An Bord der „Seaexplorer – Yacht Club de Monaco“. Solo-Weltumsegler Boris Herrmann schreibt im Abendblatt über seine zweite Woche.

Es ist die Regatta seines Lebens. Boris Herrmann zählt im Rekordfeld von 33 Männern und Frauen zu den 18 Debütanten der neunten Auflage der Weltumseglung „Vendée Globe“. Zu bewältigen sind 24.296 Seemeilen (44.996 Kilometer), die der Hamburger in rund 80 Tagen zurücklegen will. Im Abendblatt-Logbuch berichtet der 39-Jährige einmal wöchentlich von See über seine Premiere.

Wir sind nun fast zwei Wochen auf See. Ich habe in meinen Rhythmus gefunden. Es geht mir gut bei dieser Vendée-Globe-Premiere. Meinem Boot auch. Das ist das Wichtigste. Aktuell sollten wir uns nach der Äquator-Überquerung am Donnerstag an diesem Sonnabend in der Nähe der brasilianischen Inseln Trindade und Martim Vaz im Atlantik befinden. Es geht im Schnitt mit 18 Knoten Speed flott voran. Die Außentemperaturen sind milde. Vor uns liegen noch einige Seemeilen bis zur anspruchsvollen Navigation durch das St.-Helena-Hoch, bevor wir in der kommenden Woche das Kap der Guten Hoffnung passieren und ins Südmeer eintauchen.

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Mit meinem siebten Platz bin ich glücklich. Es gibt inzwischen immer öfter spannende Rennen im Rennen. Vor ein paar Tagen hatte ich so ein Duell mit Samantha Davies auf „Initiatives Cœur“. Ich hatte gerade das Großsegel gerefft, das Vorsegel J3 gewählt und die anderen Segel weggenommen. Da konnte ich Sam Davies für kurze Zeit auf dem AIS (Red.: Automatisches Identifikationssystem für Schiffe) sehen. Sie hatte gerade drei Seemeilen gewonnen. Da hätte ich vielleicht etwas mehr riskieren können, aber bei 30 Knoten Wind muss man kein volles Großsegel mehr oben haben.

Es gibt immer öfter spannende Rennen im Rennen

Sie war mit kompletter Segelgarderobe abgefallen und fuhr mit 22 Knoten nach Südwest. Ich bin mit Reff und J3 nach Süden. Da hatten wir einen kleinen Split. Ich war nicht sicher, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte oder ihr hätte folgen sollen, aber ich wollte auch meinen Mast schonen. Schon eine halbe Stunde später hatte sich meine östlichere Positionierung ausgezahlt. Ich konnte dann auf dem AIS sehen, wie ich wieder an ihr vorbeigedüst bin. Da fuhr sie gerade 14,6 Knoten und wir mit 21. Das sieht man doch gerne.

Sam ist eine der erfahrensten Skipperinnen im Rennen. Die Männer eingeschlossen. Es ist ihre dritte Vendée Globe­. Sie hat ein Volvo Ocean Race als Skipperin bestritten und vieles mehr. 2001 haben wir beide das Mini-Transat gesegelt. Sie hat ein sehr gut vorbereitetes Boot und ein starkes Team. In der Vendée Globe macht es keinen Unterschied, ob du ein Mann oder eine Frau bist, denn es geht hauptsächlich um Erfahrung und Segeltechnik. Sam kann also alles erreichen, auch noch gewinnen. Wer weiß, was mit den dreien noch passiert, die aktuell vorne liegen. Alex Thomson hat den Äquator als Erster überquert und führt zu Recht, aber Thomas Ruyant („LinkedOut“) und Charlie Dalin („Apivia“) sind dicht dran.

Spitzengeschwindigkeit lag bei etwa 32 Knoten

Für den Überblick noch ein paar Daten der bislang absolvierten rund 4000 Seemeilen – Stand heute also etwa 16 Prozent der gesamten Kursstrecke: Meine Spitzengeschwindigkeit lag bei etwa 32 Knoten. In der Sturmfront der ersten Woche habe ich bis zu 40 Knoten Wind und bis zu vier Meter hohe Wellen erlebt. Als extremste Leistung der ersten beiden Wochen würde ich die von Damien Seguin beschreiben. Der zweimalige französische Paralympics-Gewinner und fünfmalige Weltmeister segelt mit nur einer Hand. Er war eine Woche lang vor mir. Dass er es schafft, mit diesem riesigen Schiff so stark zu segeln, beeindruckt mich wirklich. Hut ab!

