Hamburg/Geesthacht. Zwei Unfälle mit Elektroautos in Bergedorf und Geesthacht geben Rätsel auf. Warum die Fahrer nun ein mulmiges Gefühl haben.
Wenn Rafael Schulz in gut drei Wochen seinen Unfallwagen zurückerhält, sitzt schon jemand drin: Die Angst wird künftig sein ständiger Beifahrer sein. Die Angst, dass der mysteriöse Crash, den er mit seinem elektrischen BMW X1 erlebt hat, sich wiederholen könnte. Mit deutlich schlimmerem Ausgang.
Am liebsten wäre es ihm, er müsste gar nicht mehr einsteigen in den Wagen. Rafael Schulz spricht nach seinem Unfall von einem „Geisterfahrzeug“. Für ihn steht fest: Der BMW hat sich urplötzlich selbstständig aus einer Parklücke heraus mit ordentlich Tempo in Bewegung gesetzt. Dabei wurden eine Straßenlaterne und ein Verkehrsschild zerlegt.
Nach mysteriösen Unfällen mit E-Autos: Die Angst fährt künftig mit
„Ich bin auf dem Zebrastreifen zum Stehen gekommen. Ich muss immer wieder daran denken, was passiert wäre, wenn da Leute gewesen wären. So ist das nur Blechschaden. Aber das wäre ja katastrophal, wenn du zwei Menschen auf dem Gewissen hast, da kommst du ja ein Leben lang nicht mit klar“, erinnert sich der Geesthachter Physiotherapeut mit Grausen an den 15. Oktober.
Nur zwei Tage später, am 17. Oktober, gab es in Lohbrügge einen sehr ähnlichen Unfall. Hier prallte der BMW X1 von Burkhard Zieroth im Hein-Möller-Weg beim Ausparken rückwärts gegen einen Baum. Der Wagen raste für seinen Fahrer ebenfalls völlig unerwartet los, nachdem er nur den Rückwärtsgang eingelegt habe, so schildert er es. Burkhard Zieroth ist sich ebenfalls sicher: Er hat das Gaspedal nicht durchgetreten.
Gehen mit Software vollgestopfte modernste Autos das autonome Fahren hin und wieder etwas zu selbständig an? Einer seiner Patienten erzählte Rafael Schulz später, dass sein Fahrzeug auf leerer Landstraße unvermittelt eine Vollbremsung hingelegt habe, weil die Technik irgendetwas Harmloses am Straßenrand als Gefahr fehlinterpretiert hatte. Und Burkhard Zieroth sagt, dass ihn ein Polizist sogar extra angerufen habe, nur um ihm mitzuteilen, dass den Beamten Fälle wie seiner nicht unbekannt seien.
Unfallgipfel zwischen Bergedorfer Juwelier und Geesthachter Physiotherapeut
Die beiden Männer haben sich mittlerweile telefonisch bei einem Unfallgipfel über ihre Erfahrungen ausgetauscht. Der Bergedorfer leidet seit dem Unfall unter Rückenschmerzen. Rafael Schulz führt eine Physiopraxis. Für Dienstagabend haben die beiden eine Behandlung vereinbart. Dabei wird es bei den Gesprächen auch noch einmal um die Unfälle gehen.
Sie haben viel nachgedacht über die Vorfälle, beteuern aber auch zwei Wochen später weiterhin, keinen Fehler gemacht zu haben, sondern vermuten die Ursache des Losrasens im elektronischen System. So sind auf den Voicemail-Nachrichten, die Rafael Schulz bei seinem Halt an der Rathausstraße mit seiner Frau ausgetauscht hatte, zufällig rätselhafte Geräusche mitgeschnitten, wie das spätere Abhören ergab.
Auf dem zufälligen Tonmitschnitt sind rätselhafte Geräusche zu hören
„Auf einmal macht das Auto klack, klack – und gibt dann Vollgas“, erzählt Rafael Schulz. Zu hören ist zudem sein erstaunter Ausruf. „In dieser Situation habe ich noch versucht, wie wild auf die Bremse zu treten, und es war nicht möglich, das Fahrzeug zu bändigen. Ich habe gefühlt, ich komme nie zum Stehen. Das war wirklich der Horror“, erinnert sich Rafael Schulz.
Der Sachverständige, der den Vorgang bearbeitete, habe hingegen, dass das Gaspedal 1,3 Sekunden lang durchgetreten wurde, und der Wagen dann mit 20 km/h auf die Hindernisse geprallt sei, schildert Rafael Schulz das Ergebnis der ausgelesenen Daten des Unfallwagens seitens des Herstellers.
