Reinbek. Sein Verein ShakenKids unterstützt mit Beratung und einem Rückzugsort für Betroffene. Am Anfang stand eine Familientragödie.

Am Anfang von Patrick Kliefoths ehrenamtlichen Engagements stand ein Ereignis, das die gesamte Familie erschüttert hatte: Der erst vier Monate alte Sohn seiner Nichte wurde im Sommer 2019 von einem 19 Jahre alten Onkel, der unter Drogeneinfluss stand, zu Tode geschüttelt. Wie unter Schock verfolgten die Reinbeker Nadine und Patrick Kliefoth den Prozess.

„Dadurch sind wir aber auch darauf aufmerksam geworden, wie groß die Not ist“, erzählt der 53-Jährige. „Jede Woche sterben in Deutschland drei Kinder durch Gewalt. Etwa 47 Kinder werden pro Woche angegriffen.“ Die Dunkelziffer, schätzt er, könnte dreimal so hoch sein. Auch nach dem Prozess ließ ihn das Thema nicht los, die Reinbeker haben das Bedürfnis, etwas zu tun. „Wir wollten etwas verändern“, sagt Patrick Kliefoth, selbst Familienvater. „Und wir wollen den Menschen helfen.“

Verein ShakenKids hilft „Schüttelkindern“ und den Familien

Deshalb haben die Schulsekretärin und der Schulbegleiter, die mit dem Jüngsten ihrer Patchwork-Familie und vier Hunden in Prahlsdorf leben, den Verein ShakenKids gegründet. Sie helfen betroffenen Familien vorerst mit Aufklärung, Beratung, Vermittlung zu weiteren Beratungs- und Therapieangeboten, aber auch ganz praktisch mit einem Rückzugsort, dem Shaken-Kids-Haus in Niedersachsen. Dorthin können sich bis zu drei Familien, Eltern und ihre Kinder, zurückziehen, auch überforderte Eltern, die einen Ort brauchen, um sich zu besinnen und wieder zu sich zu kommen.

Pro Tag widmet Patrick Kliefoth seinem Verein an die acht Stunden. Gerade absolviert er eine Weiterbildung zum Traumapädagogen. „Manchmal beantwortet er abends im Bett noch Anfragen“, erzählt seine Frau Nadine. Sie unterstützt ihn, wo sie kann, kümmert sich aber vor allem auch um den gemeinsamen zehnjährigen Sohn.

„Er muss noch nicht alles mitbekommen, womit wir uns beschäftigen und wie es in manchen anderen Familien zugeht“, sagt sie, in diesem Punkt ist sich das Ehepaar absolut einig. Für sein ehrenamtliches Engagement ist Patrick Kliefoth jetzt für den Bürgerpreis der Volksbank Bergedorf und unserer Zeitung nominiert.

Kinder sind den traumatischen Erlebnissen ausgeliefert

Verzweifelte Familien sollen in den von ShakenKids wohnlich eingerichteten Räumen zunächst Schutz und Geborgenheit finden. „Wir klären die Eltern erst einmal darüber auf, was ein Trauma ist, eine durch ein unvorhersehbares Ereignis hervorgerufene Verletzung der Seele“, erläutert Patrick Kliefoth. „Die Verletzung trifft oft nicht nur das Kind, sondern die gesamte Familie.“ Doch während Erwachsene eher Instrumente hätten, das Erlebte zu verarbeiten und zu lernen, damit zu leben, seien Kinder den Erfahrungen ausgeliefert.

Die Kliefoths haben in der Schutzwohnung im Harz einen mit verschiedenen Licht- und Klangquellen sowie Düften eingerichteten Therapieraum („Snoozle“-Raum). Die Einrichtung im Wert von 2000 Euro hat die Allianz-Vertretung Steffen Leist gesponsert. Der Raum soll Kindern helfen, ihre Sinne wieder wahrzunehmen. „Denn traumatisierte Kinder sind von ihren Sinnen oft abgeschottet“, erläutert Patrick Kliefoth.

Sponsor ermöglicht Ausbildung zum Traumapädagogen

Auch für seine Ausbildung zum Traumapädagogen hat sich ein Sponsor gefunden. In Reinbek hätten die Ehrenamtlichen gern ein Shaken-Kids-Haus eröffnet, doch dies sei allein für den kleinen Verein nicht zu leisten. Im Harz hat der Verein einen Kooperationspartner gefunden.

Dass sie auch potenziellen Tätern oder auch Tätern helfen, könnten viele nicht verstehen. „Aber sie sind häufig die Eltern, die aus Überforderung oder Unwissen ihr Kind geschüttelt haben“, erläutert der 53-Jährige. „Es hilft ja nichts, die Augen vor der Realität zu verschließen. Und die sieht meist so aus, dass die Kinder irgendwann zu ihrer Familie zurückkehren. Oder den Geschwistern passiert das Gleiche.“ Deshalb müssten die Eltern einen Weg der gewaltfreien Kommunikation mit ihren Kindern finden. Patrick Kliefoth betont: „Das heißt nicht, dass wir die Taten in irgendeiner Weise tolerieren.“ Egal, ob Täter oder nicht: Die Eltern der traumatisierten Kinder seien meist überfordert und bräuchten ebenfalls Hilfe.

Gespräche und Glaube hilft Kliefoths, Gewalterfahrungen zu verarbeiten

Auch Patrick Kliefoth bewegen die Gewalterfahrungen, die Kinder gemacht haben, sehr. Doch noch stehe der Verein am Anfang, sagt er. „Bisher habe ich noch keine Supervision gebraucht. Wir reden viel miteinander und können vieles in unseren Gesprächen unter uns lösen. Und unser Glaube trägt uns tatsächlich.“ Die Kliefoths leben die Diakonie, was zählt ist die Nächstenliebe: „Wir wollen Menschen helfen“, erklärt er. „Ob sie gläubig sind oder welcher Religion sie angehören, ist für uns nicht wichtig.“

Weitere Bürgerpreis-Kandidaten:

Ausgleich findet Patrick Kliefoth bei seiner eigenen Familie, bei Freunden und den Hunden. Besonders bei Chihuahua „Ruby“, die auch die Kinder lieben. „Sie erzählen ihren Kummer eher ihr als uns Erwachsenen“, weiß Patrick Kliefoth. Außerdem fährt er gern Motorrad und hat im Urlaub das Stand-up-Paddeln für sich entdeckt.

Schütteltrauma: Nur wenige Säuglinge überleben die Gewalt

Das Schütteltrauma ist eine schwere Hirnverletzung. Nach Schätzungen des Nationalen Zentrums für Frühe Hilfen werden jährlich zwischen 100 und 200 Säuglinge und Kleinkinder mit einer derartigen Diagnose in ­deutsche Kliniken gebracht. Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus, da nicht alle Kinder medizinisch behandelt werden. Als Hauptauslöser des Schüttelns gilt anhaltendes Babyschreien. Nur zehn bis 30 Prozent der Säuglinge überleben ein diagnostiziertes Schütteltrauma, die meisten mit lebenslangen geistigen oder körperlichen Behinderungen oder Krampfleiden.