Todendorf. Imker ist verärgert: Andere bekommen Zufahrt und Lärmschutz, seine Familie nicht. Dabei befürwortet er den Ausbau der Fernstraße sogar.

Wo einstmals die Bundesstraße 404 zwischen dem Kreuz Bargteheide und der Anschlussstelle Mollhagen/Todendorf verlief, erstreckt sich aktuell eine festgefahrene Erdpiste. Die Richtungsfahrbahnen sind inzwischen vollständig entfernt worden. Verschwunden ist seit einigen Tagen auch jener Abzweig, der die Bundesstraße seit ihrem Bestehen mit dem Bauernhof der Familie Lemke verbunden hat, die dort seit fünf Jahren zudem ein Fachgeschäft für Imkereibedarf betreibt. Während die Fahrspuren der B404 in den kommenden Monaten jedoch samt einer 112 Meter langen Nothaltebucht neu angelegt werden, wird es den Wirtschaftsweg zu den Lemkes künftig nicht mehr geben. Ein Streitfall, der weiter viele Fragen aufwirft.

Wie bereits berichtet, hatte Bauer Heinrich Distel Anfang 1961 dem Land Schleswig-Holstein für den Bau der Bundesstraße mehrere Flurstücke aus seinem Grundbesitz abgetreten. Im Gegenzug sagte das Land der Familie des Bauern ein Nutzungsrechtsrecht für den Anschluss an die B404 zu – und das auch „grundbuchlich zu sichern“. Diese Eintragung ist allerdings nie vorgenommen worden und der Anspruch darauf inzwischen verjährt.

Familie unterstützt dreispurigen Ausbau der Bundesstraße

„Unsere Familie hat dieses wichtige Infrastrukturprojekt immer unterstützt“, sagt Philipp Lemke, Urenkel Heinrich Distels, der den Hof heute mit Ehefrau Nina und drei Kindern bewohnt und bewirtschaftet. Das gelte im Übrigen auch für den dreispurigen Ausbau der wichtigen Nord-Süd-Verbindung im Kreis Stormarn. „Sie durch die Überholspuren sicherer zu machen begrüßen wir, wollen unsere berechtigten Interessen aber gewahrt wissen“, sagt der 36-Jährige.

Weil der Anschluss im Zuge des Neubaus der 404-Trasse ersatzlos verschwinden soll, hatte die Familie zuerst Gespräche mit dem schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministerium und dem Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr (LBV.SH) geführt. Zu einer Einigung ist es aber nicht gekommen. Weshalb sich die Lemkes anwaltlichen Beistands versicherten und klagten.

OVG: Kein Anspruch auf „optimale Erreichbarkeit“

Allerdings erfolglos. Zuletzt wies der 4. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) Anfang Juni den Eilantrag auf einen Ausbau-Stopp zurück. Weil es sich um ein „Infrastrukturvorhaben mit überregionaler Bedeutung“ handele, hätten die Richter keine Gründe für eine aufschiebende Wirkung der Klage erkennen können, hieß es in der Urteilsbegründung. Einen „Anspruch auf optimale Erreichbarkeit“ gebe es nicht, solange „andere zumutbare Alternativen“ existierten mit Umwegen von bis zu zweieinhalb Kilometern Länge.

Solch eine Ausweichmöglichkeit gibt es im konkreten Fall tatsächlich mit der Straße Zum Mühlenteich östlich der Bundesstraße. Allerdings über weite Abschnitte in Form eines Feldwegs, der nur teilweise befestigt sowie auf der gesamten Länge einspurig und damit für Begegnungsverkehr nicht ausgelegt ist. „Deshalb haben einige Spediteure bereits ultimativ angekündigt, uns künftig nicht mehr beliefern zu wollen“, sagt Philipp Lemke.

Plötzlich gehen Abzweige von Nothaltbuchten doch

Ein Dilemma, das dem federführenden Wirtschaftsministerium offenbar gleichgültig ist. Hauptargument war lange, Abzweige von Nothaltebuchten seien nicht statthaft. Das überrascht. Laut Erläuterungsbericht zum Planfeststellungsverfahren für den nur einige Kilometer südlich gelegenen Bauabschnitt zwei (BA 2) zwischen der Anschlussstelle Lütjensee/Schönberg und der Anschlussstelle Lütjensee/Grönwohld wird es genau solch eine Zufahrt nämlich geben.

