Nach der 0:1-Niederlage gegen Gladbach braucht HSV-Trainer Michael Oenning einen Sieg am Freitag in Stuttgart, um seinen Job zu retten.
Hamburg. Die zu befürchtenden Proteste hielten sich auch am Tag nach der deprimierenden 0:1-Pleite gegen Borussia Mönchengladbach in Grenzen. Gerade mal ein Fan konnte und wollte am Sonntag seine Meinung nicht für sich behalten, als Michael Oenning, verfolgt von einem Dutzend Kamerateams, kurz nach zehn Uhr zum Trainingsplatz an der Arena marschierte. "Oenning raus", rief der Mann dem HSV-Trainer hinterher. Es klang wie eine Mischung aus Aufforderung und Wunsch, viel mehr gab es aus seiner Sicht nach der vierten Niederlage in Folge nicht zu sagen.
Das Unerklärliche zu erklären hatte sich dagegen Sportchef Frank Arnesen vorgenommen, der wenige Minuten später vor die zahlreichen Kameras am Trainingsplatz trat. Ob der Däne nach einer Nacht drüber schlafen auch immer noch hundertprozentig zum Trainer stehen würde, wollte ein Reporter wissen. "Ja", antwortete Arnesen, zögerte kurz und ergänzte: "In diesem Moment passiert nichts. Wir entscheiden von Tag zu Tag und von Woche zu Woche." Am kommenden Donnerstag, da hatte sich Arnesen bereits kurz nach der Niederlage gegen Gladbach festgelegt, werde Oenning neben ihm im Flugzeug nach Stuttgart sitzen, wo der HSV am Freitag spielen muss. Es wird, daran gibt es kaum noch einen Zweifel, ein echtes Schicksalsspiel für den glück- und erfolglosen HSV-Trainer sein. "Die sportliche Leitung muss sich Gedanken machen, was wir bisher schlecht gemacht haben, was wir gut gemacht haben und was wir ändern können", sagte HSV-Chef Carl Jarchow.
Tatsächlich liest sich Oennings Bilanz wie ein Horrorroman Stephen Kings: In sechs Saisonspielen holte der HSV nur einen von 18 möglichen Punkten, zuletzt verloren die Hamburger sogar viermal in Folge. Saisonübergreifend konnte Oennings Mannschaft bereits seit 13 Spielen nicht mehr siegen, insgesamt konnte Oenning in 31 Partien als Cheftrainer in der Bundesliga gerade mal vier Spiele gewinnen. Und trotz der erschütternden Zahlen wollen Hamburgs Verantwortliche auch weiterhin an ihrem leitenden Angestellten festhalten - zumindest vorerst. "Wir stehen hinter dem Trainer", sagte Arnesen, der sich vor dem Spiel gegen den VfB Stuttgart trotzdem ein Hintertürchen offenhalten wollte: "Ich rede nicht über was wäre wenn. Wir reagieren intern, nicht extern."
***Furchtloser Jarchow schweigt zur Oenning-Frage***
***Verlieren erlaubt! Oenning bleibt auch bei Schlappe***
Die Argumente, die für einen baldigen Neustart unter einem anderen Trainer sprechen, scheinen sich zu häufen. "Das Spiel gegen Gladbach war ein Rückschritt, wir haben uns nicht weiterentwickelt", sagt Jarchow, der sich besonders darüber geärgert haben dürfte, dass Gladbachs Siegtreffer erneut nach einer Standardsituation fiel - bereits zum achten Mal in dieser Saison. Der Hauptvorwurf: Eine echte Spielphilosophie ist auch sechs Monate nach Oennings Beförderung zum Cheftrainer nicht zu erkennen. Wenn die taktische Formation gegen Gladbach Oennings Handschrift sei, spottete ein Fan am Sonnabend auf der Tribüne, dann hätte der Trainer eine echte Sauklaue. So verblüffte Oenning die 55 797 Zuschauer gegen Gladbach mit der überraschenden Maßnahme, Mittelfeldstaubsauger David Jarolim auf der rechten Außenbahn aufzubieten. Eine Maßnahme, die für ähnlich viel Kopfschütteln sorgte wie der Schachzug in der Vorwoche, den selbst ernannten zentralen Mittelfeldmann Per Skjelbred ebenfalls auf der rechten Seite auszuprobieren. Beide Versuche, da dürfte es wenige Widerworte geben, scheiterten. Während sich die Profis des HSV in Bremen immerhin zwei Großchancen erspielten, kreierten die Hamburger gegen Gladbach in 90 Minuten nur eine ernst zu nehmende Torchance, schossen dabei gerade mal fünf mal in die Nähe des Tors - ein Minusrekord seit Beginn der Datenerhebung 1992.
Viel schlimmer kann es eigentlich nicht werden. Somit scheinen Zweifel angebracht, ob Oenning der formschwachen Mannschaft innerhalb der kommenden fünf Tage neues Selbstvertrauen einimpfen kann. Es ist, auch wenn es offiziell noch niemand zugeben möchte, seine letzte Chance. "Die Mannschaft ist jetzt in der Pflicht", sagt Oenning, "wir müssen die Negativspirale durchbrechen." Und obwohl Arnesen am Sonntag noch mal bekräftigte, keinen Plan B parat zu haben ("Michael ist unser Plan A, unser Plan B und unser Plan C"), hat die Suche nach einer Alternative natürlich längst begonnen. Finanziell wäre eine Entlassung Oennings nicht billig, dank einer für den Verein günstigen Vertragsklausel aber auch nicht teuer. Zwar hat der frühere Nürnberger im April einen mit rund 800 000 Euro pro Jahr dotierten Zweijahresvertrag unterschrieben. Allerdings kann die Zusammenarbeit zum Ende dieser Saison für einen geringen sechsstelligen Betrag gekündigt werden.
Vorerst will Oenning aber nichts unversucht lassen, die Wende doch noch zu schaffen. Als Sofortmaßnahme wurde beschlossen, zum vor Monaten verabredeten Testspiel beim Halleschen FC am Dienstag nur eine B-Elf mit Co-Trainer Frank Heinemann und Amateurtrainer Rodolfo Cardoso zu schicken, während Oenning mit den Stammspielern zweimal in Hamburg trainiert. Freie Tage gibt es in dieser Woche nicht. "Ich bin kämpferisch", sagt Oenning, der in den kommenden Tagen seinen wahrscheinlich schwierigsten Kampf seiner Trainerkarriere zu bestehen hat. "Jeder wird an den Punkten gemessen", sagt Kapitän Heiko Westermann. Auch Michael Oenning.