An Bord der „Seaexplorer – Yacht Club de Monaco“. Solo-Weltumsegler Boris Herrmann schreibt im Abendblatt über seine erste Woche.
Es ist die Regatta seines Lebens. Am Sonntag begann im französischen Atlantikort Les Sables-d’Olonne die neunte Auflage der Weltumseglung „Vendée Globe“. Boris Herrmann zählt im Rekordfeld von 33 Männern und Frauen zu den 18 Debütanten. Zu bewältigen sind 24.296 Seemeilen (44.996 Kilometer), die der Hamburger in rund 80 Tagen zurücklegen will. Im Abendblatt-Logbuch berichtet der 39-Jährige einmal wöchentlich von See über seine Premiere. Am Ende der ersten Woche hat Herrmann bereits einige Feuertaufen bestanden.
Folge 1: „Noch nie habe ich es im Mast so heulen hören“
Die Reise meines Lebens läuft. Und ich bin so stolz, es mit meinem Team Malizia und meinem Boot „Seaexplorer – Yacht Club de Monaco“ an die Startlinie geschafft zu haben. Wir sind seit fast einer Woche auf See. Zeit für Reflexion gab es trotz der ersten Stürme auch schon ein wenig. Das Premierengefühl des Starttages am 9. November bleibt unvergesslich. Ich war ganz bei mir. Ich war gut drauf und nicht zu angespannt. Ich habe erst zwei, drei Tage später auf See gemerkt, wie viel einem durch den Kopf geht und wie viel Spannung doch auf einem lastet, wenn man in so ein Abenteuer startet. Das Alleinsein habe ich noch nicht ganz so intensiv realisiert. Ich lebe und agiere in Zehn-Minuten-Schritten. Ich habe noch nicht das Gefühl, wirklich in der Vendée Globe angekommen zu sein. Es könnte auch ein Training oder ein Atlantikrennen sein. Ich glaube, das wahre Vendée-Globe-Gefühl setzt erst mit dem Eintauchen in die Südhalbkugel ein.
An Tag sechs auf See hatte ich erstmals den Eindruck, dass ich meine Seebeine wiedergewonnen habe. Ein gutes Gefühl! Ich war teilweise ziemlich gestresst in dieser ersten Woche, habe mein erhofftes Ruhepensum nicht erreicht und nur in ganz kleinen Happen geschlafen. Zweimal nur bin ich richtig tief eingeschlafen. In den Nächten auf Donnerstag und auf Freitag jeweils eine Dreiviertelstunde. Da bin ich dann völlig benommen aufgewacht und hatte ganz komisch geträumt. Einmal wusste ich nicht, wer ich war, wo ich bin und was gerade los ist. Ich musste mich kneifen, um wieder klar denken zu können.
Erste Sturmtests habe ich gut überstanden
Meine kulinarischen Höhepunkte in dieser ersten Woche waren frische Früchte wie Äpfel und Apfelsinen oder Avocados, die ich noch an Bord habe. Leider nicht mehr lange. Dafür wird das Wetter wärmer als zu Hause in Hamburg. Am heutigen Sonnabend sind es etwa 16, 17 Grad hier draußen, westlich der Kanaren. Ein Unterschied besteht auch darin, dass die Tage im Atlantik deutlich länger sind als in meiner Heimatstadt, die dunklen Nächte dafür kürzer.
Meine ersten Sturmtests habe ich gut überstanden. Wir sind schon zum Auftakt durch Feuertaufen gegangen. So lässt es sich nun mit allen Wassern gewaschen gut weitermachen. Der erste Sturm am Ausgang der Biscaya war eine Kaltfront mitten in der Nacht, eine echt harte Nummer. Sicht gab es gar keine mehr. Ich habe noch nie ein so starkes Heulen im Mast gehört. Auch physisch war es sehr anstrengend, die Schläge des Bootes in die Wellen wegzustecken. Schwierig war, dass mir ein Vorsegel gebrochen ist und ich aufs Vordeck musste, um das Segel einzurollen, ohne dass es sich in der falschen Richtung verheddert. Eine haarige Nummer. Dann musste ich noch eine Wende fahren. Und das in dem stürmischen Wind und nur unter Großsegel. Zum Glück hat das gut geklappt.
Die Flautenfalle, in die ich nach diesem ersten Sturm geraten bin, die hat mir zugesetzt. Da saß ich nun, und nichts ging mehr. Ich musste zusehen, wie die anderen weiterfuhren. Da kam der ganze Druck hoch, der sich in mir seit dem Starttag mit dem Wettkampf, der Kaltfront, dieser harten Nacht, der Angst, dass was kaputt geht, und den Sorgen angestaut hat.
Eine Flaute ist manchmal das Schlimmste für die Moral
Ich kenne diese Gefühle von mir, erlebe sie zu Beginn von längeren Reisen immer wieder. Dann bedrückt einen alles, vor allem die Einsamkeit, die sich doch einmal bemerkbar macht. Dann ist eine Flaute das Schlimmste für die Moral. Inmitten dieser frustrierenden Lage aber gab es einen Moment, in dem ich kurz Sonnenschein und Seevögel sah. Das hat mich aus meinem persönlichen Tief dieser Auftaktwoche geholt.
Ich weiß, dass ein Start immer schwierig ist. Doch ich hatte gehofft, dass es dieses Mal leichter wird. War es aber nicht. Wenn ich „down“ bin, ist Ablenkung mit dem Telefon nicht schlecht. Ich bekomme enormen Zuspruch von Freunden und Förderern. Das hilft sehr! Ich chatte und telefoniere. Aber wenn man richtig miese Gefühle hat, dann hilft fast nichts mehr. Laut schreien oder auch mal heulen sind manchmal gute Alternativen. Ansonsten einfach warten. Manchmal kann auf See nur die Zeit weiterhelfen.
Mit Jérémie Beyou musste einer der Favoriten aufgeben
Geprägt hat diese erste Woche auch das Unglück von Jérémie Beyou auf „Charal“. Er ist neben dem führenden Alex Thomson („Hugo Boss“) als einer der Co-Favoriten gestartet, musste aber nach wenigen Tagen mit Bruch umkehren. So ein Rückschlag ist nach so vielen intensiven Jahren der Vorbereitung unheimlich schwer vorstellbar. Ich kann kaum drüber sprechen. Ich habe ihm via WhatsApp alles Gute gewünscht. Er hat auch gleich geantwortet. Er sitzt da ja jetzt mit ungutem Kopfkino auf seinem Boot. Das stelle ich mir unendlich schwer vor.
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Was einen wieder zur Frage bringt, warum man das alles tut. Natürlich ist die Vendée Globe eine Unternehmung, die nur die wenigsten Leute selbst angehen wollen würden. Trotzdem fasziniert sie so viele. Ich wollte schon lange dabei sein. Dabei spielt eine Arte-Dokumentation über Rekordfahrten im Südpolarmeer, die ich als 16-Jähriger gesehen habe, eine wichtige Rolle. Zu dem Zeitpunkt habe ich als Jugendlicher noch einen 420er gesegelt und das erste Mal Gleiten auf einer kleinen Jolle erlebt.
Ich fand es im Vergleich dazu eine irre Vorstellung, dass diese Typen da ganz alleine auf ihren „Riesenjollen“ die Südmeerwellen absurften. Dazu die Albatrosse, die Eisberge und das ganze Abenteuer. Das hat mich gepackt und nie wieder losgelassen. Das ist der ganze Grund, warum ich jetzt hier bin.
Aufgezeichnet von Tatjana Pokorny