Nur in zwei von vier Mannschaftsteilen besitzt die deutsche Nationalelf internationales Top-Niveau. Der Sturm ist inkonstant, die Abwehr ein Torso. Das 2:1 gegen Österreich war ein Zittersieg allererster Güte.
Wien. In der stickig-schwülen Interviewzone des Prater-Stadions verschwanden die deutschen Nationalspieler entweder schnell und wortlos, oder sie schlugen kleinlaute Töne an. Als sie sich nach einer unruhigen Nacht in ihrem prachtvollen Hotel mit Blick auf den Stephansdom auf die Heimflüge machten, wussten alle, dass sie in Wien noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen waren. Das Echo um sie herum war absolut eindeutig: Das 2:1 (1:0) gegen Österreich war ein glücklicher Zittersieg allererste Güte. Andererseits war die Pflicht damit erfüllt, es stehen sechs Punkte nach zwei Spielen auf dem Konto der WM-Qualifikation, und natürlich ist dies schon wieder mit der Tabellenführung in der Gruppe C verbunden. „Ich bin sehr zufrieden, aber nicht mit der Art und Weise des Spiels“, sagte Bundestrainer Joachim Löw.
+++ Löws Sorgenseite: Auch Schmelzer überzeugte nicht +++
Miroslav Klose, der die richtigen Rumpelfüßler-Zeiten der deutschen Mannschaft mitgemacht hat, fand das Ganze eher heilsam. Der 34-Jährige, der sich gerne als Vater der Kompanie darstellt, sagte: „Solche Spiele brauchen die Jungs, damit sie wissen, dass jeder Zweikampf angenommen werden muss. Das ist für sie eine große Erfahrung.“ Ein Ex-Nationalspieler war vor einem Millionenpublikum an den Fernsehschirmen weit weniger gnädig. Mehmet Scholl polterte als ARD-Experte wie nach einer Niederlage: „Mir fehlt es an Einstellung und Spannung. Wir sehen typisch deutsche Tugenden – aber bei den anderen. Laufen und Kämpfen gehört nun mal zum Fußball dazu. Wenn wir glauben, wir können die Basis weglassen, nur weil wir so gute Fußballer haben, können wir es sein lassen.“ Die Kritik von Scholl, der selbst eher ein feiner Fußballer als ein ganz großer Kämpfer war, wird dem Deutschen Fußball-Bund sauer aufstoßen. Im ZDF haut Oliver Kahn die Ex-Kollegen in die Pfanne, bei der ARD attackiert ein anderer Münchner das Team.
Immerhin konnte die Mannschaft eine einzigartige Serie im Weltfußball in Wien fortsetzen: Auch im 37. Auswärtsspiel einer WM-Qualifikation seit 1934 blieb Deutschland ungeschlagen. Aber die Statistik ist für die konkrete Leistungsbewertung wertlos. Der Status quo der Mannschaft ist fragwürdig. Löws Gebilde wirkt fragiler als vor der EM, die Suche nach höherer Stabilität hat bisher eher das Gegenteil bewirkt. „Wir waren verunsichert. Wir haben nie die Dominanz ausstrahlen können. Wir sind froh über die drei Punkte“, sagte Löw. Holger Badstuber, der so schnörkellos spricht wie er spielt, erklärte: „Wir müssen Selbstvertrauen ausstrahlen. Das hat uns gefehlt.“
Mangel an Selbstgewissheit
Deutsche Mannschaften wurden über Jahrzehnte für ihr Selbstverständnis, aus der Wettkampfhärte entstand, bewundert. In der extrem jungen Truppe muss sich diese Selbstgewissheit offenbar erst wieder entwickeln. Die meisten Spieler bekommen ständig zu hören, wie gut sie sind. Wie Widerstände überwunden werden, lässt sich nur in der Praxis lernen. Sami Khedira bewirbt sich für eine Führungsrolle, war aber nicht in der Form, um auf dem Platz zu führen; Bastian Schweinsteiger fehlte noch, wird aber im Oktober in Irland und gegen Schweden zurückkehren; Philipp Lahm spielte gegen Austria so fehlerhaft, dass der Kapitän nur ein Mitläufer war.
"Klar, in einigen Bereichen müssen wir uns verbessern“, stellte Löw fest. Eine Woche lang predigte er, sein Team müsse ein neues, sehr aggressiveres Pressing spielen. Dann blies er den Plan ab. „Wir wollten das nur phasenweise. Wir wollten abwarten, um selbst Räume zu haben“, sagte er. Um die Spielweise umsetzen zu können, „braucht man Monate“. Unter dem Druck der wackeren „Ösis“ verlor seine Mannschaft den Faden. Badstuber und Mats Hummels produzierten viele Fehlpässe. „Das hat verunsichert. Es wurden lange Bälle geschlagen, die nicht zu unserer Spielweise passen“, urteilte Löw, hatte aber selbst keine Idee für eine griffige andere taktische Maßnahme.
Beim Weltranglisten-Zweiten befinden sich von vier Mannschaftsteilen nur zwei auf international hochklassigem Level. Es ist Torwart Manuel Neuer, der dies in der Schlussphase bewies, und das Mittelfeld, das alle fünf Tore in Hannover und Wien erzielte. Im Sturm sind Klose und der derzeit verletzte Mario Gomez ziemlich schwankend mit ihren Leistungen, hinter ihnen klafft ein großes Loch. Die Abwehr ist nur ein Torso; Löw kann die Figuren verschieben wie er will, jede Viererreihe birgt viel zu hohe Risiken. Marcel Schmelzer bot eine schwache Vorstellung auf links und gab zu, dass er gar nicht das Selbstvertrauen wie bei Dortmund habe. „Das sieht man ja“, sagte Schmelzer. Löw will es noch weiter ausprobieren mit ihm, mangels Alternativen. In der Innenverteidigung ist Hummels bei etwa jeder fünften Aktion ein Unsicherheitsfaktor, Badstuber neigt ständig zur Hektik. Team-Papa Klose stellte fest, dass der Chef eine Menge zu analysieren hat: „Der Trainer hat jetzt vier Wochen Zeit, sich das alles anzusehen.“ Dann, Anfang Oktober, wird Löw erklären, dass die Iren und Schweden unglaublich schwere Gegner sein werden.