Weltumsegler Boris Herrmann erreicht Mitte der kommenden Woche den Zielhafen im französischen Les Sables-d’Olonne.

In wenigen Tagen geht die Vendée Globe für mich zu Ende. Die Situation könnte kaum spannender sein. Es ist nicht lange her, dass ich Zehnter war. Als dieses Logbuch entstand, lag ich auf Platz drei und fühle mich sehr motiviert. Ich bin der Jäger, die anderen sind die Gejagten. Die haben den Druck, ich eine gute Position. Alles ist möglich. Ich kann auch noch Siebter werden. Ich versuche, mich nicht zu sehr aufs Podium zu fixieren, mich nicht verrückt zu machen.

Ich schaue gar nicht so sehr auf die Konkurrenten. Ich mache mein Ding, segle mein eigenes Rennen. Ich bin vom Herzen her Regattasegler, mag auch Regatten auf der Alster, freue mich also auf die sportliche Herausforderung. Wer sind meine stärksten Gegner im Finale? Charlie Dalin auf „Apivia“ ist der Favorit. Louis Burton auf „Bureau Vallée 2“ hat sich zuletzt im Westen gut geschlagen, segelt als Favorit für Platz zwei sehr clever, scheint ein ziemlicher Draufgänger zu sein. Thomas Ruyant auf „LinkedOut“ wird von diesem Wochenende an bis zur Ankunft der ersten Boote am 27. oder 28. Januar schnell unterwegs sein.

Boris Herrmann: Ich kann keinen Podiumsplatz versprechen

Es geht vor dem Wind ins Ziel. Da hindert ihn sein gebrochenes Backbord-Foil nicht mehr sehr. Er ist ein starker Anwärter auf Platz drei. Als zuletzt Sechster hat auch Yannick Bestaven immer das Messer zwischen den Zähnen. Er hat im Verlauf des Rennens immer wieder Wege gefunden, sich nach vorne zu schieben. Schauen wir, ob und welche Überraschung er uns jetzt noch bescheren kann. Und dann sind auch wir noch da. Ich kann keinen Podiumsplatz versprechen, aber ich gebe mein Bestes. Es könnten sechs Boote am selben Tag ankommen. Das hat es in der Vendée Globe noch nie gegeben!

Eine stimmungsvolle Impression an Bord in dieser Woche.
Eine stimmungsvolle Impression an Bord in dieser Woche. © Boris Herrmann / Seaexplorer - YC de Monaco #VG2020 | Boris Herrmann / Seaexplorer - YC de Monaco #VG2020

Meine Zwischenbilanz kurz vor dem Ende fällt positiv aus. Wir sind angetreten mit dem Ziel, Aufmerksamkeit für den Zustand der Ozeane und ihre Bedrohung durch den Klimawandel zu schaffen. Das ist ein Rennen, dass wir gewinnen müssen! Dafür wollen wir Menschen inspirieren und motivieren.

Viele Schulkinder haben unser Abenteuer verfolgt. Das war uns wichtig. Und das Ankommen war wichtig, um diese Ziele zu erreichen, denn bei einem frühen Ausscheiden, so wie es einige Teilnehmer hinzunehmen hatten, hätte es kurzfristig weder die Wissenschaftskampagne noch die Education-Kampagne mit unserer „My Ocean Challenge“ für Kinder gegeben. Wir konnten also bereits viele Ziele mit einem Haken versehen. Darüber bin ich glücklich.

Ein Platz in den Top Fünf ist der geheime Traum

Zur Platzierung: Ursprünglich waren die Top Ten das Ziel, ein Platz in den Top Fünf der geheime Traum. Es besteht nun ein bisschen die Chance, diesen Traum nach dem langen, langen Weg zu realisieren. Man darf bei den Rechenspielen aber die Zeitgutschriften nicht außer Acht lassen, die es in Folge der zum Glück erfolgreichen Rettungsaktion für Kevin Escoffier in der Nacht zum 1. Dezember im Südatlantik gegeben hat. Als sein Boot damals im Sturm durchbrach, hatte er elf Stunden in seiner Rettungsinsel überstanden, bevor ihn Jean Le Cam in dunkler Nacht retten konnte.

Die Wettfahrtleitung hatte auch Yannick Bestaven und mich zur Beteiligung an seiner Suche zum Unglücksort umgeleitet. Die Wiedergutmachung betrug 16 Stunden und 15 Minuten für Jean Le Cam, 10 Stunden und 15 Minuten für Yannick und sechs Stunden für mich. Diese Zeit wird uns nach dem Zieldurchgang von der Gesamtsegelzeit abgezogen und kann noch von Bedeutung sein.