Nach dem Software-Update wurde eine Parklücke ausgelassen
Eine Sachlage, die bei ihm für Kopfschütteln sorgt. „Ich habe in Gedanken verschiedene Szenarien durchgespielt, ich bin mir hundertprozentig sicher, nicht aufs Gas gedrückt zu haben“, sagt er. „Um Vollgas zu geben in dieser kurzen Zeit, muss man das Pedal voll durchtreten, und ich stand da ja schon vier Minuten lang, die ganze Zeit mit gezogener elektronischer Handbremse“.
Er erinnert sich, dass der Wagen ein paar Tage zuvor ein Software-Update erhalten habe. Und danach beim selbstständigen Parken ein für ihn bis dato unbekanntes wunderliches Verhalten gezeigt habe. „Er wollte die große Parklücke auf gleicher Höhe nicht annehmen, sondern lieber zwanzig Meter zurücksetzen“, berichtet Rafael Schulz.
Beide sind keine Anfänger mehr mit ihren Fahrzeugen
Beide sind keine Anfänger mit ihren Fahrzeugen. Burkhard Zieroth hat seit vergangenem Dezember etwa 10.000 Kilometer absolviert, Rafael Schulz gut 31.000 Kilometer. „Und es ist ja nicht das erste Mal, dass ich auf der elektronischen Handbremse gestanden habe. Ich kann nicht nachvollziehen, wie das passiert ist“, sagt er.
Neun Monate lang wird er sich nun mit mulmigem Gefühl hinters Steuer seines reparierten E-Mobils setzen. Im August läuft der Leasingvertrag aus. Erst dann ist er frei, sich neu zu orientieren. Er hatte sich erkundigt, ob er ihn vorher beenden könne. „Ich werde in Zukunft schneller aus dem Auto aussteigen. Man sitzt definitiv mit einem komischen Gefühl da drin“, meint Rafael Schulz.
Am liebsten wäre es ihm, wenn der Wagen als Totalschaden eingeschätzt würde
Auch Burkhard Zieroth fürchtet eine Rückkehr seines Wagens. Er vertraut ihm nicht mehr. „Ich möchte den auch repariert nicht wiederhaben“, sagt er. Er hat die Ladestation in der Garage. Und trotzdem – „sollte ich ihn zurückbekommen, werde ich ihn dort nicht mehr einstellen. Ich muss rückwärts herausfahren und einen Fußgängerweg überqueren. Was, wenn das wieder passiert und gerade dann eine Frau mit Kinderwagen vorbeikommt?“
Am liebsten wäre es dem Geschäftsmann, wenn der Sachverständige einen Totalschaden diagnostizieren würde. Burkhard Zieroth würde dann zu einem Benziner zurückkehren. Auf das E-Auto sei er vor einem Jahr umgestiegen – aus Umweltschutzgründen, erklärt er.
E-Auto musste für eine Woche in „Brandquarantäne“
Ob sein Auto repariert werden kann, ist unklar. Im Gegensatz zum BMW von Rafael Schulz, den die Feuerwehr nach einer Begutachtung als nicht gefährlich einstufte, musste sein Unfallfahrzeug zunächst für eine Woche aus Sicherheitsgründen in „Brandquarantäne“. Erst seit diesem Wochenende ist sie abgelaufen, nun kann sich der Gutachter ein Bild machen.
Im Falle eines „thermischen Durchgehens“ – eine sich steigernde Form von Überhitzung – von beschädigten Akkuzellen der Lithium-Ionen-Batterie könnte die Feuerwehr so ein Fahrzeug nicht mit Wasser oder Schaum löschen. Sie zieht ein in Flammen stehendes E-Auto zum Ausbrennen in Container. Und in diesem Fall bereits vorbeugend.
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Versicherung will Kosten für Brandbox nicht übernehmen
Der Wagen lagerte auf dem Gelände einer Spezialfirma in Jenfeld. „Diese Box kostet 2000 Euro“, sagt Burkhard Zieroth. Und trotz einer Vollkaskoversicherung werde die Versicherung diese Kosten wohl nicht übernehmen. Bei Rafael Schulz dürften sich die Gesamtkosten auf 45.000 bis 50.000 Euro summieren. Das Fahrzeug steht bei einem Fachhändler in Bergedorf. „Allein der Scheinwerfer kostet 5000 Euro“, sagt Rafael Schulz. Auch er ist Vollkasko versichert.
Rafael Schulz plant, weiterhin elektrisch zu fahren. „Ich stehe auf diese Autos, sie fahren sich angenehm“, urteilt er. Zuvor will er sich aber mittels Berichten von Unfällen im Internet schlaumachen, welche Marken in Sachen seltsamem Verhalten am unauffälligsten abschneiden.