Escheburg. Leben und Arbeit in der dünnen Luft eines Bergdorfs hat Klara Riederer aus Escheburg kennengelernt. Die junge Frau hat viel erlebt.

Das Verkehrsmittel kann nicht weiter, die Gäste werden gebeten, auszusteigen, und dann geht es ein, zwei Stunden zu Fuß weiter zur Arbeitsstelle. Klingt fast wie ein Fahrerlebnis mit der Deutschen Bahn, spielt sich diesmal aber ab hoch oben in den Bergen von Ecuador. Zur Entschuldigung für „ihren“ Bus setzt Klara Riederer hinzu: „Vorher hatte es wahre Sturzbäche geregnet“.

Solche Abenteuer erlebte die ehemalige Schülerin des Otto-Hahn-Gymnasiums bei einem Freiwilligendienst in einem indigenen Bergdorf in dem südamerikanischen Land. Dort unterrichtete sie auf 3550 Meter Höhe Kinder in einer Zwergschule. Einen Teil des Geldes für den Aufenthalt hatte sich die Einser-Abiturientin bereits in Geesthacht mit Nachhilfeunterricht in Mathematik, Latein und Deutsch bei OHG-Schülern verdient.

Abenteuerliche Anfahrt zur Bergschule: Wenn es Sturzbäche regnet, bricht die Straße weg

Nach ihrem Abitur 2023 hatte sie schnell erneut das Reisefieber gepackt, jetzt im Juli kehrte sie nach einem Jahr in Ecuador zurück. Die Escheburgerin war 2021 über ein rares Stipendium des deutschen Bundestages in Kooperation mit dem US-Kongress für fast ein Jahr vom OHG auf eine Schule in Michigan gewechselt. Der Aufenthalt dort wiederum zog nun diese Reise nach sich.

„Mein Gastonkel in den USA ist Ecuadorianer“, erklärt sie. „Das fand ich sehr reizvoll, was er über das Land erzählte, und dann habe mich bei einem dortigen Projekt beworben.“ Spanisch hatte sie in der Schule in der Oberstufe gelernt.

Im Ortsbild ist sie durch ihre Körpergröße sofort aufgefallen

Mit einem Freund aus einer indigen Familie und Mitfreiwilligen besuchte Klara Riederer ein Dorffest im Dschungel. Sie nutzte ihre 24 Urlaubstage auch für einen Trip zu den Galapagos-Inseln.
Mit einem Freund aus einer indigen Familie und Mitfreiwilligen besuchte Klara Riederer ein Dorffest im Dschungel. Sie nutzte ihre 24 Urlaubstage auch für einen Trip zu den Galapagos-Inseln. © privat | Privat

„Mein Projekt arbeitet mit indigenen Gemeinschaften in den Bergen zusammen“, berichtet sie. In Otavalo – knapp 40.000 Einwohner – lebte Klara Riederer in einer Wohngemeinschaft mit anderen Freiwilligen. „Wir fielen im Ortsbild sofort auf, die meisten Einwohner sind alle ein Stück kleiner. Und die Indigenen haben sehr lange schwarze Haare und auch eine besondere Tracht, die sie fast täglich tragen.“

Von Otavalo auf 2500 Meter Höhe ging es mit dem Bus zum Dorf des Volkes der Kichwa-Otavalos auf 3400 Meter Höhe. Dort übernachtete sie an zwei Tagen in der Woche bei einer indigenen Gastfamilie. Die Schule selbst lag noch einmal 150 weitere Meter bergauf.

Am Anfang Probleme mit der dünnen Höhenluft

Diese riesigen Pflanzen findet man im Norden Ecuadors in einem Naturschutzgebiet. Sie heißen Espeletia.
Diese riesigen Pflanzen findet man im Norden Ecuadors in einem Naturschutzgebiet. Sie heißen Espeletia. © privat | Privat

Die letzte Strecke war für die das Flachland gewohnte Norddeutsche zunächst eine Herausforderung. Sie musste Schritt für Schritt um Atem ringen. „Wenn man gerade erst angekommen ist, ist die Luft sehr dünn. Da wurde einem schnell mal duselig“, erzählt sie. „Anfangs hatte es eine Stunde gedauert, später nur noch eine dreiviertel Stunde.“

Zum Glück zeigten sich bei Fußmärschen in den Bergen gewöhnlich keine gefährlichen und giftigen Tiere. So blieben die Flöhe im Bett im Indio-Dorf die größte Herausforderung. Klara Riederer trug es mit Fassung. „Da konnte man nichts machen“, sagt sie schulterzuckend.

Lücken zwischen Wand und Dach – das nutzten die Blutsauger

Erleichtert wurde den Blutsaugern, dass das Haus nicht fertig ausgebaut war und Lücken zwischen Wand und Dach hatte – und auch keine Haustür mehr. Die war kaputtgegangen, als ein starker Wind sie aus den Angeln hob. Angst vor Kriminalität musste trotzdem nicht haben, erzählt Klara Riederer.

