Hamburger Segler Boris Herrmann schildert seine Erlebnisse bei Soloregatta Vendée Globe. Jeden Tag Sturm und riesige Wellen.
Es ist die Regatta seines Lebens. Boris Herrmann zählt im Rekordfeld von 33 Männern und Frauen zu den 18 Debütanten der neunten Auflage der Weltumseglung „Vendée Globe“. Zu bewältigen sind 24.296 Seemeilen (44.996 Kilometer), die der Hamburger in rund 80 Tagen zurücklegen will. Im Abendblatt-Logbuch berichtet der 39-Jährige einmal wöchentlich von See über seine Premiere.
Jacques Caraës neigt nicht zu Übertreibungen. Der erfahrene Regattadirektor der Vendée Globe hat in dieser Woche seine erste offizielle Zwischenbilanz des Rennens gezogen und gesagt, dass es eine „außergewöhnlich schwierige Vendée Globe“ ist. Da hat er recht. Für mich ist es zwar eine Premiere, doch bin ich zuvor schon dreimal mit Teams um die Welt gesegelt und kann vergleichen. In meiner Erinnerung hatten wir noch nie so einen konfusen Seegang hier unten im Southern Ocean wie in diesen Wochen.
Würde ich aktuell ein Bild von den Bedingungen dieser neunten Auflage malen, dann würde ich ein historisches Ölgemälde mit einem alten Windjammer nehmen, den Windjammer ausschneiden und den Rest stehen lassen. Auf diesen übertriebenen Schinken von früher sieht der Ozean ein bisschen aus wie hier. Es sind die gleichen Grau- und Silbertöne. Mit etwas Licht. Dazu diese Schaumfetzen und Schaumkronen und diese weißen Kappen auf den Wellen, die aussehen wie von einem Kind gemalt. Oder von einem Kunstmaler, der eigentlich keine Ahnung hat. Diese Wellen, die ein bisschen zu steil, zu hoch, zu knubbelig sind. Aber zuletzt sah es hier unten im Südmeer tatsächlich so aus.
Jeden Tag Sturm und riesige Wellen
Wir haben jeden Tag Sturm und riesige Wellen. Ich bin erschöpft. Es ist anstrengend. Ich habe vor ein paar Tagen über UKW Jean Le Cam gelauscht, der sich mit Damien Seguin unterhielt. Le Cam sagte, er habe die Schnauze voll von dem Starkwind. Er habe so etwas noch nie erlebt. Er muss es wissen, es ist seine fünfte Vendée Globe. Damien Seguin lag am Freitag vor mir auf Platz sieben. An der linken Hand ohne Finger geboren, liefert Damien eine super Leistung ab. Ich habe immer noch keine Ahnung, wie er das macht. Was für ein cooler Typ!
Boris Herrman bei der Vendée Globe:
Meinem Boot geht es nach fast fünf Wochen auf See gut. Ich hoffe das jedenfalls, denn gewisse Schäden oder Ermüdung sind von außen nicht immer sichtbar. Da bleiben Hoffen und Bangen mit von der Partie. Klopfen wir auf Holz, denn man verlangt dem Boot viel ab. Nur das Segel J2 ist beschädigt und fehlt mir weiter sehr. Das sollte ich in drei, vier Tagen in ruhigeren Bedingungen wie auch die beiden Hydrogeneratoren reparieren können.
Physisch geht es mir gut. Mental bin ich okay. In der vergangenen Woche gab es Tage, an denen ich mich einsam gefühlt habe. Das war schmerzhaft. Das Gefühl ist jetzt zum Glück fast weg. Das kann sich aber von einer Minute auf die andere ändern. Ich fühle mich meinen Emotionen ein wenig ausgeliefert. Mein Schlafarzt in Hamburg, Doktor Holger Hein, sagte, dass es bei polyphasischem Schlaf, also Schlafen in kurzen Einheiten, normal ist, dass man einen anderen Hormonspiegel hat und Emotionen stärker wahrnimmt. Meine Zwischenbilanz fällt aber positiv aus. Ich habe bislang alles präservieren können: mich und das Boot. Ich bin nur einmal – beim Klettern in den Mast – über meine Grenzen gegangen. Sonst habe ich vorsichtig und behutsam agiert. Wenn die See mich lässt, dann kann ich angreifen. Wenn die See den Weg freigibt, sind wir da.
