An Bord der „Seaexplorer – Yacht Club de Monaco“. Solo-Weltumsegler Boris Herrmann schreibt im Abendblatt über seine dritte Woche.

Es ist die Regatta seines Lebens. Boris Herrmann zählt im Rekordfeld von 33 Männern und Frauen zu den 18 Debütanten der neunten Auflage der Weltumseglung „Vendée Globe“. Zu bewältigen sind 24.296 Seemeilen (44.996 Kilometer), die der Hamburger in rund 80 Tagen zurücklegen will. Im Abendblatt-Logbuch berichtet der 39-Jährige einmal wöchentlich von See über seine Premiere.

Die dritte Woche auf See neigt sich dem Ende zu, und ich habe das Gefühl, dass es jetzt erst richtig losgeht. Bis hierhin war es noch viel Warmwerden. Ab jetzt beginnt das Rennen wirklich. Wir haben das Südmeer erreicht und sollten das Kap der Guten Hoffnung am Sonntag passieren. Hinter uns liegt die anspruchsvolle Navigation durchs St.-Helena-Hoch. Das war eine mentale Herausforderung. Jeder Segler weiß: Nichts ist härter, als wenn sein Boot stehen bleibt. Flauten können Psychoterror sein. Totaler Psychoterror. Die Unsicherheiten dieser Passage haben sich in der Unterschiedlichkeit der Routen der Boote ausgedrückt. Ich denke, ich bin insgesamt gut durchgekommen.

Allerdings hatte ich am Donnerstagabend ein Malheur mit meinem Mast. Mein Gennaker (Red.: großes Vorsegel) wollte nicht richtig einrasten. Ich habe es etwa 30-mal probiert, aber es ging nicht. In nur ein, zwei Seemeilen Abstand zu mir segelte Yannick Bestaven. Dem habe ich noch angekündigt, dass er sich nicht wundern soll, wenn ich gleich in den Mast steige. Alles musste mit drohendem Einbruch der Dämmerung schnell gehen, weil es bei Dunkelheit noch gefährlicher ist. Es klingt vielleicht einfach, aber ich habe Höhenangst, und schon die Vorstellung, da hochzuklettern, verursacht bei mir Psychostress. Normalerweise kann man mich damit jagen. Ich denke, das Adrenalin hat mir geholfen, mich zu fokussieren. In solchen Stresssituationen ist es für mich so, als würde mir mein Inneres Befehle geben. Ich lag als Vierter gut im Rennen und wollte nicht lange zögern. Man stellt sich auch keine Fragen mehr. Man muss da hoch. Es war klar, dass ich nicht mit dem größten Vorsegel ins Südmeer segeln kann, das man dort nicht mehr runternehmen kann. Das wäre total gefährlich.

Heikle Aktion: Freeclimbing mit Marke Eigenbau

Bei Übungen vor dem Rennen hatte ich mich immer nur den Mast halbhoch getraut. Dieses Mal musste ich die ganzen 29 Meter hoch bis ins Masttopp. Da hat man schon paranoide Vorstellungen wie: Ich verliere mein Messer da oben, vertüddele mich, kann mich nicht mehr freischneiden und komme nicht mehr runter. Da schippert man dann mutterseelenallein wie bei Odysseus übers Meer. Ich hatte eine Sicherung und zwei Karabinerhaken, an denen ich hing. Weil ein Fall (Red.: Tauwerk zum Segelsetzen) aber nicht ganz bis nach oben führt, musste ich am Ende etwas Freeclimbing betreiben. Ich musste mir selber eine Taille bauen, mit der ich mich das letzte Stück hochgezogen habe. Es war eine heikle Aktion. Ich habe da oben eine Weile mit dem Fallenschloss herumgetüddelt. Irgendwann hat sich der Mechanismus gelöst. Das klingt alles leicht, doch wenn sich das Boot umherwirft und du klammerst dich da oben in 18 Metern Höhe fest, sieht es schon ganz anders aus.

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Ich habe mich damit motiviert, dass ich mich selbst belohnen werde, wenn ich wieder an Deck bin. Mit Schokolade in der Koje vielleicht. Unten angekommen, war ich dafür zu müde. Ich konnte nicht mal richtig zu Abend essen. Geholfen hat mir das Aufräumen an Deck. Da kam ich etwas zur Ruhe. Die ganze Aktion hat mit Vorbereitung, An- und Ausziehen eineinhalb Stunden gedauert und mich vielleicht 15, 20 Seemeilen im Rennen gekostet. Aber ich hatte insgesamt Glück, denn das hätte ja auch in viel Wind passieren können. Nun kann ich normal weitersegeln.