Dafür sorgt eine sehr rigide indigene Justiz, die unabhängig neben dem ecuadorianischen Rechtssystem agiert. „Vor den Dörfern stehen entsprechende Schilder, die darauf hinweisen. Sie sind sehr streng innerhalb der Dörfer, da gibt es keine Verbrechen“, sagt Klara Riederer.

Wichtig: Anpacken und ein Teil der Gemeinschaft werden

Auf dem Feld werden Mais, Kartoffeln, Kohl, Zwiebeln, Salat und Kohlrabi angebaut, um damit für die Kinder zu kochen. Das Feld wird von der Schule und den Eltern bewirtschaftet. Die Pflanzen und Samen spendet die Organisation „Cielo Azul“.
Auf dem Feld werden Mais, Kartoffeln, Kohl, Zwiebeln, Salat und Kohlrabi angebaut, um damit für die Kinder zu kochen. Das Feld wird von der Schule und den Eltern bewirtschaftet. Die Pflanzen und Samen spendet die Organisation „Cielo Azul“. © privat | Privat

„Ich hatte mich für eine Organisation entschieden, die Wert darauf legt, dass man weder als billige Hilfskraft noch als toller Retter auftritt“, sagt Klara Riederer. „Das fand ich super wichtig, dass man nicht auf eine Stufe über die Leute gestellt wird. Und dass man mit anpackt und ein Teil der Gemeinschaft wird.“ In ihrer Gastfamilie gilt sie nun sogar weiterhin als Tochter.

An der Schule, an der sie unterrichtete, gab es nur neun Kinder, verteilt auf sieben Klassenstufen. Die Altersspanne war weit gefasst – von fünf bis 13 Jahre. Ab diesem Alter wird auf eine weiterführende Schule gewechselt. „In den Städten gibt es gute Schulen. Aber in den Dörfern, da haben die Schüler zum Teil gar nicht die Möglichkeit, diese zu erreichen. Die Indigenen werden abgehängt“, meint Klara Riederer.

Viele sind hoffnungslos und wollen lieber in die USA

Dementsprechend galt es, nicht nur zu unterrichten, sondern auch Mut zu machen. „Sie haben oft eine Hoffnungslosigkeit und sagen, ,ich brauche eh kein Englisch, aus mir wird ja nichts‘. Bildung hat einen geringen Stellenwert. Die Kinder bekommen in der Schule Essen, das unser Projekt liefert, und das war auch ein Grund, weswegen sie zur Schule gegangen sind.“

Statt das Ziel zu haben, in Ecuador sein Glück zu finden, würden viele lieber den „American Dream“ verfolgen, erzählt Klara Riederer. „Jeder kennt jemanden, der sich auf den Weg in die USA gemacht hat, dort angekommen ist oder auch nie. Das war traurig, weil ich dachte, ihr habt ja hier vor Ort viel bessere Möglichkeiten und habe versucht, das zu vermitteln.“

Beim klassischen Frontalunterricht war schnell die Konzentration weg

Sie teilte ihre Schützlinge in zwei Gruppen auf, in die kleinen und die großen. Unterrichtet wurde Englisch, einfache Mathematik, Kunst und Sport „und alles, was man sonst so braucht“. Auch der Umgang mit Computern wurde geschult, es gab einen LAN-Anschluss, manchmal sogar WLAN.

Beim Unterricht musste sie improvisieren. „Beim klassischen Frontalunterricht haben sie schnell die Konzentration verloren“, hat sie festgestellt. Mehr Erfolg brachte, Lehrinhalte mit Bewegung zu verknüpfen oder auch mit Liedern.

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Wichtigste Lehre: Geholfen, Selbstvertrauen aufzubauen

In „Siegerpose“: Die Bemalung auf dem Arm stammen von einer indigenen Frau aus dem Regenwald.
In „Siegerpose“: Die Bemalung auf dem Arm stammen von einer indigenen Frau aus dem Regenwald. © privat | Privat

„In Mathe haben wir die Zahlen abgehüpft, in Englisch viel gebastelt, und zwischendurch wurde auch einfach mal von der Tafel abgeschrieben“, erzählt sie. Aber die wichtigste Lehre mag etwas anderes gewesen sein. „Ich glaube, dass ich helfen konnte, ein Selbstvertrauen aufzubauen. Ich habe immer wieder gesagt, ,du schaffst das, du kannst das‘, und das haben sie dann durch Erfolge selbst gemerkt.“

Trotz dieser wertvollen Erfahrungen – Lehrerin will Klara Riederer nicht werden. Als Nächstes strebt sie im Januar einen Aufenthalt in Australien an als Au-pair bei einer Gastfamilie in Melbourne, danach will sie studieren – molekulare Biotechnologie in Heidelberg. Die Entdeckung Badens und seiner Sprache – auch das kann „högscht“ abenteuerlich werden.