Auch nach dem Spiel gegen Gladbach will der HSV an Trainer Michael Oenning festhalten - unabhängig vom Ergebnis gegen Mönchengladbach.

Hamburg. Ein Stockwerk, rund 50 Schritte und 18 Stunden lagen zwischen den zwei Fragerunden, die Michael Oenning vor dem so wichtigen Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach (Sa, 15.30 Uhr im Liveticker auf abendblatt.de) in dieser Woche über sich ergehen lassen musste. Am Mittwochabend stellte sich der HSV-Trainer für zweieinhalb Stunden mehr als 180 kritischen Fans im Stadionrestaurant Die Raute, am folgenden Mittag warteten knapp 40 nicht weniger kritische Medienvertreter bei der turnusmäßigen Spieltagspressekonferenz. Die an beiden Tagen nicht gestellte Frage, ob dieser Trainer auch nach dem Spiel gegen Gladbach noch auf der HSV-Bank sitzen wird, wurde jeweils auch ohne große Worte nachhaltig beantwortet. Oenning wirkte auf beiden Veranstaltungen ruhig, sachlich, konzentriert - und überraschenderweise sogar entspannt. "Wir alle im Verein wollen unsere schwierige Situation gemeinsam lösen", sagte der 45-Jährige.

Die "schwierige Situation", von der Oenning da spricht, lässt sich am besten durch einen Blick auf die Tabelle erklären: 18. Platz, nur ein Punkt aus fünf Spielen und schon 16 Gegentore. Welche Folgen eine derartige Bilanz in der Bundesliga normalerweise nach sich zieht, haben zwei von Oennings Kollegen in dieser Woche eine Liga tiefer erfahren müssen. Erst wurde der Trainerüberflieger a. D. Peter Hyballa vom Tabellenletzten Alemannia Aachen entlassen, dann musste auch Friedhelm Funkel beim VfL Bochum, Tabellenvorletzter, seine sieben Sachen packen. Traditionell gilt in Fußball-Deutschland der Herbst ohnehin als die Jahreszeit, in der erfolglosen Trainern in etwa die gleiche Überlebenschance eingeräumt wird wie den bunten Blättern an den Bäumen. Nur beim HSV - ausgerechnet beim HSV! - will man sich in diesem Jahr dem Trend unbedingt widersetzen. Die Frage, die kaum jemand stellt, lautet: Warum eigentlich?

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"Ich analysiere jeden Tag Michaels Arbeit, und die ist sehr gut", sagt Frank Arnesen, der zu Beginn seiner Amtszeit noch alles andere als restlos überzeugt gewesen ist. Der HSV-Sportchef, der tatsächlich fast jede Trainingseinheit beobachtet, lässt aber mittlerweile jegliche Art von Trainerdiskussion im Keim ersticken. "Für mich stellt sich dieses Thema überhaupt nicht", sagt Arnesen, der Oennings Händchen für Talente und seinen täglichen Umgang mit der Mannschaft überschwänglich lobt. "Wir wurden von Spiel zu Spiel besser", sagt der Däne, "das ist auch ein Verdienst des Trainers." Es gebe jedenfalls keine Direktive, dass das Spiel gegen Gladbach gewonnen werden muss.

Dabei gilt ausgerechnet die Borussia als besonders gutes Beispiel, wie schnell der so lang vermisste Erfolg wieder zurückkehren kann. Schließlich ist es nur wenige Monate her, als der aktuelle Tabellendritte der Bundesliga praktisch als erster Absteiger in die Zweite Liga feststand. "Gladbach ist für uns eine Art Vorbild", sagt Oenning, "die Borussia hat bewiesen, wie viel man im Fußball in einem überschaubaren Zeitraum bewegen kann."

"Man" heißt Lucien Favre, der einen Monat, bevor Oenning den HSV übernommen hat, Michael Fronzeck in Gladbach beerbt hatte. Die Bilanz des Schweizers, der vor anderthalb Jahren fast beim HSV gelandet wäre, liest sich beeindruckend. In 17 Spielen holte Gladbach 30 Punkte, verhinderte den Abstieg und belegt nun den dritten Tabellenplatz. Mit einer 4-4-2-Taktik mit zwei defensiven Mittelfeld- und zwei offensiven Flügelspielern installierte Favre unabhängig von verletzungsbedingten Ausfällen ein festes Spielsystem, das der 53-Jährige täglich im Training verfeinert. Favre trainiert kleinteilig, unterbricht, verbessert und lobt. "Der Erfolg von Gladbach ist zu großen Teilen ein Verdienst von Favre", sagt Ex-Borusse Marcell Jansen, der beim HSV auch ohne Trainerwechsel auf eine ähnliche Erfolgsgeschichte hofft.

Favre selbst springt seinem Kollegen verbal zur Seite. Ob er Mitleid mit Oenning habe, wollte gestern ein Medienvertreter wissen. "Überhaupt nicht", antwortete der frühere Berliner, "und ich bin mir sicher, dass mein Kollege auch nicht in Gefahr ist." Er habe alle Spiele des HSV auf DVD studiert, dabei einen klaren Aufwärtstrend erkannt: "Die Mannschaft, die am Wochenende unglücklich gegen Bremen verloren hat, war eine ganz andere als die, die noch am ersten Spieltag klar gegen Dortmund verloren hatte."

Oenning dürfte sich über das Kollegenlob ähnlich gefreut haben wie über die vereinsinternen Treueschwüre. Seinen Humor hat der Fußballlehrer ohnehin noch nicht verloren. Ob er sich vorstellen könnte, sich den Job mit HSV-Ikone Horst Hrubesch zu teilen, wollte ein Anhänger am Mittwochabend wissen. "Wir haben ein funktionierendes Trainerteam", antwortete Oenning lächelnd, "aber ich bin für Ratschläge von erfahrenen HSVern immer offen."