Kaiserslautern. Dank Selke: Das Team von Baumgart holt spät einen 0:2-Rückstand gegen Kaiserslautern auf. Der Schlüssel dazu war ein Dreierwechsel.

Steffen Baumgart ging von rechts nach links, in die Hocke, von links nach rechts. Wieder in die Hocke. Er pfiff. Er schrie. Er guckte auf die Uhr. Er gestikulierte. Doch all das sollte nicht helfen – bis zur letzten Minute der Nachspielzeit.

Dann schraubte sich der in der zweiten Halbzeit eingewechselte Davie Selke in die Luft und machte genau das, wofür der HSV ihn geholt hatte: ein Tor. Baumgart bebte, Selke bebte – nur der Betze wollte nach dem 2:2, das wenig später offiziell war, nicht mehr beben. Was für ein Finish!

HSV: Selke sorgt in Kaiserslautern in der Nachspielzeit für das 2:2

„Geil! Einfach geil!“, sagte Torschütze Selke kurz nach dem Abpfiff. „Natürlich bin ich sehr glücklich. Als Stürmer ist das überragend, direkt vor den eigenen Fans zu treffen.“ Und dann noch ein letztes Mal: „Einfach geil!“

Dabei gab es die erste gute Nachricht des Abends für alle HSV-Profis bereits weit vor Selkes Lastminute-Treffer. Schon vor dem Anpfiff gab Baumgart bekannt, dass er seiner Mannschaft „unabhängig vom Geschehen auf dem Platz“ einen trainingsfreien Sonntag gönnen würde. Der Hintergrund: Nach der Partie fuhr der HSV-Tross mit dem Bus die 677 Kilometer zurück nach Hause – soll erst am Sonntagmorgen um 6 Uhr ankommen. 

HSV-Trainer Baumgart musste kurzfristig im Tor umstellen

In dem Bus saß auch wieder Torhüter Daniel Heuer Fernandes. Doch spielen konnte der Keeper zuvor nicht. Nach dem Aufwärmen signalisierte Hamburgs Nummer eins, dass ihm die Adduktoren zu schaffen machten. Und somit war der Weg frei für das Comeback von Ersatzmann Matheo Raab.
 
„Eine Viertelstunde vor dem Anpfiff erfuhr ich, dass ich spielen werde“, sagte der 25-Jährige, der zuletzt im Mai von Beginn an gespielt hatte. Im Sommer hatte ihn dann eine hartnäckige Lungenentzündung außer Gefecht gesetzt. Und es gehört wohl zu den Besonderheiten des Fußballs, dass Raab nun in Kaiserslautern – „ausgerechnet in Kaiserslautern“, sagen TV-Kommentatoren gerne an dieser Stelle – wieder ins Tor durfte.

Raab war fünf Jahre lang bei Kaiserslautern

Fünf Jahre lang stand Raab in der Pfalz unter Vertrag, ehe er 2022 zum HSV wechselte – und sein erstes Spiel für die Hamburger natürlich ebenfalls gegen Lautern absolvierte. Doch diesmal hätte sich der 1,86 Meter große Torhüter seine Rückkehr wahrscheinlich zunächst ein wenig anders vorgestellt.

Matheo Raab sah beim 0:1 unglücklich aus

Während Raab in der ersten halben Stunde nahezu beschäftigungslos war und von weitem auch nur eine Doppelchance durch Robert Glatzel und Fabio Baldé beobachten konnte (19. Minute), musste er sich bereits beim ersten richtigen FCK-Angriff (33.) geschlagen geben. Erik Wekesser konnte nach einem Freistoß in Ruhe von links auf den freistehenden Ragnar Ache flanken. Der Stürmer zögerte nicht lange und traf aus kurzer Distanz (und unter freundlicher Mithilfe Raabs) zum 1:0.
 
So hatten sich Trainer Baumgart und der HSV ihren Auftritt „aufm Betze“ nicht vorgestellt. Dabei hatte er im Vergleich zum starken 5:0-Heimsieg gegen Jahn Regenburg die Startaufstellung auf keiner einzigen Position geändert. Doch anders als beim Torfestival gegen den Aufsteiger konnte die Abteilung Attacke mit Glatzel, Ransford Königsdörffer, Baldé und Marco Richter diesmal so gar nicht glänzen.

Nur fünf Minuten nach Wiederanpfiff fiel das 0:2

Nach 45 Höhepunkt-armen Minuten musste der HSV verdienter Maßen mit einem 0:1 in die Kabine gehen – und kam aus dieser zunächst auch nicht wirklich verbessert wieder auf den Platz. Auch die erste Chance der zweiten Halbzeit ging an den 1. FCK – doch Marlon Ritter traf nur über das Tor (49.) Besser machte es nicht einmal eine Minute später Richmond Tachie.
 
Der Mann mit den rotgefärbten Haaren war nach einem Fehler Miro Muheims Gedankenschneller als Kapitän Sebastian Schonlau und traf zum 2:0. „Das Verteidigen ist in der Zweiten Liga das Wichtigste“, hatte Trainer Baumgart noch vor dem Spiel bei Sky gesagt. Seine Spieler haben da aber offenbar nicht wirklich hingehört.

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Der HSV begann erst nach dem 0:2-Rückstand offensiv gefährlich zu werden

Doch wer nun dachte, dass es das bereits gewesen war, der irrte. Weil auch Kaiserslauterns Torhüter Julian Krahl sich eine kurze Auszeit gönnte, vollstreckte Glatzel eiskalt zum 1:2 (59.). Das Zeichen für die Schlussoffensive war damit gesetzt – und Baumgart erhöhte den Druck mit einem offensiven Dreierwechsel nur eine Minute später.
 
Baldé, Königsdörffer und Richter raus, der formstarke Jean-Luc Dompé, Adam Karabec und Davie Selke rein. Der HSV wurde besser – ohne aber so richtig zwingend dabei zu sein. Lediglich Karabec (72.), Selke (82.) und Dompé (90.) hatten guten Chancen, die sie aber so gar nicht gut verwerten.
 
Doch manchmal hat ein Spiel eben nicht 90, sondern 95 Minuten. Und einen Davie Selke, der mit der Hacke, dem rechten und dem linken Fuß scheiterte. Und es dann doch schaffte. „Wir haben einen wirklich extremen Druck erzeugt, es uns dann auch verdient“, sagte Selke.

Die Statistik

  • Kaiserslautern: Krahl – Gyamerah (77. Toure), Elvedi, Heuer, Wekesser – Tomiak, Ritter (86. Robinson), Kaloc – Tachie, Opoku (86. Abiama), Ache (77. Hanslik)
  • HSV: Raab – Hadzikadunic (77. Reis), Schonlau, Muheim – Hefti (77. Sahiti), Elfadli, Meffert, Baldé (60. Dompé) – Richter (60. Karabec) – Königsdörffer (60. Selke), Glatzel.
  • Schiedsrichter: Florian Exner (Münster)
  • Tore: 1:0 Ache (33.), 2:0 Tachie (50.), 2:1 Glatzel (58.), 2:2 Selke (90.+5)
  • Zuschauer: 49.327 (ausverkauft)