Lauenburg. 65 Jahre lang gab es hier für alle Lauenburger Lesestoff – vorbei. Ein Kunstwerk aber wurde vor der Baggerschaufel gerettet.
Noch hat der Umbau der Weingartenschule zwar nicht begonnen, aber es ist nicht zu übersehen, dass es vorangeht. Derzeit macht ein Abrissbagger den Anbau platt, in dem seit 1959 die Lauenburger Stadtbücherei untergebracht war. Dieser Gebäudetrakt und der nebenstehende Wohnblock machen Platz für den modernen Neubau, der die Lauenburger Grundschule künftig ergänzen wird.
Auch wenn die Lauenburger Stadtbücherei inzwischen im neuen Medienzentrum Stappenbeck ein neues zeitgemäßes Domizil gefunden hat, wird so mancher ältere Lauenburger beim Anblick der Trümmerteile am Weingarten vielleicht ein bisschen schlucken müssen. Erinnerungen werden wach an eine Zeit, in der Bücher abends im Taschenlampenlicht heimlich unter der Bettdecke gelesen wurden. Und so manche junge Frau lieh sich in der Bücherei ein Rezeptbuch aus, um den Gatten abends mit ihren Kochkünsten zu verwöhnen. Tagsüber träumte sie sich in die heile Welt der Romanheldinnen, die zwischen den Buchdeckeln „lebten“. So war das eben vor 65 Jahren.
Lauenburgs „Gesamtdeutsche Bücherei“ hatte 5300 Bücher
Als die Lauenburger Stadtbücherei am Weingarten im Februar 1959 eröffnet wurde, gab es unter den damals 5300 Büchern im Bestand aber nicht nur Jugendbücher, Romane und Haushaltsratgeber, sondern auch brisante Literatur. Die Eröffnung der Lauenburger Bücherei war ein hochpolitisches Ereignis. Der Lage der Stadt an der sogenannten Zonengrenze geschuldet – und aus heutiger Sicht etwas hochgestochen – erhielt die Einrichtung den Namen „Gesamtdeutsche Bücherei“.
„In der Zone hat es wie ein Schock gewirkt, dass wir bereit sind, eine Abteilung mit Büchern von drüben, zugänglich für jedermann, einzurichten. Nur ist es sehr fraglich, ob man dort zur gleichen Gegenleistung bereit ist“, sagte der damalige Bürgermeister Max Schmidtborn zur Eröffnung, ganz im damaligen Zeitgeist. Nicht überliefert ist, welche DDR-Literatur es damals in die Regale geschafft hatte.
Bürgermeister „putzte Klinken“ für die Finanzierung der neuen Bücherei
Dass Lauenburger vor 65 Jahren auf ihre neue Bücherei stolz waren, lässt sich allerdings auch heute noch nachvollziehen. Nach der chaotischen Nachkriegszeit, in der die Bücherei ihr Domizil im Museum zugunsten von Flüchtlingsfamilien aufgeben musste, hatte der Büchereibestand nun endlich eine neue Heimat gefunden. Besonders fortschrittlich damals: In dem neuen Gebäudekomplex an der damaligen Volksschule am Weingarten war nicht nur Bücherei untergebracht, sondern auch eine moderne Sporthalle sowie ein Jugendheim mit mehreren Funktionsräumen. Das galt als beispielgebend in ganz Norddeutschland.
Bürgermeister Schmidtborn hatte zuvor viele „Klinken geputzt“, um das Geld einzuwerben. Einen Satz aus seiner Rede damals könnte man heute glatt übernehmen: „Wir sollten nicht vergessen, wie schwer es derzeit ist, öffentliche Gelder für größere Bauvorhaben zu bekommen“, sagte er. Rund 380.000 Mark kostete der Neubautrakt damals. Zum Vergleich: Der zu Jahresbeginn vollendete Umbau des ehemaligen Gasthauses Stappenbeck zum Medienzentrum schlägt mit 9,3 Millionen Euro zu Buche.
Leitung der Stadtbücherei: In 65 Jahren nur zwei personelle Wechsel
Die erste Leiterin der Lauenburger Bücherei am Weingarten war Sophia Bohn. Zu dieser Zeit war die Bücherei eine Ehrfurcht einflößende „Volksbildungsstätte von unschätzbarem Wert“, wie es Bürgermeister Schmidtborn ausdrückte. Wer die Bücherei betrat, flüsterte schon automatisch. Wenn nicht, legte Sophia Bohn mahnend den Zeigefinger auf den Mund. Es gab seit 1959 übrigens nur zwei Wechsel in der Leitung der Lauenburger Bücherei. Über 40 Jahre lenkte Sophia Bohn die Geschicke der Einrichtung. Im Jahre 2001 übernahm Thomas Patzner die Leitung der Bücherei.
Seit 2011 ist Diplom-Bibliothekarin Uta Silderhuis Chefin des Lauenburger Büchereiteams. Auch wenn es seit Bestehen der Bücherei am Weingarten nur zwei Leiterinnen und einen Leiter gab, hat sich in den 65 Jahren vieles verändert. Hier flüstert niemand mehr. Die Zeiten, in denen Bibliotheken nur Bücher und höchstens noch Zeitschriften in den Regalen stehen hatten, sind auch lange vorbei. Büchereien, die auf der Höhe der Zeit sind, bieten heute fast alles, was auf dem Medienmarkt zu finden ist.
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Abriss der Bücherei: Wo ist das Relief von Karlheinz Goedtke geblieben?
Horst Eggert von Heimatbund und Geschichtsverein freut sich darüber, dass es mit dem Umbau der Weingartenschule nun endlich vorangeht. Er trauert auch der alten Bücherei nicht hinterher, die er im ehemaligen Stappenbeck gut untergebracht sieht. Eine Sache macht dem 89-Jährigen aber dennoch Sorgen: Er fürchtet, dass das Relief des Bildhauers Karlheinz Goedtke dem Abrissbagger zum Opfer gefallen ist. Als „Kunst am Bau“ war es 1959 bei der Eröffnung der Bücherei feierlich enthüllt worden. Im selben Jahr wurde übrigens auch die Skulptur „Der Rufer“ des Möllner Künstlers in Lauenburg aufgestellt.
Auch vielen älteren Lauenburgern wird das Relief gar nicht mehr in Erinnerung sein. Bei der Erweiterung der Bücherei im Jahre 1883 wurde die Außenwand des Gebäudes eine Innenwand. Damit verschwand auch das Kunstwerk ins Innere der Bücherei. Doch bei der Stadt ist man sich durchaus bewusst, dass das Relief einen historischen Wert hat. „Noch vor dem Abriss wurde es fachmännisch gelöst und eingelagert“, sagt Uta Silderhuis. Das Kunstwerk soll übriges nicht für immer in der Versenkung verschwunden bleiben, sondern nach der Fertigstellung am neuen Schulgebäude seinen Platz finden.