Norderstedt. Norderstedts Oberbürgermeisterin spricht über Pläne für neue Flüchtlingsunterkünfte und warum die Stadt so stark unter Druck steht.
- Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Norderstedt, aber finden genauso wenig wie viele andere Menschen keine Wohnungen.
- Die Stadt Norderstedt betreibt 17 dezentrale Flüchtlingsunterkünfte und hat Wohnungen und Hotels angemietet.
- Viele Geflüchtete leben seit fast fünf Jahren in den Unterkünften.
Für eine Stadt wie Norderstedt könnte es kaum komplizierter sein: Während die Zahl an Flüchtlingen im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent gestiegen ist (durchschnittlich kamen elf Menschen pro Woche), befindet sich der Wohnungsmarkt in einer dramatischen Krise, neue Bauprojekte gibt es so gut wie keine mehr.
Die verantwortlichen Personen im Rathaus, allen voran die seit Januar amtierende Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder, und ab Juli insbesondere auch die künftige Sozialdezernentin Kathrin Rösel, stehen also vor schwierigen Aufgaben: Es müssen neue Unterkünfte gebaut und parallel kurzfristige Lösungen gefunden werden, und es geht auch darum, die Stadtteile möglichst ausgewogen zu behandeln.
Flüchtlinge Norderstedt: „Alle beobachten kritisch, was in der Ukraine passiert“
Im Gespräch mit dem Abendblatt berichtet Schmieder über die Strategie und einzelne Vorhaben, sagt aber auch deutlich, wo Norderstedt an seine Grenzen stößt.
„Das Fluchtgeschehen geht weiter. Alle beobachten mehr als kritisch, was gerade in der Ukraine passiert, wo massiv Infrastruktur zerbombt wird. Das kann eben dazu führen, dass Menschen doch die Heimat verlassen müssen, da sie dort in Gefahr und schlecht versorgt sind. Es ist fast zu erwarten, dass sich das noch verstärken wird“, so Schmieder, die das Sozialdezernat derzeit noch kommissarisch leitet.
Norderstedt: Baukrise und Flüchtlinge – der Wohnungsmarkt ist am Limit
17 dezentrale Unterkünfte betreibt die Stadt, ebenso gibt es eine Vielzahl gemieteter Wohnungen, auch zwei Hotels werden genutzt. „Wir sind stark belegt, haben aber immer kleine Rest-Ressourcen, um handlungsfähig zu bleiben.“ Wer nach Norderstedt kommt, soll eigentlich nur übergangsweise in einer der Zweckbauten, etwa an der Lawaetzstraße oder der Oadby-and-Wigston-Straße leben, und dann, je nach Aufenthaltsstatus, eine eigene Bleibe finden.
Die Realität sieht oftmals anders aus. „Es ziehen auch immer wieder Menschen aus Unterkünften aus“, sagt die Oberbürgermeisterin, aber das sei selten. „Wir haben Menschen, die wohnen fast seit dem ersten Tag ihrer Fluchtgeschichte, seit fast fünf Jahren in Unterkünften. So war das nicht gedacht. Und tatsächlich müssten wir als Stadt Norderstedt keine neuen Unterkünfte bauen, wenn die Menschen zeitnah in normalen Wohnraum wechseln könnten.“ Nur: „Wir haben nicht ausreichend Wohnraum, weder für die, die schon hier sind, noch für die, die noch zu uns kommen. Und so verdichtet sich die Wohn- und Lebenssituation in den Unterkünften weiter.“
Henstedter Weg: Gegenüber SOS-Kinderdorf sollen Familien mit Kindern leben
Die derzeitige Krise der Baubranche hat unmittelbare Folgen und wird das wohl auch mittelfristig haben. Die Rathausspitze – Baudezernent Christoph Magazowski und die Entwicklungsgesellschaft führen regelmäßig Gespräche mit der Wohnungswirtschaft – die liefert ein ernüchterndes Lagebild. „Die fehlenden Wohnungen im Stadtgebiet betreffen die Familien, die hier sind, und die Familien, die dauerhaft geflüchtet sind. Wir haben den Einbruch von Baumaßnahmen deutschlandweit, und wir wissen nicht, wie es weitergeht.“ Ein Beispiel sei die Pleite an der Segeberger Chaussee (wir berichteten): „Private Investoren müssen es sich gut überlegen, ob sie in der heutigen Lage bauen, ob sie Fachkräfte und Material haben, ob sie den Zinssatz gestalten können.“
Das wiederum bedeutet: Norderstedt muss selbst aktiv werden. Aber von heute auf morgen geht das nicht. So wie am Henstedter Weg, gegenüber dem SOS-Kinderdorf. Dadurch, dass der Doppelhaushalt erst im März beschlossen wurde, gab es Verzögerungen bei den Ausschreibungen. „Jetzt sind die Kollegen mit Hochdruck dran. Da würden wir mehr als 100 Menschen, bevorzugt Familien oder Frauen mit Kindern, unterbringen, die dann von den Synergien mit dem Sozialangebot des SOS-Kinderdorfs profitieren könnten.“ Für die Nachbarschaft werde es Infoveranstaltungen geben, es sei aber noch zu früh, um Termine zu suchen. Generell wäre eine Fertigstellung erst 2025 realistisch, bestätigt sie, spricht von „einem Mindestvorlauf von zehn Monaten“.
