Lauenburg. Grenzgeschichten werden im Elbschifffahrtsmuseum Teil einer Erinnerungslandschaft. Binnenschiffer aus Ost und West erzählen.
Über die Zeit der deutschen Teilung ist schon viel geschrieben worden. Trotzdem gibt es Geschichten, die noch nicht erzählt wurden. Seit fünf Jahren betreut die Metropolregion das Projekt „Erinnerungslandschaft Grenzgeschichte(n)“ entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Insgesamt 785.000 Euro stehen als Fördersumme dafür bereit. Ziel ist es, bis Mitte nächsten Jahres eine sogenannte Erinnerungslandschaft zu schaffen, damit sich Menschen jeden Alters an den jeweiligen Orten mit der deutsch-deutschen Vergangenheit beschäftigen können.
Dr. Jörn Bohlmann steckt mittendrin in der Arbeit. Die Metropolregion fördert das Lauenburger Projekt „Binnenschifferfamilien erzählen ihre Grenzgeschichten“ mit 14.000 Euro. Für den Leiter des Elbschifffahrtsmuseums war es keine Frage, dass Lauenburg Teil dieser Erinnerungslandschaft sein muss. Schließlich waren in der Stadt durch ihre Lage die Auswirkungen der deutschen Teilung hautnah zu erleben. Wohl noch intensiver erlebten die Binnenschiffer auf der Elbe diese Zeit. Gemeinsam mit Studenten der Hamburger Universität hat er mit etwa 20 ehemaligen Schiffern gesprochen, wie sie sich die Grenze zur DDR auf ihre Arbeit und das Leben an Bord ausgewirkt hat.
Für den Museumschef ist das Bild aber erst dann vollständig, wenn er auch die andere Seite gehört hat. In nächster Zeit will er ehemaligen Binnenschiffern der DDR sprechen, die auf der Elbe fuhren – den Westen praktisch immer in Sichtweite.
Schifffahrt auf der Elbe: Binnenschiffern in der DDR drohte die Enteignung
Otto Strube war einer von ihnen. Hatte er lange über die Flucht in den Westen nachgedacht oder kam ihm der Gedanke, als sich eine günstige Gelegenheit bot? Seine spektakuläre Flucht sorgte damals jedenfalls für Schlagzeilen. „Wieder einmal zwingt die unselige Zonengrenze zu Maßnahmen, die zu normalen Zeiten völlig unnötig wären. Ein Schiff muß in einem kleinen Hafen an der Oberelbe auseinandergenommen und über Land transportiert werden, damit man es ein paar Kilometer weiter elbabwärts wieder zusammensetzt“, schreibt die Lauenburgische Landeszeitung am 11. November 1958.
Was war passiert? Am Mittag des 13. Oktober 1958 sollte Strube sein Schiff „Kurier“ zusammen mit einem Konvoi von Binnenschiffen elbabwärts zum mecklenburgischen Hafen Dömitz steuern. Ein günstige Gelegenheit? Es war die Zeit einer Enteignungswelle in der DDR. Dem Schiffer blieb nicht viel Zeit zum Überlegen, wollte er seine „Kurier“ nicht verlieren. Er ließ die Maschine mit voller Kraft laufen und war den anderen Schiffen bald etwas voraus. Dann passte er die richtige Minute ab, riss das Steuer herum und machte kurz darauf in Gorleben, vier Kilometer von Schnackenburg entfernt, fest. Mit ihm an Bord seine Frau, sein Schwager und sein damals 17-jähriger Sohn Reinhard.
Lauenburger Werft zerlegte Schiff in zwei Teile
So weit, so gut. Doch sein Schiff hatte Otto Strube damit noch nicht gerettet. Die Weiterfahrt elbabwärts war unmöglich, weil die „Kurier“ durch das Hoheitsgebiet der DDR gemusst hätte. Es blieb nur eine Lösung: Die 80 tonnenschwere „Kurier“ musste über Land in einen sicheren Westhafen transportiert werden. Damit begann das eigentliche Abenteuer. Die Lauenburger Werft Heidelmann übernahm dieses einzigartige Projekt. Die „Kurier“ wurde in zwei Teile geteilt. Das Vorschiff und das Achterdeck wurden über Gartow, Lüneburg und Hoopte nach Lauenburg transportiert und dort wieder zusammengebaut.
„Nachmittags setzte sich der ungewöhnliche Transport in Bewegung. Ganz Hoopte sah dabei zu“, schrieb die Lauenburgische Landeszeitung. Die spektakuläre Flucht fand so ein glückliches Ende. Lauenburg wurde zur zweiten Heimat für Familie Strube. Nach einer Schlosserlehre und dem Maschinistenpatent fuhr Reinhard Strube noch von 1964 bis 1974 gemeinsam mit seinem Vater auf dem Frachtschiff. 1974 wurde das Schiff im Zuge einer Abwrackaktion verschrottet.
