauptverhandlung kommen, werden wir unseren Mandaten verteidigen und sehen dem weiteren Verfahren gelassen entgegen“, sagte Bliwier.
Jatta-Anwalt übte Druck auf Ermittler aus
Der Strafverteidiger hatte bereits mehrfach Kritik daran geäußert, dass es aus seiner Sicht keine klaren belastenden Indizien gegen seinen Mandanten gebe. Auch ein von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten der Universität Freiburg, das Jatta belastete, sah die Verteidigung als wenig aussagekräftig an.
Zuletzt hatte Bliwier selbst Druck auf die Ermittler ausgeübt: Er forderte in einem Beweisantrag, dass die Staatsanwaltschaft auch in Gambia ermitteln solle. Bislang gebe es nämlich nicht einmal einen Spielerpass oder einen anderen handfesten Beleg für die Existenz von Bakary Daffeh. Selbst wenn dieser wirklich existieren sollte, sei nicht belegt, ob Daffeh oder Jatta die mögliche falsche Identität sei.
Nach Abendblatt-Informationen ist in Jattas Umfeld davon die Rede, dass man von keinen neuen belastenden Indizien gegen den HSV-Spieler wisse. Es sei überraschend, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Anklage allein auf das Gutachten der Uni Freiburg sowie die offensichtliche Ähnlichkeit von Jatta und Daffeh stützen wolle.
Anklage gegen Bakery Jatta: DFB reagiert
Der Deutsche Fußball-Bund wartet vor einer möglichen Entscheidung im Fall Bakery Jatta das staatliche Verfahren ab. „Der Kontrollausschuss des DFB führt das Ermittlungsverfahren in Sachen Bakery Jatta fort. Im Hinblick auf die neue Sachlage werden wir zunächst das Ergebnis des staatlichen Verfahrens abwarten“, erklärte Anton Nachreiner, der Vorsitzende des Kontrollausschusses.
Das Kontrollorgan des DFB hatte vor mehr als zwei Jahren die Causa Jatta geprüft und am 15. August 2019 unter anderem den Spieler befragt.
Zweifel an Identität von HSV-Profi Bakery Jatta
Jatta war vor sechseinhalb Jahren als Flüchtling ohne Pass und Aufenthaltstitel nach Deutschland gekommen. Dort gab er sich als 17-Jähriger aus. Deshalb fiel er in die Kategorie „Unbegleitete Minderjährige in Deutschland“. Seit zwei Jahren gab es Gerüchte, dass Jatta eigentlich Bakary Daffeh heißen und drei Jahre älter sein soll.
Seine beiden Jugendtrainer Ibou Diarra und Mustapha Manneh, die behaupten, Daffeh trainiert zu haben, bestätigten der "Sport Bild", die zuerst über das Thema berichtet hatte, am 7. August 2019 anhand vorgelegter HSV-Fotos, dass es sich bei Bakery Jatta um ihren Spieler Bakary Daffeh aus Afrika handeln soll. Unmittelbar danach legte der 1. FC Nürnberg Einspruch gegen die 0:4-Pleite zwei Tage zuvor ein.
Am 13. August 2019 wurde derweil Jatta vom Bezirksamt Hamburg Mitte aufgefordert, sich innerhalb von zehn Tagen zu den Vorwürfen zu äußern.
Fall Jatta: Clubs legten Protest ein
Äußern musste sich Jatta vier Tage später auch in der Zentrale der Deutschen Fußball-Liga (DFL) in Frankfurt. Gemeinsam mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann, dem aktuellen HSV-Chef Jonas Boldt sowie Anwalt Thomas Bliwier sowie Berater Efe-Firat Aktas musste Jatta vor dem Kontrollausschuss seinen Lebenslauf erklären und Dokumente vorlegen.
Der "Fall Jatta" nahm auch immer mehr Einfluss auf den Fußball. Nach dem 1. FC Nürnberg legten auch der VfL Bochum (1:0) und der Karlsruher SC (4:2) Protest gegen die jeweiligen Spielwertungen ein. Beim KSC-Spiel wurde Jatta von den Rängen übel ausgepfiffen und beleidigt.
Bakery Jatta besitzt beglaubigte Dokumente
Ende August 2019 legte Jattas Anwalt Bliwier bei den Behörden Unterlagen vor, die die Identität Jattas endgültig beweisen sollten: Dazu gehörte ein gültiger Reisepass sowie ein Auszug aus dem gambischen Geburtenregister mit Jattas Daten. Darüber hinaus lag auch eine eidesstattliche Versicherung eines zuständigen Beamten vor. So hatte beispielsweise die Hamburger Innenbehörde im August 2019 den Reisepass von Jatta geprüft und keinerlei Beanstandung geäußert.
Am 2. September erklärte Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (45) daher, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde, weil keinerlei Beweise für eine Identitätstäuschung gefunden wurden. Anschließend zogen sowohl der VfL Bochum als auch der KSC den Einspruch gegen die Spielwertungen zurück.
