Glinde. Vor der Kommunalwahl äußern sich Politiker zur Zukunft der Stadt – und lehnen gleich drei der großen Projekte ab.
Gewöhnlich ist mit der Kommunalwahl nicht viel Staat zu machen. Da war es recht gewagt, dass die Gewerbevereinigung Glinde (GvG) für den Sonntagvormittag zur Podiumsdiskussionen mit Kandidaten aller in der Stadt angetretenen Parteien in den großen Festsaal im Bürgerhaus eingeladen hatte. Der Erfolg gab den Gastgebern Recht: Tatsächlich wollten an die 70 Besucher wissen, was die lokalen Vertreter von CDU, FDP, Grünen und SPD zu den Themen zu sagen haben, die Glinderinnen und Glindern auf den Nägeln brennen.
„Große Klasse, dass Sie uns eingeladen haben“, lobte Podiumsgast SPD-Fraktionschef Frank Lauterbach die GvG. „Und es ist ebenfalls große Klasse, dass der Saal so gut gefüllt ist.“ Ob bezahlbarer Wohnraum, Mobilitätswende oder die Zukunft der historischen Suck’schen Kate: Gastgeber Holger Weinel (GvG) sowie das Moderatoren-Duo René Soukup und Henrik Bagdassarian hatten sich gemeinsam ein breites Fragenspektrum überlegt. Die beiden Journalisten des Hamburger Abendblatts moderierten honorarfrei. 90 Sekunden Zeit hatten die Podiumsgäste pro Antwort, bis ein Signal ertönte.
Podium: Grundstückstausch für den TSV? Keine Chance!
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde von Claus Peters, CDU-Ortsvorsitzender, FDP-Fraktionschef Thomas Kopsch (55), Stefan Möhring, als Bürgerliches Mitglied für die Grünen im Finanzausschuss, und Frank Lauterbach (62) ging es gleich zur Sache: Thema Wohnungsnot. 400.000 Wohnungen pro Jahr sollten bundesweit neu gebaut werden, erläuterte Henrik Bagdassarian: „Doch davon ist Deutschland weit entfernt. Glinde liegt gleich hinter Sylt und Norderstedt auf Platz drei der Kommunen, mit der größten Wohnungsnot in Schleswig-Holstein. Wie prekär ist die Lage in Glinde?“
Claus Peters antwortet für die CDU: „Hier ist tatsächlich Bedarf“, sagt der Flugzeugbauingenieur. „In welcher Weise der befriedigt werden kann, muss diskutiert werden.“ Wichtig sei, dass „alle Gruppen auf Wohnungssuche bedient“ würden, die Durchmischung müsse noch stimmen. Thomas Kopsch erklärt, die Lage auf Glindes Wohnungsmarkt sei angespannt und prekär, aber wenn man die 400.000 auf Glinde herunterbreche, komme er auf 100 Wohnungen im Jahr. „Wenn wir bedenken, dass in Glinde 800 Wohnungen geplant sind, haben wir unser Soll für die nächsten acht Jahre erfüllt“, stellt der IT-Unternehmer fest.
Wohnungsnot? Sylt könnte Vorbild sein
Das sieht Stefan Möhring anders: „Wenn man bedenkt, dass auf die etwas mehr als 300 Anfragen für bezahlbaren Wohnraum bei der Stadtverwaltung gerade einmal sieben Vermittlungen kommen, ist das lächerlich. Das Problem ist, dass kaum noch bebaubare Flächen da sind.“ Als Lösung für die Misere nennt der Grüne das Vorbild Sylt, das eine kommunale Wohnungsgenossenschaft gegründet habe. „Anfangs müssten wir ein bisschen Geld in die Hand nehmen, aber das rechnet sich“, erläutert der Pensionär.
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Ein solches Projekt sei für Glinde zu groß, befürchtet Frank Lauterbach. Der Systemadministrator einer Steuerkanzlei plädiert aber dafür, eine Wohnungsgenossenschaft auf Kreisebene zu schaffen: „Den Antrag haben wir bereits gestellt. Dem sollten wir uns anschließen.“ Wenn Investoren in Glinde bauen wollten, sollten sie zu 50 Prozent auch geförderte Wohnungen errichten. „Denn das ist die Klientel, die den größten Bedarf hat“, bekräftigt er.
