Gegen Mönchengladbach stehen mehr HSV-Profis mit Keller-Erfahrung auf dem Platz, als man denkt. Allerdings nicht nur mit positiven Erinnerungen.
Hamburg. Robert Tesche ist kein Mann der großen Worte. Das mag im ersten Moment gemein klingen, ist aber gar nicht so gemeint. Fragen beantwortet der 24-jährige Westfale gerne mit Ja oder Nein, viel mehr gibt es aus seiner Sicht meist nicht zu sagen. Als Fußballspieler, so Tesches Credo, sind keine großen Reden gefordert, sondern ehrliche Arbeit auf dem Platz. "Wir müssen kämpfen und ackern, nicht nur Fußball spielen", gibt der wortkarge Mittelfeldabräumer vor dem so wichtigen Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach (Sa, 15.30 Uhr/live auf Sky und im Abendblatt-Ticker) in einem Anflug von Geschwätzigkeit die Parole für das Wochenende aus, "in unserer Situation darf man keinen Hurrafußball spielen."
Tesche weiß wovon er spricht, wenn er denn mal spricht. Der frühere Bielefelder ist so eine Art Experte in Sachen Überlebenskampf in der Bundesliga. Vor drei Jahren war er auf dem Platz dabei, als die Arminia sich am letzten Spieltag auf einen Nichtabstiegsplatz rettete, ein Jahr später war es umgekehrt. Bielefeld stieg ab, Tesche wechselte zum HSV und ist dort nun als Profi in Sachen Abstiegskampf gefragt - dabei ist er längst nicht der einzige Fachmann beim HSV. Gegen Gladbach setzt Trainer Michael Oenning voraussichtlich auf eine Startelf, aus der über die Hälfte schon mal Erfahrungen, gute wie schlechte, in den niederen Regionen der Tabelle gemacht haben. "In dieser schwierigen Situation brauchen wir Spieler mit Erfahrung", sagt Oenning, der selbst schon mal mit Nürnberg im Abstiegskampf steckte, allerdings entlassen wurde, bevor das Abstiegsgespenst so richtig losspuken konnte.
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Innerhalb der voraussichtlichen ersten Elf darf sich neben Tesche ein Hamburger Quintett damit rühmen, sich auch in den untersten Tabellenregionen bestens auszukennen. Torhüter Jaroslav Drobny sicherte mit dem VfL Bochum in der Saison 2006/2007 die Klasse, stieg aber drei Jahre später mit Hertha BSC ab. Linksverteidiger Dennis Aogo konnte in seiner ersten Profisaison als 17-Jähriger mit dem SC Freiburg den Abstieg genauso wenig verhindern wie Marcell Jansen mit Borussia Mönchengladbach (2006/2007) und David Jarolim mit dem 1. FC Nürnberg (2002/2003). Nur Heiko Westermann sammelte ausschließlich positive Erfahrungen im Bundesligakeller, sicherte für Arminia Bielefeld in der Saison 2005/2006 mit einem fulminanten Schlussspurt die Klasse.
Nun darf jeder selbst darüber rätseln, ob es gut ist, dass der HSV so viel Erfahrung im Kampf gegen die Zweite Liga besitzt, oder ob es schlecht ist, dass so viele Hamburger diesen Kampf bereits einmal verloren haben. "Unser Vorbild muss Gladbach sein", sagt Berufsoptimist Jansen, der aber keinesfalls seine eigene Zeit bei der Borussia meint. Vor sechs Jahren rette Gladbach mit Jansen am letzten Spieltag die Klasse, zwei Jahre später stiegen die Fohlen sang- und klanglos als Letzter ab. Umso beeindruckender findet der Mittelfeldmann die aktuelle Entwicklung seines früheren Klubs, der vom Fast-schon-wieder-Absteiger in der vergangenen Saison bis auf Platz drei in der aktuellen Spielzeit durchgestartet ist: "Diese Entwicklung müssen wir uns beim HSV zum Vorbild nehmen."
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Im direkten Duell setzt Oenning an diesem Sonnabend neben dem Faktor Erfahrung besonders auf eine massive Defensive. "Wir müssen kompakt stehen, das Abstiegsgespenst gar nicht erst reinlassen", sagt Tesche, der mit Tomas Rincon das defensive Mittelfeld ordnen soll. Hamburgs Cheftrainer, der selbst im Falle einer Niederlage im Amt bleiben darf, lässt ähnlich wie im Spiel gegen Bayern München mit zwei Viererketten verteidigen, bietet davor mit Per Skjelbred den wahrscheinlich defensivsten Offensivspieler des Kaders auf und lässt Mladen Petric als einzige Sturmspitze ran. "Wenn es ein dreckiger Sieg werden sollte, dann ist das eben so. Wichtig ist nicht, wie wir die drei Punkte holen, sondern dass wir die drei Punkte holen", sagt Skjelbred, der froh ist, nach seinem Ausflug ins rechte Mittelfeld im Spiel gegen Bremen wieder im Zentrum spielen zu dürfen: "Ich fühle mich in der Mitte einfach wohler. Wir sind besser als Gladbach, das werden wir in den 90 Minuten beweisen."
Als faustdicke Überraschung darf die Nachfolgeregelung im rechten Mittelfeld gewertet werden. So scheint Oenning ernsthaft mit dem Gedanken zu spielen, Mittelfeldabräumer David Jarolim im Spiel gegen Gladbach nach rechts zu verschieben. Es gebe derartige Planspiele, sagte Oenning, der vorsorglich "ein echtes Geduldsspiel" ankündigte. Als offensive Variante kämen Gökhan Töre und der genesene Heung Min Son im rechten Mittelfeld infrage, allerdings will Oenning unter allen Umständen zunächst die Defensive festigen. Hinzu kommt, dass Son und Töre als echte Abstiegskampfnovizen gelten.
Der lebende Beweis, dass Erfahrung im Abstiegskampf nicht das einzige Erfolgsargument sein muss, heißt im Übrigen Darlington Omodiagbe. Der Nigerianer ist fünfmal in seiner Karriere abgestiegen. Den rekordträchtigen sechsten Abstieg mit Wacker Burghausen aus der dritten Liga verhinderte in diesem Sommer lediglich die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen Liga-Konkurrent Rot Weiss Ahlen. Derzeit ist Burghausen im Mittelfeld der dritten Liga, weit entfernt von der gefährdeten Zone. Es gibt also Hoffnung.