Die Rückkehr Rafael van der Vaarts scheint den HSV vor dem Nordderby zu beflügeln. Aber ist der Hoffnungsträger so gut wie früher?
Hamburg. Als sich Rafael van der Vaart am Freitagnachmittag um 17.05 Uhr in einem schwarzen Audi Q7 am Stadion vorfahren ließ, schienen für einen kurzen Moment alle Sorgen beim HSV vergessen. Knapp 100 Fans begrüßten den herbeigesehnten Superstar enthusiastisch mit lautstarken Sprechchören, klopften dem Heimkehrer auf die Schulter und machten noch schnell ein Handyfoto, ehe ihr Liebling wenige Sekunden später in den Katakomben des Stadions verschwunden war. Dort fiel der Niederländer, braun gebrannt, schwarzes Shirt mit V-Ausschnitt und sportliche Jeans, erleichtert Mediendirektor Jörn Wolf in die Arme, der den alten Bekannten umgehend zur offiziellen Präsentation im ersten Stock bat. "Für mich geht ein Traum in Erfüllung", sagte van der Vaart, als er wenige Minuten später auf dem Podium im ersten Stock das Trikot mit der Rückennummer 23 in der Hand hielt, "das ist ein emotionaler Moment für mich."
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich natürlich längst in ganz Hamburg herumgesprochen, dass "der verlorene Sohn" tatsächlich nach Hause zurückgekehrt ist und einen Dreijahresvertrag erhält: "Für mich und meine Familie ist Hamburg eine Art Heimat." Nachdem sich in der Nacht zum Freitag (siehe Text links) Tottenham und der HSV auf eine Ablöse von knapp 13 Millionen Euro geeinigt hatten, mussten am Nachmittag nur noch der Medizincheck bestanden werden und der Aufsichtsrat zustimmen. Und obwohl die Kontrolleure den teuersten Einkauf der Vereinsgeschichte nicht einstimmig absegneten, wurde dem Deal trotzdem rechtzeitig vor dem Ende der Transferfrist um 18 Uhr mit großer Mehrheit zugestimmt.
+++ Die Rückkehr des Traumpaares +++
"Der HSV wird den Spieler kaufen, Herr Kühne gewährt dem Verein dafür ein Darlehen", sagte Aufsichtsratschef Alexander Otto, der damit bestätigte, dass Milliardär Klaus-Michael Kühne dem HSV lediglich ein zinsgünstiges Darlehen von fünf Millionen Euro gewährte. Den Rest der Summe muss der HSV aus eigenen Mitteln wie der Verlängerung des Stadionkredits stemmen. "Dieser Transfer geht an unsere Grenzen", gab HSV-Chef Carl Jarchow ohne Umschweife zu, mit dem eingeschlagenen Weg des Sparens sei der Kauf eigentlich nicht zu vereinbaren.
Im Verein scheint man sich trotzdem sicher, dass jeder Cent des Megadeals gut angelegtes Geld ist. "Für unseren Klub ist das eine ganz tolle Nachricht. Rafael ist eine absolute Führungspersönlichkeit, durch die der Druck bei uns ein wenig besser verteilt wird", sagte Trainer Thorsten Fink, der den Neuzugang zu gern bereits im Nordderby gegen Werder Bremen (Sa, 15.30 Uhr/Sky, Liveticker auf Abendblatt.de) von Anfang an auflaufen lassen würde.
Da der HSV allerdings nicht wie von der Bundesliga vorgeschrieben bis 15 Uhr mit dem Medizincheck durch war, muss van der Vaarts Debüt verschoben werden. "Natürlich fahre ich nach Bremen, aber diesmal nur als Fan", sagte der Hoffnungsträger, der beim Werder-Spiel auch erstmals auf seine neuen Kollegen treffen wird. Und obwohl aus van der Vaarts erstem Abstecher in Hamburg kein einziger Profi übrig geblieben ist, scheint auch die Mannschaft voller Vorfreude zu sein. "Ich kenne Rafa noch aus England. Er ist genau der Spieler, der uns gefehlt hat", sagte Michael Mancienne.
Bei aller Euphorie um die Rückkehr des "kleinen Engels" drängte sich am Ende eines langen Tages dann aber doch noch eine kritische Frage auf: Wie gut ist der niederländische Nationalspieler vier Jahre nach seinem Abschied aus Hamburg überhaupt noch? "Rafael ist ein fantastischer Spieler, allerdings ist er am Wendepunkt seiner Karriere angekommen", sagt Sjoerd Mossou, der für die niederländische Zeitung "AD" seit Jahren intensiv über van der Vaart berichtet, "sein Wechsel ist vielleicht seine letzte Chance, noch mal an sein altes Niveau heranzukommen." So war es für Mossou auch wenig überraschend, dass Hollands Nationaltrainer Louis van Gaal am Freitagnachmittag angekündigt hatte, bei den kommenden Länderspielen der Elftal auf den 100-fachen Nationalspieler zu verzichten. "Für van der Vaart ist es wichtig, dass das Spiel auf ihn zugeschnitten ist, was ja in Hamburg der Fall ist. In Tottenham war das zuletzt nicht mehr so, deswegen konnte er in der Premier League auch nicht mehr so überzeugen."
In England machte van der Vaart seit seinem Wechsel von Real Madrid vor zwei Jahren insgesamt 63 Spiele, erzielte 24 Tore und bereitete 15 vor. "Rafael muss nichts mehr beweisen, er hat es allen bewiesen", lobt Sportchef Frank Arnesen. Und wirklich: Laut Statistik kreierte der Mittelfeldregisseur bei Tottenham alle 32 Minuten eine Großchance, spielte 0,63 Pässe pro Minute.
+++ Alles auf van der Vaart +++
Trotzdem glaubt auch Gary Jacob, Tottenham-Korrespondent der "Times", dass die Zeit für einen Wechsel gekommen war: "Van der Vaart hat hier insgesamt zwei gute Jahre gehabt. Aber trotz all seiner Talente kann ich mich an kein einziges Spiel erinnern, das er im Alleingang entschieden oder von Anfang an dominiert hat." Sicher ist sich Jacob allerdings auch, dass die Spurs-Fans den Publikumsliebling vermissen werden: "Die Leute mochten seine Spielweise und konnten sich vorstellen, dass van der Vaart nach dem Weggang von Modric zu Real Madrid der wichtigste Mann in der Offensive sein wird. Der neue Trainer André Villas-Boas sah das allerdings anders."
HSV-Trainer Fink darf sich also bei seinem portugiesischen Kollegen bedanken, denn unter dem 44-Jährigen soll van der Vaart die zentrale Figur der kommenden Jahre sein. In seinem 4-2-3-1-System ist der Niederländer als hängende Spitze mit allen Freiheiten gesetzt, dahinter sollen die ebenfalls in dieser Woche verpflichteten Milan Badelj und Petr Jiracek dem neuen Mittelfeldchef den Rücken freihalten.
Überhaupt keine Zweifel am zweiten HSV-Engagement van der Vaarts hat der Mann, der seit Jahren wie kein Zweiter um eine Rückkehr gekämpft hat. "Ich bin überzeugt, dass Rafael van der Vaart dem HSV zu neuem Glanz verhelfen wird", sagte Kühne, der ab sofort 30 Prozent der Transferrechte seines Lieblingsspielers hält. Verkaufen, da ist sich Kühne sicher, sollte der HSV van der Vaart aber kein zweites Mal.