Suck’sche Kate? „Das Minenfeld in Glinde“
Weil Stefan Möhring das Thema angesprochen hat, hakt Henrik Bagdassarian hakt noch einmal ein: „Wäre es sinnvoll, eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft zu gründen, um zügig bezahlbaren Wohnraum zu schaffen?“ Auch die CDU habe das Thema „rauf und runter diskutiert“, sagt Claus Peters. „Anstatt eigene Konzepte umzusetzen, ist es unsrer Ansicht nach besser, die Investoren zu unterstützen und ihnen Leitplanken vorzugeben, nach denen sie arbeiten können.“
Thomas Kopsch hingegen sagt: „Wir sind da offen: Wir müssen auf jeden Fall ein nachhaltigeres Modell schaffen. Denn im jetzigen sozialen Wohnungsbau fallen die Wohnungen irgendwann aus der Bindung. Wenn aber die Verwaltung keine Kapazitäten mehr hat, kommen wir mit einer Genossenschaft auch nicht weiter. Vielleicht sollten wir längere Belegungsrechte einkaufen?“
Glinde würde für den TSV Grundstücke verschenken
Immerhin 600 Wohnungen könnten doch gebaut werden, wenn die Idee eines Grundstückstausch des TSV mit einem privaten Investor verfolgt würde, fragt der Moderator nach. Die lehnen jedoch alle Parteien rundweg ab, obwohl der Eigentümer, der auf seinem Gelände nördlich des Vereinsareals des TSV eine neue Sportanlage spendieren wollte. Von einem Geschenk könne aber keine Rede sein, sagt Stefan Möhring: „Da würde höchstens die Stadt Glinde ihre Grundstücke verschenken. Ein Tausch wäre für Glinde nicht vorteilhaft. Denn es handelt sich nicht um Baugrund, sondern um eine Mülldeponie.“ Frank Lauterbach warnt davor, dass die Haftung auf die Stadt übergehen würde: „Wir wissen nicht, was uns im Untergrund erwartet und wir wollen kein zweites Barsbüttel.“ Dort hatte es 1985 einen Umweltskandal um Chemiefässer der Firma Böhringer gegeben.
Einig sind sich die Politiker aber auch darin, dass sie den TSV bei der Sanierung ihrer Anlagen unterstützen wollen. Der Bedarf wird derzeit auf fünf Millionen Euro für die nächsten sieben Jahre geschätzt. „Wir werden den TSV nicht im Regen stehen lassen“, unterstreicht Lauterbach. Sowohl Claus Peters als auch Torsten Kopsch sprechen sich für einen Bebauungsplan des Vereinsgeländes noch in diesem Jahr aus.
Ortsmittenkonzept? Ein „Luftschloss“ des Bürgermeisters
René Soukup fragt nach dem beschlossenen Konzept für die neue Ortsmitte mit 300 neuen Wohnungen: „Haben Sie überhaupt noch Hoffnung, dass dieses imposante Konzept noch umgesetzt wird?“ Thomas Kopsch antwortet lächelnd: „Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wer will, dass es so bleibt, sollte nicht die FDP wählen. Denn: Es kann eigentlich nur schöner werden.“ Allerdings müsste der Plan „im Dialog mit den Beteiligten angepasst, nicht etwa sklavisch verfolgt werden. Dies sei ein jahrelanger Prozess.
Möhring hingegen bewertet den Plan, die meisten Gebäude abzureißen, als „völlig irreal“. „Wir müssen damit leben und die Ortsmitte behutsam entwickeln. Mittlerweile stehen sowohl das Gebäude der Volksbank als auch das der Commerzbank leer, der Handarbeitsladen ist weg, der Parkplatz neben dem Bürgerhaus abgesperrt. In eines der Ladengeschäft soll demnächst ein Wettbüro einziehen. „Wir haben von Anfang an gesagt, das Konzept steht und fällt mit den privaten Eigentümern der Gebäude“, erklärt Sozialdemokrat Lauterbach. „Dieser Plan ist ein Luftschloss, ein Traum des Bürgermeisters. Er hat aber im vergangenen Jahr nichts erreicht.“
Alle Fraktionen wollen kostenlose Parkplätze behalten
Auch die CDU habe mit Erschrecken von dem Wettbüro gehört, berichtet Claus Peters. Das Ortsmittenkonzept sehe sehr gut aus, das Zentrum müsse attraktiver werden mit Café und Gastronomie. Einig sind sich alle darin, dass die kostenlosen Parkplätze erhalten bleiben müssen und ein Standortvorteil für Glindes Geschäftswelt und den Wochenmarkt sind.
Suck’sche Kate? „Das Minenfeld in Glinde“
Von einem „Minenfeld in Glinde“ oder einem „Fass ohne Boden“ sprechen die Podiumsgäste, wenn es um die Suck’sche Kate geht. Für den Ankauf eines der seltenen historischen Gebäude Glindes stehen schon länger 600.000 Euro im Haushalt bereit. Bis auf den Sozialdemokraten Lauterbach stehen alle Kandidaten dem Ankauf skeptisch gegenüber. „Aktuell können wir nichts machen“, erklärt Claus Peters. „Die Kate ist in privater Hand.“ Der Wert des Objekts hänge an dem Grundstück. Auch Kopsch sieht die Verantwortung beim Eigentümer und bei der Denkmalschutzbehörde des Kreises.
Lauterbach hingegen warnt: „Wenn ein Bauwerk weg ist, ist es weg. Und dann ist das Gejammer groß. Wir wollen die Kate erhalten mit der grünen Lunge drumherum. Das Projekt wird viel Geld kosten, ja.“ Aber auch das Gutshaus trage sich nicht selbst, erinnert er.
Konzept für Personalentwicklung im Rathaus
Holger Weinel zeigte sich zum Abschluss der zweistündigen Diskussion überrascht, das die Parteien so manches Mal überhaupt nicht weit voneinander entfernt lagen. „Aufgefallen ist mir aber, dass es in Glinde häufig nicht vorangeht, weil in der Verwaltung Personalmangel herrscht“, resümierte er. Damit bezog er sich auch auf weitere Themenkomplexe wie Radwegekonzept, Sicherheit und Sauberkeit im Zentrum. Er regte an, dafür ein Personalentwicklungskonzept zu erarbeiten.