Binnenschifffahrt zur Zeit des Kalten Krieges
Was auffällt bei der Geschichte: Obwohl die Gründung schon neun Jahre her ist, kommt das Wort „DDR“ in dem Artikel nicht vor. Der Redakteur schreibt von einem „ostzonalen Binnenschiff“ und einem „zonalen Grenzkontrollpunkt“. Der sogenannte „Kalte Krieg“ erreichte in dieser Zeit seinen vorläufigen Höhepunkt. Am 27. November 1958 stellte Sowjetchef Nikita Chruschtschow dem Westen das sogenannte Berlin-Ultimatum, um die „kapitalistische Insel“ inmitten der DDR endgültig zu isolieren. Gleichzeitig bemühte sich die DDR um internationale Anerkennung.
Für die Schifffahrt auf der Elbe hatte diese spannungsreiche Zeit ebenfalls Konsequenzen. Dabei waren es genau genommen nur 95 Flusskilometer zwischen Cumlosen und Lauenburg, die den Grenzverlauf zwischen der DDR und der BRD markierten. Kompliziert war die Situation schon deshalb, weil der genaue Grenzverlauf immer umstritten war: Die Bundesrepublik deklarierte das Elbufer auf DDR-Seite als Grenze, während die DDR den Grenzverlauf in der Flussmitte sah. Ab 1965 war es westdeutschen Binnenschiffern untersagt, die Elbe oberhalb Magdeburgs zu befahren. In der Folge behinderten Grenzbeamte der BRD die Besatzungen der volkseigenen Binnenreederei der DDR bei Transitfahrten ebenfalls.
Transitabkommen entschärfte Lage auf dem Grenzfluss
„Die Schiffer auf beiden Seiten wollten von diesen politischen Querelen im Grunde nichts wissen“, weiß Jörn Bohlmann. Die westdeutschen Schiffer, mit denen er sprach, berichteten sogar von gelegentlichen Begegnungen. „Die DDR-Kollegen mussten allerdings höllisch aufpassen, denn eine Kontaktaufnahme mit den Binnenschiffern aus dem Westen war ihnen strengstens verboten“, erzählt der Museumschef. Anfang der 70er-Jahre entspannte sich die Lage etwas. Am 17. Dezember 1971 unterzeichnen die Staatssekretäre Egon Bahr (BRD) und Michael Kohl (DDR) in Bonn das Transitabkommen. Der Vertrag regelte den Transitverkehr auf Straßen, Schienen- und Wasserwegen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Westsektoren Berlins durch das Hoheitsgebiet der DDR.
„Die meisten Schiffer, mit denen ich sprach, transportierten damals Güter nach Westberlin. Sie berichteten, dass sie nach dem Abkommen deutlich weniger Schikanen durch die DDR-Behörden ausgesetzt waren“, sagt Bohlmann. Es seien aber nicht nur die politischen Umstände gewesen, die zu jener Zeit das Leben an Bord geprägt hätten. „Einige haben so lebendig erzählt, dass wir ihnen stundenlang zuhören konnten“, erzählt er.
25 Erinnerungsorte in der Metropolregion Hamburg
Mittlerweile gibt es rund 25 Erinnerungsorte innerhalb der Metropolregion, die an die deutsche Teilung erinnern. Die Erinnerungslandschaft beträgt nun schon 300 Kilometer. Insgesamt 60 Museen, Ausstellungen und Gedenkzeichen sind in dem Netzwerk miteinander verbunden. Im nächsten Jahr werden die Orte und Institutionen ihre Angebote Gästen, Schulen und Einheimischen auf der zentralen bundesweiten Veranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit in Hamburg präsentieren. Eine neue Veranstaltungsreihe, die „Tage der Grenzgeschichte(n)“, und eine Ausstellung bieten dafür die Plattform.
Die Umsetzung der Angebote wird ermöglicht durch die Förderfonds der Metropolregion Hamburg, die Freie und Hansestadt Hamburg, die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED Diktatur, die Landeszentralen für politische Bildung Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie den Landesbeauftragten für politische Bildung Schleswig Holstein. Lauenburgs Partnerstadt Boizenburg ist ebenfalls Teil der Erinnerungslandschaft. Das Team des Heimat- und Elbbergmuseum hat es sich zum Ziel gesetzt, mit neuen Konzepten insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ein Verständnis für die Geschichte der deutschen Teilung zu wecken.
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Dokumentation wird Teil der Dauerausstellung
Derzeit sichtet Jörn Bohlmann das Material für den ersten Teil des des Lauenburger Projektes. Die jetzt schon vorhandenen Film- und Tonaufnahmen sollen später das erste Kapitel der Dokumentation bilden. Die Interviews mit den Schiffern der ehemaligen DDR kommen dann noch dazu.
Im Lauenburger Elbschifffahrtsmuseum soll das Thema der innerdeutschen Teilung ein ganz neuer Ansatz werden. Das arbeitsreiche Leben der Schifferfamilien in den vergangenen Jahrhunderten ist in der Dauerausstellung anschaulich dokumentiert. Spannend dürfte für Besucher aber auch sein, was Binnenschiffer aus Ost und West zu erzählen haben, die 40 Jahre lang die innerdeutsche Grenze quasi unter dem Kiel hatten.