Hamburg. Der HSV-Neuzugang über sein schlechtes Image, Kabinengespräche mit Glatzel und einen besonderen Nachmittag auf einer Rooftopbar.

Davie Selke hat gute Laune. Draußen regnet es in Strömen, als der HSV-Stürmer nach dem zweistündigen Training und einer anschließenden Einheit im Kraftraum zum Interview in die Gästekabine des Volksparkstadions kommt. „Das ist dann wohl Hamburg“, sagt Selke – und lacht. „Übrigens, ich bin Davie. Freut mich.“

Kurz nach Ihrem Wechsel zum HSV haben Mannschaft und Mitarbeiter ein großes Familienfest gefeiert. Was haben Sie von diesem sommerlichen Nachmittag in Erinnerung?

Davie Selke: Das Wetter war ein Traum, also nicht wirklich Hamburg-like (zwinkert). Die Location, die Rooftopbar Sky Sand auf den Mundsburg-Türmen, war überragend. Und meine Frau, meine Tochter und ich hatten eine fantastische Zeit.

Viele Kinder von HSV-Spielern und -Mitarbeitern haben vor allem eines in Erinnerung: Sie. Konnten Sie schon immer so gut mit Kindern?

Das freut mich natürlich. Ja, ich habe schon immer Kinder geliebt. Und dieses Gefühl hat sich noch einmal extrem durch die Geburt meiner Tochter verstärkt.

Der eine oder andere Mitarbeiter berichtete, dass nach dem Mitarbeiterfest Sie der Lieblings-HSV-Profi ihrer Kinder seien. Hat Ihre Tochter einen Lieblingsspieler?

Ihren Papa (lacht). Sie ist gerade zwei Jahre alt geworden, da gibt es noch nicht so viel mehr außer Papa und Mama. Und umgekehrt gilt das natürlich auch. Ihre Geburt hat unser Leben einmal komplett auf den Kopf gestellt. Alles dreht sich um sie – und jeder Moment ist einfach nur schön.

Ihre Frau Evelyn und Sie haben sich für den Namen Aiyana Rae entschieden. Wer hatte die Idee?

Wir wollten beide einen besonderen Namen und haben dann eine Liste gemacht. Aiyana fanden wir direkt beide super. Im Äthiopischen hat es die Bedeutung: die schöne Blume.

Eltern haben immer kurze Nächte. Als Fußballprofi braucht man aber seinen Schlaf. Wie machen Sie das?

Die Antwort ist einfach: Ich habe eine tolle Frau. Sie hält mir den Rücken frei, gerade vor Heimspielen macht sie die ganze Arbeit, und ich darf in Ruhe schlafen.

Noch lebt Ihre Familie überwiegend in Köln. Der frühere HSV-Trainer Tim Walter, dessen Familie in München lebt, hat jeden Morgen um 6.50 Uhr einen festen Facetimetermin mit seinen Liebsten gehabt. Wie machen Sie das?

Ähnlich. Wir facetimen auch jeden Tag vor und nach dem Training. Ich brauche diese täglichen Gespräche vor und nach der Kita mit meiner Tochter. Aber glücklicherweise ziehen meine Mädels an diesem Wochenende endlich aus Köln zu mir nach Hamburg. Ich brauche meine Familie um mich.

Was ist in Hamburg schwieriger: eine Wohnung oder eine Kita zu finden?

Definitiv die Wohnung. Wir haben lange gesucht – und haben jetzt endlich ein neues Zuhause im Zentrum gefunden. Wir wohnen gerne in der Stadt, das war auch in Köln schon so. Die Kita war dagegen ein Klacks, die haben wir sofort gefunden.

Beim HSV sind Sie schon sehr gut angekommen. Viele Mitarbeiter haben uns berichtet, dass sie überrascht gewesen seien, dass Sie ein ziemlich netter Typ sind. Warum glauben viele bei Ihnen zunächst an das Schlechteste?

Gegenfrage: Was haben Sie denn vor unserem Treffen von mir gedacht?

Ähnliches: Guter Stürmer, aber wahrscheinlich eher ein schwieriger Typ. Ich ertappte mich sogar beim Gedanken: Der wirkt irgendwie arrogant.

Und? Was glauben Sie jetzt?

Sehr angenehmer Interviewpartner.

