Beim Nationalteam beginnt mit der WM-Qualifikation eine neue Zeitrechnung. Bundestrainer Löw setzt verstärkt auf Dortmunder Personal.
Barsinghausen. Joachim Löw macht's wie Jürgen Klopp: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bekommt einen schwarz-gelben Anstrich. Die Beförderung von Shootingstar Marco Reus und Linksverteidiger Marcel Schmelzer in die Startelf zum Auftakt der WM-Qualifikation ist erst der Anfang. Auch beim Spielsytem orientiert sich der Bundestrainer nach dem enttäuschenden Halbfinal-Aus bei der EM mehr und mehr am Double-Sieger Borussia Dortmund.
„Unsere Aufgabe in den kommenden Monaten wird sein, den Gegner früher zu stören, bei Ballverlust schneller umzuschalten, nach vorne zu attackieren und sich nicht fallen zu lassen und das Spiel zu verwalten“, sagte Löw vor der Partie gegen die Färöer am Freitag (20.45 Uhr/ZDF) in Hannover.
Ob gewollt oder ungewollt: Mit dem Anforderungsprofil beschreibt der Nationalcoach ziemlich genau jene Stärken, mit denen der BVB in den vergangenen beiden Jahren Rekordmeister Bayern München überholte und zu Deutschlands bester Vereinsmannschaft aufstieg.
Als Kopie des Systems von Dortmund-Trainer Klopp will Löw seine neue Doktrin aber keineswegs verstanden wissen. „Ich möchte nicht den Spielstil einer Bundesliga-Mannschaft kopieren. Wir haben in den letzten Jahren unseren eigenen Stil entwickelt, der uns viele, viele Siege eingebracht hat“, sagte der 53-Jährige.
„Das neue System tut dem Spiel der Nationalmannschaft gut. Es trägt erste Früchte. Im Training sieht das schon ganz gut aus“, sagte der Dortmunder Nationalspieler Ilkay Gündogan am Donnerstag: „Aber natürlich fällt das uns Dortmundern noch ein bisschen leichter.“ Auch DFB-Kapitän und Bayern-Profi Philipp Lahm gefällt die neue Spielweise. „Natürlich kann man nicht über 90 Minuten vorne Druck machen, aber wir arbeiten daran“, sagte Lahm.
Klar ist aber auch, dass Löw mit dem Start der WM-Qualifikation noch mehr auf die Variabilität seiner Spieler setzt. Gesucht seien mehr denn je „Fußball-intelligente und flexible Spieler, die auf engstem Raum eine Vielfalt an Lösungen parat haben, Typen wie Marco Reus, die auch diese Aufgabe erfüllen können“.
Ballsicher, kombinationsstark und variabel einsetzbar - der Neu-Dortmunder und „Fußballer des Jahres“ Marco Reus ist Prototyp der neuen Spielergeneration. Er ist in der Offensive überall einsetzbar, kann in der Mittelfeldzentrale, auf den Außenbahnen und im Angriff spielen. Genau deswegen bekam Reus von Löw wie sein Teamkollege Schmelzer quasi eine Stammplatz-Garantie - zumindest vorerst.
Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke wird zumindest die Änderungen in der Startaufstellung mit Wohlwollen zur Kenntnis nehmen. Zumal mit Mats Hummels am Freitag wohl auch ein dritter Borusse in der Startelf stehen wird. Unter der Woche hatte er Löws fußballerische Neuausrichtung noch scharf kritisiert. „Bayern und Borussia spielen einen sehr unterschiedlichen Fußball. Und man kann mit einer Bayern-geprägten Nationalelf nicht Dortmunder Fußball spielen - umgekehrt funktioniert das auch nicht“, hatte Watzke in einem Interview in der FAZ moniert.
Inzwischen ist das Verhältnis an Spielern der beiden deutschen Spitzenklubs in der Nationalelf allerdings ausgeglichener denn je. Fünf Spieler im 22er-Kader des Färöer-Spiels kommen aus Dortmund, sechs vom FC Bayern. In der ersten Elf werden am Freitagabend voraussichtlich vier Münchner und drei Borussen stehen.
Von einer bayerischen Prägung kann also keine Rede mehr sein, im Gegenteil: mehr Klopp, mehr Reus, mehr Schmelzer - es sind eher die Bayern-Spieler, die sich langsam an eine neue Zeitrechnung gewöhnen sollten.