Die See hier im Indischen Ozean ist eine chaotische Buckelpiste
Aber noch ist die See hier im Indischen Ozean eher eine chaotische Buckelpiste, die einlädt, ein Boot zu zerstören. Deswegen sind die alten Boote wie etwa das von Damien Seguin auch so schnell. Sie kommen da ohne Foils leichter durch. Sobald die See flacher wird, sollten wir mit unseren Foils (dt.: Tragflächen) nach vorne düsen.
Dass Samantha Davies nach ihrer offiziellen Aufgabe mit der in Kapstadt reparierten ‚Initiatives Cœur‘ ihre Weltumseglung außerhalb des Rankings fortsetzen will, finde ich mutig. Das zeigt mentale Stärke. Sie hat diesen Ausnahmefall lange vor Rennstart bedacht. Ich erinnere mich, dass wir im Sommer zusammen im Café Tara in Lorient gesessen haben, das mit dem französischen Meeresforschungsschiff „Tara“ verbunden ist. Das Café war ihre Wahl. Ich hatte sie gebeten, dass wir einen Tee zusammen trinken. Ich wollte sie als diejenige mit mehr Erfahrung ausfragen.
Lesen Sie auch:
- Boris Herrmann: „Als würde das Meer kochen“
- Hamburger Skipper Boris Herrmann suchte bei Seegang nach Konkurrent
- Boris Herrmann: Paranoide Vorstellungen beim Mastklettern
- Boris Herrmann: Nur "Spike" erinnert mich ans Festland
- Boris Herrmann: „Noch nie habe ich es so heulen hören“
Sie hatte schon vorher zweimal an der Vendée Globe teilgenommen: einmal mit Platz vier, einmal musste sie aufgeben. Im Café kam das Thema auf: Was machen wir, wenn wir ausscheiden? Da hat sie gesagt, dass die Vendée Globe für sie eine Um-die-Welt-Fahrt ist und sie alles tun würde, um die Fahrt zu Ende zu bringen. Insofern kam die Ankündigung für mich nicht überraschend. Aber es ist ein Kraftakt, wenn plötzlich der sportliche Aspekt in den Hintergrund tritt und man der Flotte alleine und mit viel Rückstand hinterherfährt. Ob ich das machen würde? Da kann ich mir keine Antwort anmaßen, weil ich das Gefühl noch nicht kenne. Vielleicht würde ich auch heulend auf dem Sofa sitzen.
Es ist mein Privileg und mein Glück, dass mich die Pandemie auf See nicht so trifft wie andere
Trotz allem bleibt immer etwas Zeit für den Nachrichtenaustausch mit Zuhause. Ich weiß, dass die Corona-Pandemie und die Diskussionen um die Maßnahmen ein großes Thema sind. Mich haben die Maßnahmen in der Zeit, in der ich noch in Hamburg war, nicht so stark belastet. Weil ich in einer Lebensphase bin, in der es nicht so schlimm ist, zu Hause zu bleiben. Wenn ich ein Jungspund wäre, der raus und Leute kennenlernen will oder sein Studium gerade angefangen hat, wäre es sicher schwer.
Ich verstehe, dass die Pandemie viele Menschen belastet. Ich aber habe gerade mein kleines Baby und bin gerne mit Frau und Kind zu Hause oder gehe mit dem Hund raus. Für mich waren Einkehr und Eintracht vor dem Rennen etwas sehr Schönes. Aber noch ist diese Geborgenheit weit weg. Es ist mein Privileg und mein Glück, dass mich die Pandemie auf See nicht so trifft wie andere. Es wäre schön, wenn ich nach dem Rennen wiederkommen und die Heimkehr mit Freunden und Unterstützern feiern könnte. Aber da werden wir Ende Januar – bei allem Optimismus – vielleicht noch nicht so weit sein. Ich bin aber optimistisch, dass ich ins Ziel komme.