Todendorf. Politprominenz feiert den Abschluss des dreistreifigen Ausbaus der Bundesstraße in Stormarn. Warum darüber nicht alle glücklich sind.
Politiker lieben solche Termine. Wenn irgendwo ein neues Bauwerk seiner Bestimmung übergeben wird und darüber öffentlichkeitswirksam berichtet wird, sind sie zur Stelle. So war es auch am Donnerstag, 6. Juni, als das letzte Teilstück der Bundesstraße 404 im Kreis Stormarn offiziell freigegeben wurde. In einem weißen Partyzelt am Rande eines Bauernhofs unweit der Anschlussstelle Todendorf/Mollhagen wurde das Ereignis nochmals wortreich gewürdigt, obwohl der Verkehr auf der wichtigen Nord-Süd-Achse zwischen den Autobahnen 1 und 24 bereits seit 24. Mai wieder rollt. „Ein wichtiges Ereignis von überregionaler Bedeutung, das die Sicherheit beim Fahren erhöht und somit Unfallgefahr und Stress reduziert“, pries Susanne Henckel, Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium, das Ausbaufinale zwischen dem Kreuz Bargteheide und der Anschlussstelle Lütjensee/Schönberg.
15 der insgesamt 20 Kilometer sind jetzt dreistreifig ausgebaut
Viele Jahre galt der 20 Kilometer lange Abschnitt als „Todesstrecke“, weil risikoreiche Überholmanöver nicht selten zu schweren Unfällen führten. Deshalb wurde 2008, also vor 16 Jahren, mit dem Bau von wechselseitigen Überholspuren begonnen. In vier Etappen sind für knapp 50 Millionen Euro insgesamt 15 Kilometer dreistreifig ausgebaut worden.
„Dass so viel Geld des Bundes nach Schleswig-Holstein geflossen ist, freut uns natürlich sehr. Und wir sind gerne bereit, noch mehr zu nehmen“, ließ Claus Ruhe Madsen, der Verkehrsminister, in seinem launigen Grußwort wissen. Eine gute Verbindung zwischen Kiel und Berlin sei für das Bundesland schließlich wichtig. Deshalb habe er das Video eines Drohnenflugs entlang der neuen Piste, das im Partyzelt in Dauerschleife lief, ganz besonders genossen. „Ein echtes Highlight“, schwärmte er.
21.000 Fahrzeuge, davon 3000 Lastkraftwagen pro Tag
Die B404 zählt für Madsen zu den wichtigsten Trassen im „echten Norden“. Auf dem Streckenabschnitt zwischen A1 und A24 sind im Schnitt mehr als 21.000 Fahrzeuge pro Tag unterwegs, davon rund 3000 Lastkraftwagen. Laut Prognosen wird der Verkehr in den kommenden Jahren noch zunehmen.
Deshalb, so Staatssekretärin Henckel, genoss der dreistreifige Ausbau der B404 im Bundesverkehrswegeplan „prioritäre Dringlichkeit“. Zudem soll die Bundesstraße perspektivisch zur Autobahn ausgebaut werden. Vor diesem Hintergrund müsse auch der Bau der Behelfsbrücke am Kreuz Bargteheide gesehen werden, die zugleich die Verbindung zur A21 Richtung Kiel darstellt.
Unterhaltungsdefizite und ein enormer Investitionsstau
„Auch diese gerade angelaufene Baumaßnahme weist in die Zukunft, weil sie schon jetzt wesentliche Voraussetzungen für den Ausbau der Infrastruktur schafft“, erklärte Henckel. Die zugleich einräumte, dass es auch und gerade hinsichtlich der Bundesfernstraßen „erhebliche Unterhaltungsdefizite“ und einen „enormen Investitionsstau“ gebe. Dabei seien für deren Erhalt allein im Vorjahr 5,4 Milliarden Euro aufgewendet worden.
Durch die Zunahme der Achslasten müssten die Bauwerke deutlich mehr leisten als bei ihrer Errichtung vorgesehen. „Das zeigt sich insbesondere an den Brückenbauwerken, von denen im Zuge des dreistreifigen Ausbaus der B404 in Stormarn ebenfalls drei komplett erneuert worden sind“, so die Staatssekretärin.
Schiene ist nur bedingt eine Alternative
Laut langfristiger Prognosen werde der Schwerlastverkehr in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Im Norden unter anderem durch den Bau der Festen Fehmarnbeltquerung. Die Schiene sei unterdessen nur bedingt eine Alternative, weil sie selbst in keinem guten Zustand sei.