(Selke lacht) Das höre ich häufiger. Viele sagen mir, dass ich ja gar nicht so ein Arschloch, so ein Depp, so ein arroganter Typ sei, wie sie dachten. Vielleicht kommt das daher, dass mich die Leute sonst nur vom Fußballplatz kennen. Und da agiere ich oft an der Grenze. Ich will unbedingt gewinnen und kann nicht verlieren, egal, ob beim Training oder im Spiel. Deswegen kann ich sogar nachvollziehen, dass viele Leute, die mich nur aus dem Fernsehen oder vom Fußballplatz kennen, ein schlechtes Image von mir haben. Und das ist völlig okay. Mir ist nur wichtig, dass die Menschen, die mich wirklich kennen, einen guten Eindruck von mir haben.

„Image is everything“ hieß ein sehr berühmter Werbeslogan in den 90er-Jahren von André Agassi. Können Sie mit dem Satz etwas anfangen?

Es geht so. Ich bin wie ich bin, das werde ich mit knapp 30 auch nicht mehr ändern. Wenn ich ehrlich bin: Ich will das gar nicht ändern. Ich werde weiterhin mein Herz auf den Platz lassen und alles für meinen Verein geben, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass wir die Spiele gewinnen.

Wie fast alle Fußballer haben auch Sie einen Berater, den Hamburger Akeem Adewuni. Haben Sie nie mit ihm über Ihr Image gesprochen?

Nein. Ich weiß, dass ich so ankomme, wie ich ankomme. Aber damit komme ich sehr gut klar. Ich kann nicht mit ganz Deutschland Kaffee trinken und der Nation zeigen, wie ich eigentlich ticke.

Sie wurden in Ihren ersten drei HSV-Spielen lautstark von den Gegnerfans ausgepfiffen. Berührt Sie das überhaupt nicht?

Im Gegenteil. Es stachelt mich sogar an. Ich hatte in Köln eine fantastische Zeit, der Verein bedeutet mir noch immer viel. Und trotzdem irritiert es mich nicht, wenn mich die Kölner Fans auspfeifen. Mich motiviert das viel mehr. Ähnlich war es mit den Hertha-Fans. Und die Meppen-Anhänger haben mir einen Torjubel vor ein paar Jahren krummgenommen und gepfiffen. Dann habe ich noch ein Tor geschossen. Und fertig. Mir waren und sind solche Pfiffe egal.

Ist Ihnen auch egal, dass die eigenen Fans Sie kritisch sehen? Beim HSV waren die Reaktionen auf Ihre Verpflichtung in den sozialen Netzen eher negativ.

Meine ganze Karriere über habe ich einen Leitgedanken verfolgt: Mir ist nicht wichtig, wie die Leute über mich bei meiner Ankunft denken. Mir ist wichtig, wie sie bei meinem Abschied über mich denken. Das war in Köln ähnlich. Die Hälfte der Fans dachte bei meiner Ankunft: cooler Stürmer. Die andere Hälfte dachte: puh, der Selke. Bei meinem Abschied habe ich dann überwiegend schöne, sehr wertschätzende Nachrichten erhalten. Das würde ich mir auch beim HSV wünschen. Doch das werde ich nicht durch ein paar Floskeln im Interview erreichen. Dafür kann ich nur auf dem Platz sorgen.

Mehr zum Thema

Auf dem Platz sollen Sie perspektivisch eine Doppelspitze mit Robert Glatzel bilden. Auch er ist ein Familienpapa. Sprechen Sie in der Kabine über Erziehungsfragen, Vorlesetipps oder Spielplätze?

Über Erziehungsfragen haben wir uns noch nicht wirklich ausgetauscht, aber unsere Töchter haben sich beim Familiennachmittag super-gut verstanden. Da hat meine Tochter auch den HSV-Dino kennengelernt. Vor dem großen hatte sie ein wenig Angst, das Kuscheltier findet sie aber total toll. Und Spielplätze haben wir auch schon sehr coole in Hamburg gefunden. Meine Tochter liebt Hagenbecks Tierpark und den Spielplatz dort. Und der Wasser-Spielplatz in der HafenCity ist auch sehr besonders.

Ist Ihre Tochter am Wochenende im Stadion gegen Regensburg dabei?

Wenn alles mit dem Umzug glatt geht, dann sind meine Frau und meiner Tochter dabei. Natürlich stilecht mit einem HSV-Trikot.

Und dem Namen „Selke“ und der Nummer 27 auf dem Rücken?

Jein. Die Nummer 27. Und darüber steht: Papa.