Der Stürmer hatte einem Zuschauer eine Trinkflasche an den Kopf geworfen. Opfer Axel Z. zeigt weniger Verständnis als der Klub.

Hamburg. Der Sünder kam in Bluejeans und schwarz-weiß gestreiftem Hemd an den Tatort zurück. Auf den Ärmeln des modischen Shirts prangte ein Totenkopf, was irgendwie passte, da auch sonst die Stimmung mehr Ähnlichkeit mit einer Beerdigung als mit einer gewöhnlichen Gesprächsrunde im Stadion hatte. Mit langsamen Schritten schlich Paolo Guerrero durch die Eingangstür, sah dabei aus wie ein auf frischer Tat überführter Verbrecher und setzte sich mit überkreuzten Armen und gesenktem Haupt auf den letzten freien Stuhl der Sportfive-Loge. Vom Balkon aus hätte man einen herrlichen Blick über die leere HSH-Nordbank-Arena und das sattgrüne Spielfeld gehabt. Doch statt aus dem Fenster zu schauen, zog es der Peruaner vor, betroffen und demütig zu Boden zu gucken. "Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen", sagte er mit brüchiger Stimme.

Das am Ostermontag kurzfristig einberufene Zusammentreffen, an dem neben dem reumütigen Stürmer die komplette HSV-Vorstandsriege um Bernd Hoffmann, Katja Kraus und Oliver Scheel sowie Supporterschef Ralf Bednarek, Kapitän David Jarolim, Pressesprecher Jörn Wolf und einige wenige Hamburger Journalisten teilnehmen durften, war nötig geworden, weil nur wenige Meter unterhalb der geschmackvoll eingerichteten Edelloge am Tag zuvor sämtliche Regeln des guten Geschmacks überschritten worden sind. Mit dem Satz "Meine Reaktion war sehr schlecht", versuchte der 26-Jährige das zu beschreiben, was am Sonntag direkt nach dem mit lauten Pfiffen begleiteten Schlusspfiff der torlosen Partie gegen Hannover 96 passiert war.

+++HSV-Experte Dieter Matz über den Guerrero-Eklat+++

"Guerrero, du Arschloch", "Guerrero, du Hurensohn" und "Du spielst scheiße, hau ab nach Peru" will der Südamerikaner auf dem Weg vom Spielfeld in die Kabine gehört haben. "Ich habe dann sehr impulsiv reagiert", sagte Guerrero - und meinte damit seinen Wurf einer Trinkflasche, die er aus kurzer Distanz und mit voller Wucht einem Zuschauer an den Kopf geschleudert hatte. Sein Opfer, Axel Z., ein HSV-Fan durch und durch, der auch regelmäßig bei Auswärtsspielen dabei ist, reagierte entsprechend empört. "Sicher haben wir uns im Ton vergriffen", sagt Axel Z. der "Hamburger Morgenpost", "der Frust über die Leistung war gewaltig. Für Guerreros Reaktion habe ich trotzdem überhaupt kein Verständnis."

Eine Meinung, die er mit dem HSV-Vorstand teilte. "Wir haben Paolo mitgeteilt, dass wir ein derartiges Verhalten nicht akzeptieren können", sagte der neben Guerrero sitzende Hoffmann mit ähnlich belegter Stimme, nachdem der Peruaner noch betont hatte, sich bei allen Fans, Verein, Trainer und Mannschaft entschuldigen zu wollen. Trotzdem sei man am Ende von "sehr langwierigen Gesprächen" zu der Entscheidung gekommen, den reuigen Fußballer "nur" mit einer Rekord-Geldstrafe, die nach Abendblatt-Informationen im sechsstelligen Bereich - ungefähr ein Netto-Monatsgehalt - liegt, zu belegen und von dem viel geforderten Rauswurf abzusehen. "Paolo hat uns glaubhaft versichert, wie leid ihm das alles tut", begründete Hoffmann die milde Strafe, "wir sind der Meinung, dass er eine zweite Chance verdient." Eine Entscheidung, die auch von vielen Fans befürwortet wurde. So begrüßten bis gestern, 20 Uhr immerhin 45 Prozent der Abendblatt.de-Nutzer das Strafmaß als gerechtfertigt.

Ob Guerrero, dessen Vertrag im Sommer endet, aber tatsächlich noch mal für den HSV in der Bundesliga aufläuft, dürfte erst im Laufe dieser Woche endgültig entschieden werden. Schließlich wird der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nach den Feiertagen wohl Ermittlungen aufnehmen, obwohl Schiedsrichter Peter Sippel den Vorgang in seinem Bericht gar nicht erst vermerkt hatte. Die Entscheidung der DFB-Juristen gilt dabei als völlig offen, da es in der Bundesliga bislang keinen vergleichbaren Fall gegeben hat.

Erst als Guerrero knapp 30 Minuten lang den Fragen der Medienvertreter und den Ausführungen von Jarolim ("Man kann das nicht entschuldigen. Trotzdem stehen wir als Mannschaft hinter Paolo"), Bednarek ("Die Entschuldigung ist der entscheidende Schritt") und der Vorstände über sich ergehen ließ, konnte man ein schüchternes Lächeln aufblitzen sehen. "Ich weiß, dass ich kein gutes Beispiel für kleine Jungs gewesen bin", sagte der Torjäger, der nach eigener Auskunft eine schlaflose Nacht hinter sich hatte.

Noch ist offen, ob sich Opfer Axel Z. auf ein vom HSV angestrebtes Treffen mit Übeltäter Guerrero tatsächlich einlässt. Zunächst will er mit einem Anwalt seine weiteren Schritte abstimmen. Guerrero scheint seine Lektion jedenfalls gelernt zu haben. Per Handschlag verabschiedete er sich bei allen Anwesenden, schaute noch einmal wie ein geprügelter Hund in die Runde und machte sich schließlich auf den erlösenden Weg nach Hause - diesmal mit seinem Porsche. Sein Ferrari wollte am Vortag einfach nicht anspringen. Ein Problem, das irgendwie zum Rest dieses desolaten Osterwochenendes passte.