Reinbek. Nadine und Patrick Kliefoth setzen sich mit ihrem Verein ShakenKids für Schüttelkinder und anders traumatisierte Kinder ein.

Für die Familie war es eine unfassbare Tragödie: Der vier Monate alte Neffe der Kliefoths ist im Sommer 2019 von einem Mitglied aus der weiteren Familie zu Tode geschüttelt worden. Der Schock sitzt auch heute noch tief. Entsetzt haben die Reinbeker Nadine und Patrick Kliefoth den Prozess verfolgt.

Der Schulbegleiter hatte nur wenige Monate zuvor ein sogenanntes Schüttelkind betreut. „Das vierjährige Mädchen konnte nur noch mit den Augen kommunizieren“, sagt der 53-Jährige. „Von Psychologen und Pathologen hörte ich, dass diese Fälle stark zunehmen.“

Mehr Fälle nach Lockdown befürchtet

Das Schütteltrauma ist eine schwere Hirnverletzung, nach Schätzungen des Nationalen Zentrums für Frühe Hilfen werden jährlich zwischen 100 und 200 Kinder mit derartigen Verletzungen in ­deutsche Kliniken gebracht. Nur zehn bis 30 Prozent dieser Säuglinge überleben ein diagnostiziertes Schütteltrauma. 50 bis 70 Prozent der Babys überleben ein Schütteltrauma mit lebenslangen geistigen oder körperlichen Behinderungen oder Krampfleiden.

Patrick Kliefoth sagt: „Nach dem Lockdown befürchten wir, dass diese Zahlen steigen. Denn da es mehr Fälle von häuslicher Gewalt gibt, fürchten wir, dass auch mehr Kinder ein Schütteltrauma erleiden.“ Die Dunkelziffer ist laut dem Nationalen Zentrum für Frühe Hilfen hoch. Es wird vermutet, dass eine Reihe von geistigen und körperlichen Behinderungen bei Kleinkindern teilweise auf frühere, nie diagnostizierte Schütteltraumata zurückgehen. „Selbst Lernbehinderungen stehen im Verdacht, durch verborgene Schütteltraumata verursacht worden sein“, berichtet der Reinbeker Familienvater.

Schütteln führt zu schweren Verletzungen

Meist führe ein unglücklicher Mix aus Unwissen und Überforderung dazu, dass Väter, Mütter oder andere Menschen, die auf einen Säugling aufpassen, das Kind schütteln, damit es aufhört zu schreien. Die verheerenden Folgen sind vielen nicht bekannt: Denn ein Baby kann dem Schütteln nichts entgegensetzen, die Nackenmuskulatur ist noch nicht entwickelt, die fragilen Nerven und Blutgefäße können reißen.

Nach dem Tod ihres Neffen stand für Nadine und Patrick Kliefoth fest, dass sie etwas verändern wollten. „Wir wollen nicht, dass der Tod unseres Neffen vollkommen sinnlos bleibt“, sagt Nadine Kliefoth. Im Dezember 2019 gründete das ­Ehepaar daher seinen Verein „ShakenKids – for shaken and handicap Kids“.

Sie versuchen zu helfen, wo es geht

Die 47-Jährige, die als Schulsekretärin arbeitet, berichtet, dass sie und ihre Mitstreiter mittlerweile sensibilisiert seien, wenn es etwa um überforderte Mütter gehe. Denn der Auslöser für das Schütteln sei oft anhaltendes Babyschreien, das bei den Eltern Gefühle der Hilflosigkeit, Frustration und auch Wut auslösen könne.

„Wir versuchen zu helfen, wo wir können“, sagt Patrick Kliefoth. Das macht der Verein mit Kontakten zu Therapeuten oder Tipps im Familienmanagement. „Wir haben schon einige Anrufe erhalten und weiterhelfen können“, erzählt der 53-Jährige. Einer jungen Mutter mit einem kleinen Kind, die Gewalt erfahren hatte, konnten wir eine Zuflucht gewähren. Einem Grundschüler, der suizidgefährdet war, weil er sexuell missbraucht worden ist, konnten wir einen Therapieplatz besorgen.“

Lange Wartezeiten auf Therapieplätze

Schon vor der Vereinsgründung haben die Reinbeker ihre zwei Appartements im Oberharz Familien für eine Auszeit geöffnet. „Wir sind beide sehr sozial eingestellt und arbeiten in der Tradition der diakonischen Arbeit zum Wohle der Menschen“, erklärt Patrick Kliefoth. Er und seine Frau haben vier Söhne im Alter von neun bis 28 Jahren. Gerade warten sie auf ein Pflegekind.

Die Appartements sollen jetzt als Schutzraum für von Gewalt be­troffene Kinder und ihre Mütter oder Väter dienen. „Sie sollen dort für sechs bis zehn Wochen zur Ruhe kommen und sich sicher ­fühlen.“ Die Kliefoths haben dort einen mit verschiedenen Licht- und Klangquellen sowie Düften eingerichteten Therapieraum („Snoozle“-Raum) eingerichtet. „Denn traumatisierte Kinder sind von ihren Sinnen oft abgeschottet“, sagt Patrick Kliefoth.

Sponsoren für Weiterbildung gesucht

Er lässt sich gerade zum Traumatherapeuten und -pädagogen fortbilden. „Denn die aktuellen Wartezeiten dauern bis zu einem Jahr, bis man einen Therapieplatz bekommt“, berichtet er. „Das kann man keinem traumatisierten Kind und auch keiner Familie zumuten.“

Die Weiterbildung koste 1600 Euro. „Wir würden sie gerne einem weiteren Vereinsmitglied ermöglichen und suchen dafür noch Sponsoren“, sagt der Vorsitzende. Auch praktische Helfer, die sich mit Vereinsfinanzen und EDV auskennen, sind willkommen.

Hier gibt es Hilfe:ShakenKids will dafür Sorge tragen, dass traumatisierte Kinder und ihre Eltern wieder im normalen Alltagsleben und in der Gesellschaft ankommen. ShakenKids hilft mit Kontakten zu Therapeuten, wenn Betroffene eine Auszeit brauchen und will aufklären. Kontakt über www.shakenkids.de oder unter der Telefonnummer 0176/70 37 67 41.

SVS Beratungszentrum Stormarn mit Erziehungs- und Familienberatung, unterliegt der Schweigepflicht, www.svs-stormarn.de, E-Mail bz@svs-stormarn.de, Telefon 040/72 73 84 50.

ASD (Allgemeiner Sozialdienst, Jugendamt des Kreises Stormarn) unterstützt und berät in Erziehungs- und Partnerschaftsfragen, hilft auch bei Gewalt und in Familien. Telefon 045311601539, Liebigstraße 2.

Schreiambulanz Stormarn: Angebote für alle Eltern von Babys, die mehr als normal schreien, Stärkung der Eltern-Kind-Bindung sowie der Kindesentwicklung www.schreiambulanz-stormarn.de, 04532/50 10 15.