Boris Herrman bei der Vendée Globe:

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Stress herrscht weiter permanent. Irgendwas macht die Tage immer extrem. Extreme Leichtwinde, extreme Buckelpiste. Vielleicht wird auch das Nervenkostüm über die Zeit dünner. Jetzt noch einen technischen K. o. zu erleben, würde sich tragischer anfühlen als jemals zuvor.

Latent paranoide Sorge um das Boot

Mit jeder Seemeile, die ich dem Ziel näherkomme, verschmelzen meine positive Aufregung und eine latent paranoide Sorge um das Boot zu einem neuen Mix, einem weiteren Rodeo der Emotionen. In der vergangenen Woche gab es eine Nacht, in der ich das Aus beinahe vor Augen hatte, als ich Wasser in der Box vom Watermaker hatte. Der Filter des Watermakers hat geleckt. Ich habe mich die halbe Nacht mit dem Chaos herumgeschlagen, und es hätte leicht das Ende sein können.

Die Wahrheit ist: Die Einsätze hier draußen werden höher und höher. Wenn ich dann ins reparierte Großsegel hinaufschaue, hilft das ebenso wenig wie das brutale Hineinkrachen des Bootes in die Wellen. Mein Verstand spürt das Boot hyperaktiv. Manchmal gibt der Geist keine klaren Instruktionen mehr. Ich spüre die Grenze des Schlafentzugs. Ich muss mehr schlafen! Dann ist da wieder diese Stimme, die dir sagt: Du musst mehr Gas geben! Am Freitag ging es mir nach endlich mehr Schlaf sehr gut.

Der Wind soll noch einmal ordentlich zunehmen

Für das Finale in der kommenden Woche wird der Wind jetzt nach dem Passieren des Azorenhochs noch einmal ordentlich zunehmen. Ich erwarte ein Wetter ähnlich wie im Southern Ocean. Nichts super Brutales, aber auch keine Kaffeefahrt. Es wird darum gehen, den schnellsten Tiefdruck-Zug zu finden. Wir werden Bedingungen haben, in denen – das weiß ich aus dem Südmeer – Dalin, Ruyant, Burton, Bestaven und auch Seguin schnell sein können.

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Wenn ich meinen kleinen Gennaker nutzen und mit vielleicht zwei Reffs unterwegs sein kann, dann komme ich vielleicht gut vom Fleck. Wie genau wir in die Biskaya reinkommen, das steht noch in den Sternen: ob ganz von Nordwesten oder von Kap Finisterre. Wenn ich mit 85 Prozent route, dann komme ich (in der theoretischen Vorausberechnung, die Red.) schön von Nordwesten reingerauscht. Mit 25 Knoten Speed und meinem Jib-Top (ein Vorsegel für das Segeln bei seitlichen Winden in stürmischen Bedingungen, die Red.). Wenn ich mit 80 Grad route, dann komme ich ein bisschen später und im Mega-Kuhsturm an Kap Finisterre vorbei und muss da halsen (den Kurs vor dem Wind wechseln, die Red.).

Schokolade, Wurst, Brot – noch ist genügend Proviant da

Ich bin jetzt gefragt worden, ob ich noch genügend Proviant an Bord habe. Ich hörte, dass Thomas Ruyant nur noch wenig und vor allem nichts mehr hat, was ihm schmeckt. Er freut sich sehr auf die heiße Gemüsesuppe seiner Mutter an Land. Ich habe noch alle möglichen Leckereien: Schokolade, Wurst, Brot und ein bisschen Wein. Ich war sparsam, und das ist gut.

Schon jetzt will ich unseren Unterstützern, Fans und auch den Medien danke sagen. Ihr seid eine tolle Motivation für mich und das ganze Team! Was für ein Publikum! Das Rennen wird in den sozialen Netzwerken mit so viel Herzblut verfolgt. In Hamburg ist die Resonanz riesig. Ich bin zwar gebürtiger Oldenburger, lebe aber mit meiner Frau Birte, unserer Tochter Marie-Louise und unserem Familienhund Lilli in der HafenCity. Hamburg ist eine tolle Sportstadt, eine Stadt mit sehr viel Segeltradition! Da ist man froh, Hamburger zu sein. Ich freue mich sehr darauf, hierher zurückzukommen und die nächsten Projekte zu planen.

Vorher möchte ich Sie vor dem Finale zum Vendée-Globe-Zoom-Meeting mit mir einladen. Wenn Sie mögen, treffen wir uns am Sonntag um 17 Uhr online: https://kuehne-nagel.zoom.us/j/89673806873?pwd=aFp0dnU5WTBKUm9vaEYyd1NQZFV6QT09 – Meeting ID: 896 7380 6873; Kennwort: 4397

Aufgezeichnet von Tatjana Pokorny