Großsegel gerissen, kein Whisky vor Kap Hoorn - doch Boris Herrmann hat die Lust an der Vendée Globe nicht verloren. Im Gegenteil.
Das letzte Rennviertel läuft. Meine Kap-Hoorn-Rückschläge konnte ich inzwischen gut verarbeiten. Ich bin dort mit dem Starkwind nicht gut zurechtgekommen. Es war totaler Mist, dass mein Großsegel gerissen ist. Das hat mich sehr viel gekostet. Mehr als man denkt. Von Weihnachten bis Kap Hoorn ging es nur bergab: Weihnachten war ich Dritter, bei Kap Hoorn Elfter. Den geplanten Schuss Whisky für Kap Hoorn gab es also nicht. Wenn man das Kap nicht sehen kann, weil man zu weit entfernt segelt, dann will man nicht irgendwo Whiskey verschütten. Ich habe das Kap nicht gefeiert.
Doch jetzt geht es wieder bergauf. Als offizielles Ziel habe ich Platz fünf festgelegt. Das muss nicht, kann aber noch klappen. Es ist ein ambitioniertes Ziel, denn es kann immer viel passieren. Im Moment gewinne ich gerade mit Glück ein bisschen.
Es wird sehr schwierig, den führenden Yannick Bestaven noch zu kriegen
Es wird sehr schwierig, den führenden Yannick Bestaven noch zu kriegen. Seine Führung ist eine Überraschung. Niemand hatte ihn auf der Rechnung. Er hat keine großen Foils (Tragflächen, d. Red.), konnte aber mit seinen kleinen bislang viel besser pushen. Bis Freitag konnte ich auf Platz neun vorrücken. Da geht noch was.
Meine Schäden haben mich aber auch daran erinnert, dankbar zu sein, dass es überhaupt weitergeht. Hätte ich den Schaden am Großsegel nicht beheben können, wäre das Rennen für mich zu Ende gewesen. Wäre der Riss größer geworden, hätte ich nicht genügend Material zur Reparatur gehabt, für die Heimfahrt nicht genug Proviant an Bord. Ich war im Krisenmodus, fühle mich aber jetzt von dem Druck befreit. Würde mir jemand einen Heimflug und den neunten Platz anbieten, würde ich ablehnen. Ich will nach Hause segeln und mir lieber noch ein paar Plätze holen.
Bislang sehr wenig schöne Segelbedingungen
Ich habe mit diesem Rennen noch eine Rechnung offen. Sowohl für mich persönlich als auch sportlich. Ich möchte schöne Segelbedingungen finden, die ich bislang sehr wenig hatte. Es gab kaum die Winde, die am meisten Spaß machen. Auch das Foilen (Wenn sich das Boot auf seine Tragflächen erhebt und über dem Wasser „fliegt“, d.Red.) ist im Moment nicht schön. Es findet am Wind statt. Es schlägt und hämmert. Schönes Foilen findet bei 120 Grad zum Wind bei flachem Wasser statt. Das wünsche ich mir! Ich habe noch Lust zu segeln. Ich habe das Gefühl, da kommt noch was. Ich will noch etwas erleben und ein bisschen belohnt werden.
Boris Herrman bei der Vendée Globe:
Mental bin ich gut drauf. Ich konnte endlich etwas mehr schlafen. Die zunehmende Wärme macht einen riesigen Unterschied. Ich laufe nur noch mit einer Lage Fleece an Deck herum und muss nicht mehr wie ein Hund leben. Wen oder was ich mir gerade für einen Tag an Bord wünsche? Da muss ich ‚nichts‘ antworten, sonst wäre es ja keine Vendée Globe mehr. Ich muss ohne Hilfe von außen klarkommen. Es geht jetzt darum, dass das Schiff ganz bleibt und heil ins Ziel kommt. Die Platzierung ist dann noch ein Bonus. Ich verbringe also einige Zeit, mit Bangen und Anspannung auf die Geräusche des Schiffes zu hören, ins Schiff hineinzufühlen, auf die Anzeigen zu schauen und zu hoffen, dass alles ganz bleibt.
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In einer guten Woche sollten wir in den Passatwinden sein. Das müsste eine schöne Woche werden. Den Äquator werden wir in etwa acht, neun Tagen erreichen. Weiter geht es danach im Nordostpassat für etwa fünf Tage, bis wir die Westwinddrift mit einem Tiefdruckgebiet im Norden wieder erreichen. Und unseren Weg in den Start- und Zielhafen Les Sables-d’Olonne, wo wir Ende Januar ankommen sollten.
Natürlich höre ich von meiner Familie und Freunden, was an Land los ist. Der Lockdown macht mir Sorgen. Nicht meinetwegen. Ich sorge mich um die Menschen, um die Wirtschaft und um die Betriebe – ich hoffe, dass es Perspektiven gibt und dass es weitergeht. Unser Sport scheint mit der Pandemie klarzukommen, er kann trotz Corona gut funktionieren. Mir selbst fehlen hier draußen vor allem die Menschen, nach denen ich mich sehne. Aber es bleibt ein tolles Abenteuer.
Aufgezeichnet von Tatjana Pokorny