Beim 0:2 in Bremen wurde deutlich, dass der Rückkehrer alleine für gehobene Ansprüche kaum reichen wird. Heute will Arnesen Stellung beziehen.
Hamburg. An Tag drei der van der Vaartschen Zeitrechnung sollte beim HSV absolut nichts dem Zufall überlassen werden. So regelten gestern Morgen bereits zwei Stunden vor der ersten Trainingseinheit des Rückkehrers extra angeforderte Parkplatzwächter den Verkehr rund um die Arena, fünf Ordner sicherten den 30 Meter langen Weg der Profis zwischen Kabine und Platz, und ein mobiler Verkaufsstand für Fanartikel wurde eilig neben dem Trainingsplatz aufgebaut. Schlappe 90 Euro sollte dort das Trikot mit der Nummer 23 kosten, was insgesamt 3000 Anhänger in ganz Hamburg an diesem Wochenende nicht vom Pflichtkauf abhielt.
"Das ist nun mal der ganz normale HSV-Wahnsinn", sagte ein Fan, als ihm das himmelblaue Shirt mit dem frisch geflockten van-der-Vaart-Schriftzug überreicht wurde. Sogar der Spätsommer hielt sich entgegen der Vorhersage an das Drehbuch der HSV-Verantwortlichen, die den knapp 1000 Anhängern neben guter Laune auch gutes Wetter zum ersten Training Rafael van der Vaarts präsentieren wollten. Und wahrscheinlich könnte man von einem rundum gelungenen Sonntag sprechen, hätten die Hamburger nicht ein vermeintlich kleines Detail vergessen: den Sonnabend.
+++ Erst Ärger - dann 1000 Leute beim van-der-Vaart-Training +++
+++ Der HSV zog die Notbremse +++
"Natürlich bin ich sehr enttäuscht von unserem Spiel in Bremen", sagte van der Vaart am Morgen nach der 0:2-Derbypleite gegen Werder, als er zum zweiten Mal in nur drei Tagen vor Hamburgs versammelte Medien trat. Seine neue Mannschaft habe viel Talent und sei gut, "aber um oben in der Bundesliga mitzuspielen, muss man sehr gut sein". Und von "sehr gut", davon konnte sich der Niederländer gemeinsam mit Ehefrau Sylvie am Vortag im Weserstadion, Block 1, Reihe 25, überzeugen, ist der punkt- und torlose Bundesliga-Fünfzehnte derzeit so weit entfernt wie von der Tabellenspitze.
Ohne den nicht spielberechtigten Hoffnungsträger, aber mit den Neuzugängen Petr Jiracek und Milan Badelj (siehe unten) schaffte es die auf fünf Positionen veränderte Mannschaft von Trainer Thorsten Fink lediglich 45 Minuten lang, dem Nordrivalen am Sonnabend Paroli zu bieten. "Wenn wir es nicht schaffen, unsere individuellen Fehler abzustellen, dann werden wir kein einziges Spiel gewinnen", sagte Fink, der bei 11:14 Torschüssen, 45:55 Prozent Ballbesitz, 49:51 Prozent Zweikampfbilanz und vor allem 0:2 Toren eine "verdiente Niederlage" einräumen musste. Besonders ärgerlich: Dem 0:1 nach Strafstoß durch Aaron Hunt (52.) ging ein selten dämliches Foul Dennis Aogos, dem 0:2 durch Nils Petersen (67.) ein haarsträubendes Anspiel Jeffrey Brumas auf Jiracek voraus.
+++ Fink durfte sich über Techniker Badelj und Kämpfer Jiracek freuen +++
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Dass aber am Tag danach kaum noch jemand von der dritten Pflichtspielniederlage dieser Saison sprach, lag natürlich in erster Linie an der irrationalen Begeisterung rund um van der Vaart. "Ich weiß, dass die Leute erwarten, dass ich der Mannschaft als Führungsspieler sofort helfe", sagte der 29-Jährige, den der Hype um die eigene Person nicht wirklich stören würde: "Der Rummel ist doch schön. Es ist normal, dass die Leute Erwartungen haben." Erwartungen, die aber längst niemand mehr an den Rest des HSV hat.