Zehn Tage später äußerte sich erstmals auch Bakery Jatta selbst über die Ermittlungen gegen ihn. Auf Instagram schrieb er damals: "Viele Menschen haben mich gefragt, ob ich etwas sage, um den Berichten, den Menschen und der Hexenjagd entgegenzuwirken. Meine einfache Antwort, warum ich die Attacken nicht kontere: Ich bin nicht wie diese Menschen! Ich bin gesegnet, dass ich die Möglichkeit bekam, hier zu sein. Ich lebe jetzt ein besseres Leben als vorher.“
Wenig später legte auch die Bremer Staatsanwalt den "Fall Jatta" zu den Akten. Der HSV-Profi lebte nach seiner Flucht zunächst in Bremen. Alle Akten wurden der Hamburger Staatsanwaltschaft zugeschickt. Doch das Thema verfolgte den HSV und Jatta weiter.
Ermittlungen der Behörden lieferten keine Beweise
Am 2. Juli 2020 führte die Staatsanwaltschaft Hamburg eine Durchsuchung von Jattas Wohnung durch, stellte unter anderem Handy, Tablet und Laptop sicher. Beweise fanden die Ermittler aber nicht.
Bakery Jatta: Konsequenzen für seine Karriere
Der HSV-Profi sprach immer wieder von einer „Hexenjagd“ und bedankte sich bei den Verantwortlichen des Zweitligaclubs, die ihn stets stützten. Nun ist sich die Staatsanwaltschaft sicher, dass es sich bei dem Fußballprofi um Bakary Daffeh handelt.
„Damit wollte er laut Anklage erreichen, dass ihm wegen der behaupteten Minderjährigkeit und des sich daraus ergebenen Abschiebehindernisses eine Duldung erteilt wird. Tatsächlich war der Angeschuldigte zuvor bereits unter dem Namen Bakary Daffeh, geboren am 06.11.1995, bei verschiedenen afrikanischen Vereinen als Fußballprofi tätig“, heißt es vonseiten der Staatsanwaltschaft, die anfügt: „Die Anklage vor dem Jugendrichter beruht darauf, dass der Angeschuldigte im fraglichen Tatzeitraum teils Heranwachsender, teils Erwachsener war, und die Staatsanwaltschaft das Schwergewicht bei den Vorwürfen sieht, die nach Jugendrecht zu beurteilen wären.“
HSV reagiert auf Jatta-Anklage
Am Nachmittag reagierte auch der HSV auf die neuen Vorgänge rund um den Publikumsliebling. Die Hamburger posteten um kurz vor 15 Uhr auf Twitter ein Bild von Jatta, der gemeinsam mit den Mitspielern seinen Treffer beim 3:1-Sieg bei Schalke 04 am ersten Spieltag bejubelte.
Einzig die Worte "Statement genug", schrieb die Medienabteilung unter den Post. Die klare Botschaft: Der HSV steht weiterhin zu seinem Offensivspieler.
HSV-Fans mit emotionaler Botschaft für Jatta
Das gilt auch für die Anhänger der Hamburger. Der "HSV Supporters Club" veröffentlichte im Internet eine Stellungnahme. "Im Namen des HSV Supporters Club möchten wir mit unserem Mitmenschen und Spieler Bakery Jatta unsere volle Solidarität aussprechen. Auf einem Spruchband brachte es die HSV-Fanszene 2019 auf den Punkt: NO MATTER WHAT – WE GOT YOUR BACK", hieß es in dem Statement:
Weiter ließ der Supporters Club verlauten: "No matter what heißt: Wir machen unsere Solidarität weder von Untersuchungen der Generalstaatsanwaltschaft noch von Namen abhängig. Unsere Solidarität gilt Bakery als Menschen. Einem Menschen der in unserer Stadt und unserem Verein nach einer langen Reise eine neue Heimat gefunden hat. Du ist einer von uns Baka – und so bleibt es für immer!"
Ex-HSV-Profi van Drongelen fühlt mit Jatta
Das sieht auch der ehemalige HSV-Verteidiger Rick van Drongelen so. Der Niederländer, der seit diesem Sommer bei Union Berlin unter Vertrag steht, hat bei Twitter zwei Fotos gepostet, auf denen er mit Jatta posiert. Dazu verwendete er die Hashtags "My Brother", "NoMatterWhat" und "KeinMenschistillegal". Dazu sind noch drei Herzen zu sehen.
St.-Pauli-Fans stehen hinter HSV-Profi Jatta
Doch nicht nur der HSV die eigenen Fans solidarisieren sich mit Jatta. Auch die Anhänger des Lokalrivalen FC St. Pauli haben sich mittlerweile über Social Media geäußert.
Der Blog und Podcast "MillernTon" postete beispielweise: "Wie HSV-Spieler mit Nachnamen heißen, ist uns in aller Regel egal. Dass das unwürdige Schauspiel von Bild und Staatsanwaltschaft unverhältnismäßig und zu verabscheuen ist und Bakery Jatta die Solidarität aller Fußballfans hat, vereinsübergreifend, sollte auch klar sein."