Hamburger Segler Boris Herrmann schildert seine Erlebnisse bei Soloregatta Vendée Globe. Der Weltumsegler fühlt sich müde.
Es ist die Regatta seines Lebens. Boris Herrmann zählt im Rekordfeld von 33 Männern und Frauen zu den 18 Debütanten der neunten Auflage der Weltumseglung „Vendée Globe“. Zu bewältigen sind 24.296 Seemeilen (44.996 Kilometer), die der Hamburger in rund 80 Tagen zurücklegen will. Im Abendblatt-Logbuch berichtet der 39-Jährige einmal wöchentlich von See über seine Premiere.
Kap Hoorn ist nah. Die beiden Spitzenreiter der Vendée Globe, Yannick Bestaven und Charlie Dalin, werden es voraussichtlich an diesem Wochenende in sehr stürmischen Bedingungen passieren müssen. Sie haben mit mehr als 40 Knoten Wind und sieben, acht Meter hohen Wellenbergen zu rechnen. Ich selbst werde Kap Hoorn wohl am Montag passieren. Es ist der wichtigste Meilenstein für Weltumsegler, bevor es auf die atlantische Zielgerade zurück in den Start- und Zielhafen Les Sables-d’Olonne in Frankreich geht.
Für uns ist dieses dritte und letzte Kap auf unserer „Route der drei Kaps“ um die Welt wie der Gipfel des Mount Everest. Mit Fug und Recht. Unabhängig vom Segelsport verdankt es seinen legendären Ruf seiner Lage dort, wo sich Pazifik und Atlantik oft stürmisch begegnen, vor allem aber der Geschichte der Frachtsegelei. Insbesondere den Windjammern, die einst von Europa nach Amerika segelten und Kap Hoorn gegen den Wind von West nach Ost passieren mussten. Für Reedereien war es damals schon lohnenswert, wenn nur jedes zweite Schiff es schaffte. Die Mannschaften sind einst tatsächlich auf Leben und Tod gesegelt. Daher der Mythos. Es ist bekannt, dass sich vor Kap Hoorn der größte Schiffsfriedhof der Welt befindet. Nach Expertenschätzungen sanken hier seit der ersten Passage 1616 des Holländers Willem Schouten, nach dessen Heimatort Hoorn das Kap benannt wurde, etwa 800 Schiffe.
Boris Herrman bei der Vendée Globe:
Ich werde der Tradition folgen und einen ordentlichen Schluck Whisky ins Meer gießen, wenn es so weit ist
Ich hoffe, dass ich diesen schroff aufragenden grauen Felsen am Südzipfel Chiles bei Tageslicht zu sehen bekomme. Passiert man ihn in der Dunkelheit, wird man um diesen Anblick gebracht. Ich werde der Tradition folgen und einen ordentlichen Schluck Whisky ins Meer gießen, wenn es so weit ist. Für mich wird diese Passage das größte Fest meiner Reise sein, denn dann verlassen wir das Südmeer und erreichen im Anschluss an die Drake-Passage zwischen Kap Hoorn und den Südlichen Shetlandinseln wieder berechenbarere atlantische Gefilde.
Da will und kann ich angreifen, denn mein Boot ist zu 100 Prozent intakt. Den Riss im Großsegel, den ich in der Silvesternacht beim Reffen entdeckt hatte, konnte ich zum Glück schnell reparieren. Wir haben das Schiff vier Jahre lang mit einem guten Team gut vorbereitet. Ich hatte dabei eine Art Paranoia entwickelt, über jedes Detail zu wachen. Ich denke also, dass ein gewisser Perfektionismus zum jetzigen Zustand geführt hat.
Lesen Sie auch:
- „Das halbe Rennen liegt noch vor uns“
- Boris Herrmann: „Angreifen, wenn die See mich lässt“
- Boris Herrmann: „Als würde das Meer kochen“
- Hamburger Skipper Boris Herrmann suchte bei Seegang nach Konkurrent
- Boris Herrmann: Paranoide Vorstellungen beim Mastklettern
- Boris Herrmann: Nur "Spike" erinnert mich ans Festland
- Boris Herrmann: „Noch nie habe ich es so heulen hören“
Jetzt bin ich seit 55 Tagen auf See hier und blicke dem letzten Drittel meiner Reise optimistisch entgegen
Es wird mit Blick auf die Wind- und Wetterprognosen noch ein ziemlich wilder Ritt bis Kap Hoorn, das uns aber nicht ganz so brutal empfangen sollte wie die beiden führenden Boote. Ich rechne mit 20, 25 Knoten Wind und guten Segelbedingungen. Ich werde Kap Hoorn zum fünften Mal passieren. Ich erinnere mich, dass mir mein Freund Felix Oehme bei der Passage 2009 mit „Beluga Racer“ auf die Schulter klopfte und laut sagte: „Du siehst es 2012 wieder …“ Das war damals mein Plan, denn ich wollte schon an der Vendée Globe 2012/2013 teilnehmen. Es hat aber noch ein gutes Jahrzehnt gedauert, bis es mir wirklich gelungen ist.
Das macht meine Vendée-Globe-Premiere noch besonderer. Jetzt bin ich seit 55 Tagen auf See hier und blicke dem letzten Drittel meiner Reise optimistisch entgegen. Natürlich bin ich mental und physisch müde. Das Urteilsvermögen ist manchmal nicht mehr ganz scharf, die Amplituden zwischen Freude und Genervtsein fallen stärker aus. Ich versuche, etwas mehr Schlaf zu finden.
Meine guten Vorsätze für 2021 sind klar: Ich möchte dieses Rennen erfolgreich zu Ende bringen. Und ich möchte unser Lern- und Mitmach-Programm ‚My Ocean Challenge‘ für Kinder und Jugendliche vorantreiben und ich möchte unsere Arbeit im Kampf gegen den Klimawandel fortsetzen. Das Programm auf See ist auch klar: Ich werde irgendwann die Südpassatwinde finden und den Kalmengürtel am Äquator kreuzen. Danach werden uns der Nordostpassat und einige Tiefdruckgebiete bis ins Ziel tragen.
Aufgezeichnet von Tatjana Pokorny