Deshalb setzt Claus Ruhe Madsen nicht nur große Hoffnungen in den weiteren Ausbau der A21, sondern auch in Bundesfinanzminister Christian Lindner. Der müsse trotz Sparzwängen erkennen, wie wichtig eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur sei. „Investitionen in das Straßennetz sind notwendig und zudem gut angelegtes Geld“, so Madsen.
Ende des Fachgeschäfts für Imkereibedarf besiegelt
Dem mochte sein Vorgänger, Lindners Parteikollege Bernd Buchholz, kaum widersprechen. Als Anfang Mai 2022 der symbolische erste Spatenstich für den letzten Abschnitt des dreistufigen Ausbaus der B404 in Stormarn vollzogen wurde, war er noch im Amt. Aus diesem Anlass gab der Ahrensburger seinerzeit zu Protokoll, er liebe erste Spatenstiche geradezu: „Sie zeigen, dass im Land etwas vorangeht, sich etwas entwickelt und dabei Neues entsteht.“
Diesmal war Buchholz buchstäblich nur noch eine Randfigur. Ebenso wie jener Mann, der in dem Partyzelt auf einer der hinteren Sitzreihen Platz genommen hatte und den „Festtagsreden“ mit finsterer Miene lauschte: Philipp Lemke. Für ihn besiegelte dieser Tag das Ende seines Fachgeschäfts für Imkereibedarf, keine 1000 Meter vom Ort des heiteren Festakts entfernt.
Stiller Protest mit einem meterlangen Transparent
Wenige Tage vor der Freigabe der B404 hatte er auch die letzte juristische Intervention gegen den Verlust seiner Zufahrt von der Bundesstraße vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verloren. Nun hat er an der Rückwand seiner Lagerhalle ein zehn Quadratmeter großes Transparent platziert, auf dem der Hinweis auf seine Imkerei mit einer fetten roten Linie durchgestrichen ist, darüber zweimal das Wort „Danke“ in schwarz-grüner Farbe, eingerahmt von vier Ausrufezeichen.
„Es ist mein stiller Protest gegen die schwarz-grüne Landesregierung, die nicht bereit war, mich im Kampf um meine berufliche Existenz zu unterstützen und ein klares Versäumnis des Landes zu heilen“, sagte der Vater dreier Kinder dieser Redaktion. Sein Urgroßvater Heinrich Distel hatte Anfang der 1960er-Jahre dem Land für den Bau der B404 Flächen aus seinem Grundbesitz abgetreten. Im Gegenzug wurde der Familie des Bauern ein dauerhaftes Nutzungsrechtsrecht für den Anschluss an die B404 zugesagt. Der notwendige Eintrag im Grundbuch ist allerdings nie vorgenommen worden – und der Anspruch darauf inzwischen verjährt.
Mehrere Lieferanten verweigern Belieferung über Holperweg
Weil mehrere Lieferanten die Belieferung seines Fachgeschäfts über eine rückwärtige Straße ablehnten, da diese nur einspurig befahrbar, sehr verwinkelt und teilweise unbefestigt ist, wird er die restlichen Lagerbestände bis zum Herbst sukzessive verkaufen und seinen Laden dann schließen.
Ihn an einen anderen Standort zu verlagern, sei aus familiären und finanziellen Gründen nach wie vor keine Option. „Hier an der B404 sind wir auf unserem eigenen Land. Woanders müssten wir Gewerbefläche anmieten oder gar neu erwerben und vielleicht sogar selbst bauen. Das würde bedeuten, dass wir auf Jahre verschuldet wären und Kredite abtragen müssten“, erklärt Lemke die Situation.
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Da, wo früher die Abfahrt von der B404 war, steht heute hinter einer langen Leitplanke ein riesiger weißer Schrank, der die Fahrzeugfrequenz auf der Bundesstraße misst. Kurz dahinter gen Kreuz Bargteheide beginnt eine Haltebucht, über die sich der Lieferverkehr für das Geschäft problemlos in den Verkehr hätte einfädeln können.
„Das aber war, angeblich aus Sicherheitsgründen, nicht gewollt. Stattdessen hat mir die Autobahn GmbH Anfang April im Auftrag des Landesbetriebs Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein (LBV.SH) eine Mahnung für die jährliche Nutzungsgebühr der Abfahrt in Höhe von 60 Euro geschickt, die es zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr gab“, berichtet Lemke. Man hätte das wohl für einen verspäteten Aprilscherz halten können. Das Lachen war ihm da aber längst vergangen.