Neubau an der Lawaetzstraße? „Politischen Prozess abwarten“
Für ein „Norderstedter Modell“, also zu 100 Prozent geförderte Wohnungen nicht nur für Geflüchtete, sondern für alle Personengruppen, die es schwer haben auf dem Wohnungsmarkt, eignet sich das Areal nicht. Das hat baurechtliche Gründe, es handelt sich um eine „Außenfläche“, die nur temporär genutzt werden dürfe, also würden hier die Mobilbauten entstehen wie vielerorts sichtbar, in markantem Grün oder Weinrot.
Anders wäre es an der Lawaetzstraße, neben den bestehenden Unterkünften und dem Hospiz. „Das Grundstück ist heute ungenutzt, es war mal dafür gedacht. Es gilt, den politischen Prozess abzuwarten. Man könnte es dort sicherlich schneller realisieren als an anderen Orten der Stadt. Dabei werden wir alle aber auch das Gesamtquartier, den gesamten Stadtteil sehen, damit wir nicht zu sehr eine Ballung an einem Standort haben, sondern eine gleichmäßige Verteilung von Wohnraum.“
Um „Fairness“ unter den Stadtteilen gehe es dabei nicht, erklärt die Oberbürgermeisterin. „Das Norderstedter Modell ist keine Geflüchtetenunterkunft, sondern zu 100 Prozent geförderter Wohnungsbau, dann auch anteilig für Menschen, die heute noch in Unterkünften leben. Aber wenn dort Menschen einziehen, gehen sie zur Schule, in die Bücherei, nutzen den öffentlichen Nahverkehr. Und das sollte in den Stadtteilen bestmöglich ausgewogen sein, gerade der schulische Aspekt.“
„Friedrichsgabe hat schon sehr hohen Teil an Unterbringung“
Sollten am Henstedter Weg also Dutzende Familien einziehen, steigt die Nachfrage für Bildung, Freizeit und Sportangebote. „Harkshörn und Pestalozzistraße sind die nächsten Grundschulen, die weiterführenden Schulen wären das Schulzentrum Nord und das Gymnasium Harksheide. Das werden wir gut im Blick behalten.“
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Ob es heute denn ausgewogen sei? „Man kann sich das nicht immer aussuchen, ich finde das schwierig, da wir nicht überall freie Flächen hatten. Friedrichsgabe hat schon einen sehr hohen Teil an Unterbringung. Das fängt unten an der Oadby-and-Wigston-Straße an, bis über die Lawaetzstraße. Wir haben aber natürlich auch in Harksheide, Glashütte und Garstedt Unterkünfte. Aber bei der perspektivischen Belastung der Infrastruktur müssen wir es bestmöglich ausgewogen weiterentwickeln.“ Sie schränkt allerdings ein: „Wenn wir in der Nähe von weniger nachgefragten Grundschulen keine Grundstücke hätten, hilft uns das auch nichts, denn wir fahren die Kinder ja nicht hin und her.“
Norderstedt spricht mit Adlershorst über neue Miet-Kooperation
Auch weitere Standorte werden derzeit untersucht, ebenso für Mobilbauten, da gebe es aber noch keine Entscheidung. Vermutlich weitaus schneller lässt sich eine andere Option umsetzen. Denn wie in der Vergangenheit, damals war es am Harksheider Markt, könnte Norderstedt erneut Wohnungen der Adlershorst-Genossenschaft anmieten, die leer stehen, weil sie mittelfristig abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden sollen. „Hierzu sind wir an anderer Stelle erneut im Gespräch, für dieses Mitdenken bin ich sehr dankbar“, sagt Katrin Schmieder. Um welche Immobilien es sich handelt, ist momentan aber noch vertraulich.
Bleibt die Hoffnung auf die Landesregierung. Die will bekanntlich ihre Erstaufnahme-Einrichtungen deutlich erweitern, etwa den Levo-Park in Bad Segeberg von 1300 auf 1800 Plätze. Aber selbst das ist kein Allheilmittel, denn: „Erstunterkünfte schaffen – wenn man dort nicht nur Menschen ohne Bleibeperspektive unterbringt – nur einen Zeitverzug, einen Puffer für Kommunen.“
Der zweite Grund: „Wenn man die Aufnahmekontingente des Kreises sieht, heißt das, dass die Stadt Bad Segeberg weniger Menschen aufnehmen wird, da sie bereits eine Erstaufnahme sind. Wir sind in engem Austausch mit dem Landrat, was das dann für die anderen Kommunen im Kreis bedeutet.“