Auf den vermeintlichen Heilsbringer Rafael van der Vaart wartet eine Herkulesaufgabe beim HSV. Riesiger Andrang bei seinem ersten Training.

Sylvie van der Vaart rutschte vor Schreck fast die großkalibrige Sonnenbrille von der Nase, Ehemann Rafael verzog bei der 0:2 (0:0)-Niederlage im Nordderby bei Werder Bremen immer wieder gequält das Gesicht - der noch nicht spielberechtigte Niederländer wird all sein Supertalent brauchen, um den in der Abstiegszone schlingernden Hamburger SV wieder auf Erfolgskurs zu bringen.

„Das Selbstvertrauen der Mannschaft ist nicht so groß. Das muss wiederkommen, dafür will ich gerne ein Führungsspieler sein“, sagte der Mittelfeldspieler, für den es wichtig ist, „dass wir wieder als Mannschaft auftreten. Ich will hier Erfolg haben und Spaß am Fußball.“

Unschöne Szenen gab es dann auch nach dem Nord-Derby zu sehen: 94 HSV-Fans sind in Gewahrsam genommen worden. Sie hatten nach der 2:0-Niederlage ihres Vereins Schlägereien angezettelt und mit Gartenmöbeln um sich geworfen. Nachdem die Personalien aufgenommen worden waren, wurden sie zum Hauptbahnhof begleitet und traten die Heimreise an. Insgesamt waren den Angaben zufolge mehr als 600 Polizisten im Einsatz.

Wie sehnsüchtig die Hamburger Fans van der Vaart erwarten, wurde beim ersten Training am Sonntagvormittag deutlich. Rund 1000 Zaungäste wollten sich van der Vaarts erste Übungseinheit nicht entgehen lassen und sorgten rund um die HSV-Arena für leichtere Verkehrsprobleme.

Der Trubel um den "kleinen Engel" war riesig. "Es ist für mich, wie nach Hause kommen", fand van der Vaart Worte, die bei seinen Jüngern sicherlich freudig aufgenommen werden. Beim ersten Gang in die HSV-Kabine seit vier Jahren sei er "schon ein bisschen nervös gewesen", gab der Holländer zu. Die Erwartungen an ihn sind riesig. "Das ist normal. Ich will dem Führungsanspruch gerecht werden, will den jungen Spielern helfen."

Eine neue Bleibe hat der Rückkehrer noch nicht gefunden. Am Montag wolle er sich ein paar Wohnungen in der City anschauen, am Dienstag kommt dann die Familie in die neue alte Heimat nach.

Zwei Spiele, keine Punkte, keine Tore - die Erwartungen an „Rafa“ sind beinahe übermenschlich, van der Vaart steht vor einer Aufgabe herkulischen Ausmaßes. „Wir erhoffen uns einiges von ihm“, sagte HSV-Kapitän Heiko Westermann fast flehentlich, und Mittelfeldspieler Marcell Jansen setzte noch einen drauf: „Rafael hätte die Bälle so gespielt, dass es den Bremern richtig wehgetan hätte.“ Der Gepriesene trat allerdings ein wenig auf die Euphoriebremse: "Die Mannschaft hat viel Talent, ist gut. Aber wenn man in der Bundesliga oben mitspielen will, muss man sehr gut sein." Von "sehr gut" ist der HSV im Spätsommer 2012 allerdings meilenweit entfernt.

HSV-Trainer Thorsten Fink taten angesichts der entscheidenden individuellen Fehler seiner Mannschaft am Sonnabend in Bremen auch tags drauf noch die Augen weh. „Das sind eben die Dinge, die im Fußball entscheiden. Wir können uns im Moment nicht selbst belohnen“, haderte der Coach. Aber auch er nahm van der Vaart den Erwartungsdruck nicht: „Rafael wird seine Tore machen, seine Integration wird schnell gehen. Ich rechne damit, dass wir durch ihn effektiver werden.“

Angesichts einer Ablösesumme von 13 Millionen Euro darf van der Vaart also bei seinem Comeback nach der Länderspiel-Pause mit allem rechnen - nur nicht mit Geduld. Zumal die beiden anderen HSV-Neulinge noch nicht einmal erahnen ließen, ob sie dem krisengeschüttelten Bundesliga-Dino wirklich helfen können. Der Tscheche Petr Jiracek hielt zumindest trotz einer Fußprellung 90 Minuten durch, für den Kroaten Milan Badelj hingegen war schon nach der ersten Halbzeit wegen muskulärer Probleme Schluss.

Es passte zum unglücklichen Spiel der Gäste, dass Rene Adler der mit Abstand effektivste Akteur im mit 42.100 Zuschauern ausverkauften Weserstadion war. Zwölf von 14 Torschüssen, darunter ein Foulelfmeter von Aaron Hunt (42. Minute), wehrte der Torhüter oftmals spektakulär ab, nur beim zweiten Strafstoß von Hunt (52.) und dem Treffer von Nils Petersen (67.) war er machtlos.

Zwar war auch der grün-weiße Erzrivale vor zwei Wochen mit einer Pokalpleite bei einem Drittligisten in die Saison gestartet. Doch seither findet sich das runderneuerte Team immer besser zurecht, schon bei der 1:2-Niederlage zum Punktspielauftakt beim Meister Borussia Dortmund verkauften sich die Bremer sehr teuer.

„Wir sind eine ganz andere Mannschaft als im letzten Jahr“, sagte Hunt, der von seinen Teamkollegen trotz des Patzers beim ersten Strafstoß zum zweiten Elfmeter förmlich gedrängt wurde und dann im zweiten Versuch doch noch traf. Für Trainer Thomas Schaaf ein erfreuliches Signal: „Ich fand es bemerkenswert, dass die Mannschaft das selbst geregelt und Aaron noch einmal das Vertrauen gegeben hat.“

(sid/lge/ks)