Das 97. Nordderby verdeutlichte eindrucksvoll die hausgemachten Probleme der Hamburger, die trotz der Transferoffensive im Schlussverkauf in allen Mannschaftsteilen große Defizite aufweisen. Lediglich die Baustelle im zentralen Mittelfeld dürfte durch die 21 Millionen Euro, die der Vorstand in nur einer Woche für van der Vaart, Badelj und Jiracek ausgaben, vorerst geschlossen sein - ganz im Gegenteil zu den nicht kleineren Baustellen in Abwehr und Angriff. Von einer systematischen und durchdachten Kaderzusammenstellung kann aber weiterhin keine Rede sein, auch wenn die spektakuläre Verpflichtung van der Vaarts zumindest für ein paar Tage von den Fehlern des Sommers abgelenkt hat. "Heute ist van-der-Vaart-Tag, morgen ist Frank-Arnesen-Tag", sagte der in der Kritik stehende Sportchef Frank Arnesen, der am heutigen Montag Stellung beziehen will.
Dann wird der Däne auch die Frage beantworten müssen, warum er bei dem Kauf des holländischen Hoffnungsträgers, der von den Vorständen Carl Jarchow und Joachim Hilke abgewickelt wurde, außen vor war. "Wir haben ein Vorstandsteam, jeder macht seinen Part, und ich bin auch dabei gewesen", sagte Arnesen bereits am Sonnabend vor dem Werder-Spiel bei "Liga total".
Schließlich wäre es auch er gewesen, der darauf gedrängt hätte, ein höheres finanzielles Risiko einzugehen, nachdem "Vorstand und Aufsichtsrat vor zwei Wochen gesagt haben, dass wir da kein Geld für haben". Die Behauptung, dass er im Gegensatz zu seinen Vorstandskollegen gegen eine Verpflichtung van der Vaarts gewesen sei, dementierte der Skandinavier: "Jeder der Ahnung vom Fußball hat, würde niemals Nein zu van der Vaart sagen."
Deutlich Ja sagte Trainer Fink zum Last-Minute-Transfer, von dem er sich eine Qualitätssteigerung erhofft. "Ich bin fest davon überzeugt, dass die Fahrt nach oben abgeht", sagte der 44-Jährige, der keineswegs auf die Euphoriebremse treten will. Die Festtage rund um den allenthalben als Heilsbringer gefeierten Niederländer werden durch den trainingsfreien Montag, an dem van der Vaart auf Wohnungssuche gehen will, heute auch nur kurz unterbrochen.
Bereits morgen dürfte das Getöse um den Superstar in die Verlängerung gehen, wenn er im Testspiel im schleswig-holsteinischen Schwarzenbek (18.30 Uhr) erstmals offiziell für den HSV aufläuft. Sein erster Auftritt in Hamburg ist beim Oberligaklub TSV Niendorf für Freitag (18.30 Uhr) vorgesehen, ehe es dann in knapp zwei Wochen in der Bundesliga gegen den Überraschungszweiten Eintracht Frankfurt so richtig ernst wird. "Es ist gut, dass wir jetzt zwei Wochen Zeit haben, uns kennenzulernen und zielgenau vorzubereiten", sagte van der Vaart, für den lediglich die Mannschaft neu sei: "Alles andere ist so wie früher. Die Kabine sieht noch so aus, die Duschen sind gleich und auch die Toiletten haben sich nicht geändert."
Geändert hat sich nur der Anspruch des HSV - aber daran wird sich van der Vaart wohl noch gewöhnen müssen.
Nach dem Nordderby sind 94 HSV-Fans vorübergehend in Gewahrsam genommen worden. Sie sollen nach dem Spiel Schlägereien angezettelt und mit Gartenmöbeln um sich geworfen haben.