Kap der Guten Hoffnung als mentaler Meilenstein

Das Kap der Guten Hoffnung werden wir wie üblich gar nicht sehen, weil wir es weit südlich passieren. Wir kennen es kaum. Bei meiner ersten Weltumseglung mit Felix Oehme 2008/09 sind wir zu einem Zwischenstopp in Kapstadt eingelaufen. Da habe ich das Kap einmal besucht. Oft ist Kapstadt, das ich sehr liebe, auch der Nothafen der Unglücklichen. Ich meine, es waren bei der letzten Vendée Globe gleich drei Skipper, die hier einlaufen und aufgeben oder reparieren mussten. Das Kap der Guten Hoffnung ist ein mentaler Meilenstein auf unserer Route der drei großen Kaps. Mit ihm ist etwa ein Drittel geschafft.

Schon am Donnerstag hatte mich der erste Albatross begrüßt. Am Freitag habe ich mehrere gesehen. Das Südmeer ist da. Es ist oft so ein bedeckter Himmel, durch den trotzdem noch etwas Sonne durchkommt. Je weiter man nach Süden kommt, je mehr sieht es nach hohen Breiten aus. Sprich: Die Dämmerungszeiten werden länger. Es ist einfach ein anderer Himmel, nicht wie in den Tropen, sondern mehr wie in unserer Heimat oder wie im Norden von Norwegen. Ich mag diese hohen Breiten. Ich bin ein Nordlicht. Da sind auch Heimatgefühle im Spiel. Es macht mir nichts aus, wenn es hier oft grau ist. Ich freue mich auf die lange Dünung im Southern Ocean, die gleichmäßigen und gut vorhersehbaren Windsysteme, zu denen man sich gut positionieren und mit denen man arbeiten kann. Man kommt hier unten beim 40. Breitengrad mit dem Meer in einen Rhythmus.

Gegen die Einsamkeit hilft viel Kommunikation

Mit Thomas Ruyant (Red.: Zweiter im Rennen) möchte ich aktuell nicht tauschen. Eines seiner Foils (Red.: Tragflächen) ist gebrochen. Da das andere die gleiche Struktur hat, ist auch das nicht mehr sicher. Wir haben noch keine Nachricht, ob er es abwirft oder behält. In letzterem Fall muss er es im Innern seines Tunnels verstärken. Dann muss er noch basteln. Das kostet viel Energie und ist mental eine harte Situation für ihn. Aber ich kenne Thomas von einem gemeinsam bestrittenen Rennen sehr gut. Er ist ein Kämpfer und wird bis zum Ende durchziehen, auch wenn seine Hoffnung auf einen Sieg fast aussichtslos ist. Das Podium ist vielleicht noch möglich.

Gegen die Einsamkeit hier draußen hilft mir meine intensive Kommunikation mit der Außenwelt. Ich bin kein einsamer Wolf, der sich in ein mönchsartiges Stadium begibt und darin aufgeht. Ich suche und brauche die Kommunikation. Ich liebe es auch, in Teams zu segeln. Das Einhandsegeln und die aktuelle Aufgabe faszinieren und reizen mich, aber das so durchzuziehen, ist eine große Herausforderung für mich. Ich bekomme viel Unterstützung von Leuten an Land. Das hilft im Kopf und macht Spaß.

Liveschalte mit Schülern aus Monaco

Genauso wie die vielen Schulklassen, die dem Rennen und mir folgen. In der vergangenen Woche hatte ich eine Liveschalte mit Schulkindern in Monaco. Für die nächste Woche steht eine Videokonferenz mit einer Klasse des Gymnasiums Grootmoor auf dem Programm. Wir haben viele Schulklassen im deutschen Norden, die uns begleiten und sich mit dem My-Ocean-Challenge-Projekt befassen, das meine Frau Birte und ich entwickelt haben.

Ich besteige bald den ersten Sou­thern-Ocean-Zug. So nennen wir die Kaltfronten, mit deren Unterstützung wir hier unten schnell vorankommen wollen. Wer vor der Front, also im Zug, bleiben kann, macht die größten Gewinne. Wer aus dem Zug fällt, der kann viel verlieren.

Aufgezeichnet von Tatjana Pokorny