Auch die Dänen sind gegen das Sparpaket der schleswig-holsteinischen Regierung. Lübecker Bürgerschaft plant Sitzung auf der Straße.
Kiel. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) steht mit dem Rücken an der Spar-Wand. Gestern beschwerte sich der erste dänische Spitzenpolitiker offiziell in Kiel über geplante Einschnitte im Grenzland. Für die nächsten Tage kündigte Carstensen ein Krisengespräch mit Vertretern aus Lübeck an . Die Hanseaten stehen an der Spitze der landesweiten Protestbewegung, die es für das schwarz-gelbe Bündnis eng werden lässt.
Carstensen blieb standhaft. Im Gästehaus der Regierung machte er deutlich, dass von den Sparbeschlüssen das Schicksal Schleswig-Holsteins abhängt. "Es ist die letzte Möglichkeit, das Ruder herumzureißen." Bei einem Scheitern der Sparaktion werde das Land noch vor 2020 so überschuldet sein wie Griechenland heute. Viel auf dem Spiel steht auch für Carstensen selbst, weil seine schwarz-gelbe Koalition mit der Sanierung des Haushalts steht oder aber eben fällt. "Es gibt keine zweite Chance."
Im Visier hat Carstensen dabei nicht nur die Sparopfer, sondern auch einige Abgeordnete aus dem Regierungslager, die sich öffentlich von einzelnen Sparbeschlüssen absetzen und damit die Ein-Stimmen-Mehrheit von CDU und FDP im Landtag gefährden. Die SPD frohlockt. "Ob die Mehrheit hält, ist zweifelhaft", sagte Fraktionschef Ralf Stegner dem Abendblatt.
Eine Bedenkenträgerin, die CDU-Abgeordnete Susanne Herold aus Flensburg, bekam gestern Schützenhilfe aus Dänemark. Der Vorsitzende des Regionalrats Syddanmark, Carl Holst, warnte Carstensen eindringlich davor, die Wirtschaftsstudiengänge an der Uni Flensburg abzuwickeln. Damit würde auch der Hochschule im dänischen Sonderburg die Grundlage entzogen. Holst schlug einen Krisengipfel vor, der im Sommer andere Modelle ausloten soll, etwa den Aufbau einer deutsch-dänischen Universität.
Für Aufruhr im Königreich sorgen zudem die Kürzungen für die Schulen der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein. Sie sollen aus Kiel statt 100 Prozent der Schülerkosten nur noch 85 Prozent überwiesen bekommen, würden so 4,7 Millionen Euro im Jahr einbüßen. Holst forderte, dänische und deutsche Schulen gleichzubehandeln, und machte sogar einen Finanzierungsvorschlag. "Das Land könnte bei allen Schulen in Schleswig-Holstein 0,5 Prozent einsparen."
Carstensen schüttelte den Kopf, erinnerte daran, dass es den dänischen Schulen deutlich besser gehe als den deutschen. Die Schulen und Kitas der Minderheit erhalten jährlich 40 Millionen Euro aus dem Königreich Dänemark und können sich im Vergleich zu deutschen Schulen fast doppelt so viele Lehrer je Schüler leisten. Holst blieb gleichwohl hart, zog wie Carstensen eine bittere Bilanz des Krisengesprächs. "Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir uneinig sind."
Einen Flächenbrand haben die Sparpläne nicht nur im Grenzland ausgelöst, sondern auch in Südostholstein. Nach dem Beschluss des Kabinetts soll die Lübecker Uni ab Herbst 2011 keine neuen Medizinstudenten mehr aufnehmen dürfen, also langsam ausbluten. Die Begründung ist, dass Schleswig-Holstein sich überdurchschnittlich viele teure Medizinstudienplätze leistet, neben 1800 an der Kieler Uni etwa 1350 in Lübeck.
Die Proteste in Lübeck werden von Tag zu Tag lauter und vor allem dadurch genährt, dass die Hanseaten um die Zukunft der gesamten Uni sowie um den geplanten Ausbau der "Einrichtung für Marine Biotechnologie" (EMB) zu einem Fraunhofer-Institut fürchten. Zweifel am Sinn der Sparaktion gibt es auch im Regierungslager. Der FDP-Abgeordnete Gerrit Koch hat Bedenken. Er kommt aus Lübeck.
Rückendeckung bekam Carstensen gestern von der Fraunhofer-Gesellschaft. Deren Präsident Hans-Jörg Bullinger zeigte sich zwar enttäuscht von den Sparbeschlüssen, stellte aber klar, dass sie "keine Auswirkung" auf den Ausbau der EMB hätten. "Davon geht die Welt nicht unter."
Auf der sicheren Seite ist Carstensen aber erst, wenn auch die Bund-Länder-Kommission des Berliner Forschungsministeriums grünes Licht gibt. Sie will am Freitag kommender Woche entscheiden, wie es mit der EMB in Lübeck weitergeht.
Klar ist bereits, dass die Protestwelle immer größer wird. Am Freitag plant die Lübecker Bürgerschaft eine Sondersitzung vor dem Kieler Landeshaus.