Während ich auf die kleine Pflanze namens „Spike“ schaue, die mir mein Team vor dem Ablegen noch besorgt hat und die mich als Erinnerung an das Festland und als Tupfer Grün begleitet, ist die Geräuschkulisse an Bord wie immer imposant. Ich habe tatsächlich eine ganze Dose Ohrstöpsel dabei. Und drei Sätze Kopfhörer mit Noise-Cancelling-Funktion. Sorgen, dass ich deshalb einen Alarm überhöre, muss ich mir nicht machen. Die Alarme sind extrem laut.

segeln
© Imago

Die Kommunikation mit der Außenwelt funktioniert via WhatsApp bestens. Ich habe eine Satellitenantenne am Heck, die mir Wi-Fi an Bord beschert. Da kann ich mein Handy einklinken. Eine Firewall verhindert, dass nicht alles Mögliche durchkommt. Keine Bilder oder andere riesige Datenmengen. Bilder könnte ich auf Anfrage runterladen. Meine Videos, die wir auf unserer Homepage (borisherrmannracing.com) oder bei YouTube veröffentlichen, nehme ich mit dem Handy auf. Ich schicke sie dann mithilfe einer FTP-App an einen FTP-Bordserver. Der ist so programmiert, dass alles, was da in den Ordner einläuft, automatisch komprimiert und an Land gesendet wird. Die Antenne ist immer an, sodass ich jederzeit zum Handy greifen kann. Das ist auch für mich neu. Früher musste man sie immer erst einschalten.

Einen Rotwein zum Team-Chat

Ich bin gefragt worden, was es eigentlich bedeutet, dass wir bei diesem Solorennen um die Welt ohne Zwischenstopps keine Hilfe von außen annehmen dürfen, wenn doch viel kommuniziert wird. Da geht es in der Essenz darum, dass es keine Unterstützung geben darf, die der Leistungssteigerung dient. Wir haben alle unterschrieben, dass wir eine solche nicht in Anspruch nehmen. Erlaubt aber sind mentales Coaching und medizinischer Rat bei Verletzungen oder Krankheiten. Und technische Hilfen, etwa bei Bruch oder Problemen.

Ich hatte da vor Kurzem eine Frage zum Instrumentensystem, die mir Will Harris aus meinem Team sofort beantworten konnte. Ich musste einfach ein weiteres Gerät zuschalten – schon funktionierte wieder alles. Hundertprozentig kontrollieren lässt sich die Einhaltung der Regeln in diesem Bereich eher nicht. Da sind wir selbst in der moralischen Pflicht. Die Rennleitung kann aber nach Zieldurchgang ein Handy prüfen oder einen Rechner anschauen. Wenn dort beispielsweise alles gelöscht wäre, würde es vor die Jury gehen. Auch der Browserverlauf des Rechners darf laut Notice of Race nicht gelöscht werden. Wenn der leer oder alle E-Mails gelöscht wären, ginge es auch vor die Jury. Das könnte schnell zur Disqualifikation führen.

Zum Wochenende warme Grüße vom Atlantik nach Hause nach Hamburg. Ich vermisse die tollen Herbstfarben und das Spazierengehen mit Frau, Kind und Hund in dieser Stimmung. Mein Wochenende unterscheidet sich hier auf See wenig von den Tagen in der Woche. Außer dass ich jedes Wochenende dem Messgerät an Bord eine Wasserprobe für die Ozeanforschung entnehme und in der vergangenen Woche auch in Kooperation mit der IOC-Unesco und der OceanOPS in Äquatornähe eine Treibboje ausgesetzt habe, die viele Jahre und bis zu einer Tiefe von 2000 Metern im Meer treiben und die Wissenschaft mit wichtigen Daten wie Temperaturen, Salzgehalt oder Druckinformationen versorgen wird. Am Sonntagabend steht ein Chat mit meinem Team auf dem Programm. Darauf freue ich mich sehr. Vielleicht genehmige ich mir dazu sogar einen Schluck Rotwein.

Aufgezeichnet von Tatjana Pokorny