Der Hamburger Weltumsegler schreibt über die Gründe für die Aufholjagd und seine Chance auf den Sieg bei der Vendée Globe.

Die Chance zum Sieg besteht definitiv. Ich habe diesen Satz in dieser Woche in aller Demut und mit dem Wissen ausgesprochen, dass der Weg noch weit ist und bei einer Vendée Globe immer alles geschehen kann. Es ist ja nicht so, dass ich plötzlich zaubern kann. Ich mache einfach meinen Job. Natürlich sind die aktuellen Aussichten aufregend. Aber ich will diese Aufregung nicht so zulassen und mich davon auch nicht ablenken lassen. Ein Podiumsplatz wäre ja schon mal alles, und der Sieg ist nicht unbedingt nötig. Aber wenn er sich irgendwie erreichen lässt, werde ich alles dafür tun.

Mein Vorrücken mag in der vergangenen Woche leicht ausgesehen haben. Doch das war es nicht. Über viele Tage sind immer wieder die Alarme angesprungen Die Nerven sind dann voll angespannt. Das Boot foilt unter voller Last. Die Schläge in die Wellen gehen durch Boot und Körper. Das ist wirklich hart. Wir werden voraussichtlich an diesem Wochenende den Äquator kreuzen.

Bis dahin raumt der Wind, kommt also schräg von hinten. Das macht es etwas einfacher. Im Nordostpassat könnten wir noch einmal starken Wind haben. Dann geht es in die Westwindzone mit ihren Tiefdruckgebieten und raumschots ins Ziel. Zwischendurch sind die Doldrums (Flauten, d. Red.) auch noch da. Wenn die ersten dort aufstoppen, sind vielleicht noch ein paar Meilen zu gewinnen.

Boris Herrmann: Charlie zählt zu den Geheimniskrämern

Vor mir lagen am Freitag noch Charlie Dalin auf „Apivia“ und Louis Burton mit „Bureau Vallée 2“. Charlie zählt zu den Geheimniskrämern. Aus meiner Sicht bringt das nicht viel. Ich empfinde das als ‚old school‘. Früher ist einer wie der zweimalige Vendée-Globe-Gewinner Michel Desjoyeaux durchs Rennen gegangen, hat drei Fotos geschickt, zwei-, dreimal eine kleine Pressekonferenz von Bord gemacht und nicht ein Wort dazu gesagt, wie es ihm und seinem Boot geht. Das fanden dann alle irgendwie toll. Keine Ahnung, warum. Ich kommuniziere gerne, fast immer via WhatsApp, weil es den Menschen unsere Welt hier draußen näherbringt und es mir selbst guttut.

Ob und wie Charlie Dalin nun seine Foils (Tragflächen, d. Red.) benutzen kann, ist für mich gar nicht so relevant. Anscheinend kann er, denn er fuhr zeitweise 16 Knoten. Das geht ohne Foils gar nicht. Louis Burton überrascht mich. So stark hat man ihn in der Vergangenheit nicht gesehen. Insgesamt sind die anderen Boote für mich vor allem eine Referenz. Ich segle mein eigenes Rennen und das Schiff so wie im Training geübt.

Boris Herrman bei der Vendée Globe:

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Viel wurde zuletzt über den großen Meilenverlust von Yannick Bestaven gesprochen, der lange geführt hat, aber inzwischen auf Platz sechs zurückgefallen ist. Seine Verluste haben vor allem mit der Entwicklung der Wettersituation zu tun. Da kann keiner was für. Das war Pech für Yannick und Glück für uns. Die Leute denken immer, dass jeder große Gewinn oder Verlust mit dem Skipper zu tun hat. Es hat aber zu 99 Prozent mit Wetter, Boot und Konfiguration zu tun. So war auch meine Aufholjagd ein Geschenk der Wettersituation.

Das Boot ist bei der Vendée Globe noch in Ordnung

Jetzt ist unsere Zeit. Meine Position im Rennen ist auch ein Resultat der Tatsache, dass mein Boot noch in Ordnung ist. Viel einfacher als im Südmeer ist es allerdings nicht geworden. Diese foilenden Imocas sind krasse Schiffe, sehr anspruchsvoll, nicht vergleichbar mit den Booten mit Schwertern. Ein Schiff mit Foils beschleunigt einfach, bis es kaputtgeht, wenn es nicht gebändigt wird.

Es sind noch etwa 3500 Seemeilen bis ins Ziel, also etwa zehn, zwölf Tage. Ich telefoniere weiter jeden Tag mit meiner Frau Birte. Der Austausch mit ihr gibt mir am meisten Kraft. Wir sprechen viel über unser „Ocean Challenge Kit“, das wir für Kinder und Jugendliche entwickelt haben. Das liegt uns sehr am Herzen, weil wir seit Jahren daran arbeiten und viel Energie investiert haben. Die ganze erste Lockdown-Zeit im Frühjahr haben wir all unsere Gedanken über Klimawandel und Lösungen reingesteckt. Wir haben Birtes pädagogischen Blick und mein Wissen über Ozeane und Ozeanforschung kombiniert. Das wurde in acht Sprachen übersetzt, kann kostenlos (www.borisherrmannracing.com) heruntergeladen werden.

Potenzial des Schiffes nutzen

Wir wollen noch so viel mehr damit machen. Wir freuen uns über jedes Kind und jede Schule, die es nutzt. Es bietet Animation, das Abenteuer hier zu verfolgen, eine Begleitung und Kommentierung, so dass man versteht, worum es hier eigentlich geht. Es gibt Erklärungen zu den Ozeanen, zu den Strömungen und zu den Meerestieren. Und ein zweites Kapitel zum Klimawandel und ein drittes, das Lösungsansätze aufzeigt und den Kindern erklärt, was sie selbst tun können. Es fordert mit Aufgaben, Ideen und Spielen zum aktiven Teilnehmen auf.

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Auch aktiv und zuletzt sehr heiß geht es hier draußen in Äquatornähe zu. In den letzten Nächten konnte ich bei 30 Grad unter Deck nahe der brasilianischen Küste kaum schlafen. Inzwischen ist es etwas angenehmer geworden. Mir geht es gut und ich richte alle Aufmerksamkeit aufs Schiff. Ihr kennt mich ja. Ich bin immer besorgt, wenn es Anlass zur Sorge gibt. Gleichzeitig ist jetzt die Zeit, das Potenzial des Schiffes zu nutzen. Das mache ich. Aber ich werde es nicht übers Limit pushen.

Aufgezeichnet von Tatjana Pokorny