Das bestätigte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums auf Anfrage unserer Redaktion, spricht aber von einer gänzlich anderen Ausgangslage. Die Zufahrt für die Forstwirtschaft über den ehemaligen Rastplatz Drahtteich habe bereits vor dem 404-Ausbau bestanden, weil es für die Fahrzeuge zum Holztransport „keine anderen Möglichkeiten zum Erreichen des zu bewirtschaftenden Waldgebiets“ gäbe. Außerdem sei die Zufahrt durch eine Schranke gesperrt und deshalb nicht für die Allgemeinheit nutzbar.

Zufahrt für bis zu 21 Meter lange Holztransporter

Geöffnet werde die Schranke nur für erforderliche Holztransporte, heißt es in der schriftlichen Antwort weiter, und das „voraussichtlich im Abstand von mehreren Jahren“. Zu- und Abfahrten über die Nothaltebucht seien zudem ohne Behinderungen des Verkehrs auf der B404 möglich.

Philipp Lemke kann diese Argumentation nicht nachvollziehen. Seines Wissens gebe es mindestens vier Zufahrten in das betreffende Waldgebiet. „Warum das Abfahren von Holz nur über die Nothaltebucht an der Bundesstraße möglich sein soll, erschließt sich mir nicht“, sagt er. Zumal diese Bucht wesentlich kürzer sei als jene vor dem Lemke-Hof geplante. Wo die Zu- und Ausfahrt nicht nur wesentlich besser einsehbar seien als am Drahtteich, sondern auch keine bis zu 21 Meter langen Holztransporter einfädeln würden.

Ministerium kassierte Angebot für Lärmschutzwall

Unverständlich bleibt für Philipp Lemke auch „die komplette Ungleichbehandlung“ beim Thema Lärmschutz. Während im Bauabschnitt zwei ein Wohngebäude westlich der B404-Trasse durch den Bau einer 185 Meter langen Lärmschutzwand besser geschützt werden soll, war den Lemkes lediglich ein Erdwall zwischen der Bundesstraße und ihrem Hof angeboten worden – wenn sie im Gegenzug auf alle Ansprüche hinsichtlich des 404-Abzweigs verzichten, wie Lemke berichtet. Weil die Familie dann aber gegen den Planfeststellungsbeschluss geklagt habe, sei das Angebot kassiert worden.

Laut Wirtschaftsministerium hätten Lärmschutzguthaben ergeben, dass der von der B404 ausgehende Lärm im Bauabschnitt 2 „insbesondere nachts an der Grenze der Gesundheitsgefährdung von 60 dB(A)“ liege. Das sei im Falle der klagenden Familie aber anders gewesen. Weshalb hier mehr als passive Maßnahmen wie etwa der Einbau von Lärmschutzfenstern „unverhältnismäßig“ seien.

„Mit ist schleierhaft, wie das berechnet worden ist, denn wirklich gemessen wurde meines Wissens nie“, zeigt sich Lemke fassungslos. Er wisse, um welches Haus es sich im Bauabschnitt zwei handele, weil er selbst dort gewesen sei. Und via Geodaten lasse sich ziemlich genau ablesen, dass das betreffende Gebäude im BA 2 fast exakt den gleichen Abstand zur 404-Trasse habe wie sein Hof, nämlich knapp 47 Meter.

„Während das Haus im Bauabschnitt zwei von Bäumen sogar noch besser abgeschirmt wird als unseres, sollen bei uns die Schallemissionen deutlich unter den Grenzwerten liegen, vor allem nachts?“, fragt der junge Familienvater ungläubig. Er sehe jedenfalls auch hier eine klare Benachteiligung in Relation zu den nur wenige Kilometer weiter südlich praktizierten Lösungen. „Ich bin sehr gespannt, wie das vom Gericht bewertet wird“, so Lemke.

Am 28. September geht der Fall vor dem Oberverwaltungsgericht in die nächste Runde.